Wenn von Martin Luther (1483—1546) die Rede ist, denken die meisten an den herausragenden Bibel-Übersetzer, wenige andere dagegen an seine unsäglichen Schmähungen gegen die Juden. Wie Luther das geworden ist, was er war, ist in der allgemeinen Diskussion über diesen wichtigen Mann der deutschen Geschichte weitgehend untergegangen. Und doch ist Luthers Werdegang bestimmend für seine Entwicklung zu dem, wie man ihn zu kennen meint.
Luthers Werdegang
Beginnen wir beim Anfang: Martin Luder (kein Schreibfehler!) wächst in einer weitgehend mittelalterlich geprägten Welt auf. Gehorchen ist das A und O. Zu Hause bei den Eltern, später im Kloster. Zauber, Hexenwesen und der Teufel sind die Luder prägenden Begriffe. Schwere Kindheit. Kein Wunder, dass er das wurde, was er wurde, würde man heute entschuldigend sagen. Ja, was? Ein glühender Antisemit. Einer, der die Juden noch verfolgt, als er, 1546, schon auf dem Sterbebett liegt – und: seine negativen Werteurteile hallen lange nach.
Im Alter von 7 Jahren kommt Luder auf die städtische Trivialschule. Dort lernt er Schreiben und Rechnen, aber auch und vor allem Latein, unterstützt von Schlägen und sofortigen Strafen, wenn ein Schüler statt Latein Deutsch zu sprechen wagt. Die nächste Etappe seiner Bildung ist die Domschule in Magdeburg. Er wohnt dort bei den „Brüdern vom Gemeinsamen Leben“, noch keine klösterliche Gemeinschaft, aber sie prägt ihn religiös. Ab 1498 besucht Martin Luder die Lateinschule der St. Georgspfarrei in Eisenach, die Geburtsstadt seiner Mutter. Eine Nebensächlichkeit: Sowohl in Magdeburg als auch in Eisenach müssen die Schüler durch Betteln mit für ihren Unterhalt sorgen. Das lehrt Luder demütige Entsagung. Möglicherweise liest er hier das kurz zuvor erschienene Buch des Nikolaus von Lyra aus der Normandie (um 1270—1349), eine Kampfschrift mit dem anregenden Titel „Gegen die Treulosigkeit der Juden“, die 1497 in Nürnburg nachgedruckt wird. Er wird sie bei der Hand haben, als er seine erste Vorlesung gibt. Und sogar noch 1543 dient sie ihm als ergiebige Quelle. 1501 immatrikuliert sich Luther an der Universität Erfurt, um das vom Vater verordnete Studium, Jura, aufzunehmen. Wie schon ein anderer Prominenter hat auch Luder sein „Damaskus-Erlebnis“: Als ihn der Blitz trifft, soll er in Todesangst gerufen haben: „Hilf du, Heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Anna hilft. Luder überlebt den Blitzschlag. Gerade einmal zwei Wochen später wird Luder bei den Jenaer Augustiner-Eremiten Mönch, Bettelmönch. Hier im Kloster, er ist 20 Jahre alt, liest Luder die Bibel! Zum ersten Mal hat er eine komplette Bibel in der Hand! Und liest sie fortan, zweimal pro Jahr, von Anfang bis zum Ende durch! Kein Wunder, dass er sie besser als die meisten seiner Zeitgenossen kennt.
Luders erste Schritte als „Bibel-Interpret“
Seine erste „hauptamtliche“ Vorlesung beginnt Dr. Martin Luder am 16. August 1513 um 6 Uhr morgens (!) an der Universität zu Wittenberg – über die Psalmen. Für seine Vorlesung lässt er alle Psalmen extra drucken – und setzt ihnen eine „Praefatio“ voraus: „Vorwort Jesu Christi des Gottes Sohnes und unseres Herrn zu den Psalmen von David.“ Er bringt es fertig, diesen von David tröstenden Worten einer jüdischen Zukunft einen völlig neuen, gegen die Juden gerichteten Sinn zu geben: „Die mich (Christus) ohne Grund hassen“ (d.h., die Juden), und „die mir zu Unrecht feind sind und mich verderben wollen“ (V5), „meine Widersacher sind dir [G-tt] alle vor Augen“ (immer die Juden!) (V20), „Ihre Wohnstatt soll verwüstet werden“ (V26), sehr vertraute Worte aus späterer Zeit! Und er wettert: Die Juden seien „hochmütig“, „neidisch“, „gottlos“, „Feinde“, „Hasser“, „Verfolger“, „Sünder“, „Gottlose“ und noch einige negative Dinge mehr.
Luder muss es immer wieder betonen: Die Juden können lediglich alles platt irdisch auslegen, sind immer nur ans „Fleischliche“ gebunden. Sie hängen am tötenden Buchstaben, den geistigen Sinn verfehlen sie dagegen völlig. Von den insgesamt 150 Psalmen sind in Luders Psalter lediglich 2 (!) frei von polemischen oder abwertenden Aussagen über die Juden oder die Synagoge (Ps 97 und 112). Hinzu kommt gemäß Luder die „Urhandlung“ der Juden: die Kreuzigung Christi, eine Perspektive, die er unkritisch vom Kirchenvater Augustinus (354—430 d. Z.) übernimmt. Und, so Luder, die Juden setzen ihr mörderisches Handwerk in der Gegenwart fort: Sie kreuzigen und bespucken die Heilige Schrift, die Propheten und Schriftgelehrten. Die Juden sind, so Luder weiter, ein „Blutacker“, ein „Königreich des Blutes und eine Synagoge des Satans bis auf den heutigen Tag“. Zur Erinnerung: Wir befinden uns hier im Jahr 1513, Luder ist gerade einmal 30 Jahre alt, als er sich derart gegen die Juden ereifert!
Im Jahr 1519 kam der Bruch mit dem Papst und der Namenswechsel zu Luther. Damit ändert sich jäh seine Einstellung zu den Juden. Schließlich braucht er neue Verbündete. Zu diesem Zweck verfasst er seine Schrift von Jesus, der ein geborener Jude gewesen sei. Mild spricht er mit einem Mal über die von ihm bisher so arg verleumdeten Juden. Denn aus den verstockten Juden sollen Christen werden. Als sie aber weiterhin verstockt bleiben und es trotzdem mehrheitlich ablehnen, wird der Herr Dr. Luther recht böse auf sie. Der Rest ist bekannt:
„Fartaitscht un farbesert“: Luthers Bibel-Übersetzung
Doch jetzt zum Hebräischen und der hebräischen Bibel. In Wittenberg hat Luther etwas Zeit und, wohl angeregt durch seine eigene, ziemlich späte direkte Begegnung mit der Bibel, auf Lateinisch, versteht sich – das war damals die übliche Sprache in christlichen Gelehrtenkreisen – wendet er sich nun ganz ernsthaft der Bibel zu. Im Mai 1521 nimmt er die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche in Angriff. Eine ihm wohl vertraute Welt mit wohl bekannten Themen und Personen. Kein Wunder, dass schon nach gerade einmal zehn Monaten die fertige Übersetzung gedruckt vorliegt. 1523 oder 1524 wagt er sich an die deutsche Übersetzung des von den Christen so genannten Alten Testaments. Luther gesteht ein, er könne die Sprache nicht besonders gut. Daher braucht er für die Übersetzung des Alten Testaments ja auch 12 Jahre! Dass er überdies eine nicht unbeträchtliche Zahl von Übersetzungsfehlern macht, würde ihm heute kein Verleger, der etwas auf sich hält, nachsehen. Als Übersetzerin von 310 Büchern weiß ich, wovon ich spreche. Seine Übersetzungsfehler haben das christliche Bild der Welt um die Zeitwende so nachhaltig geprägt, dass sogar die gesamte Heilslehre eng mit ihr verflochten ist.
Beispielhaft vorgeführt seien hier einige der gröberen Fehler, die weiterhin als Wahrheiten verbreitet werden. Die nachhaltigste bezieht sich wohl auf den Begriff „Jungfrau“. In Jesaja 7,14 heißt es, so Luther: „Die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären.“ Um diese Jungfrau dreht sich die gesamte Heilslehre: Der Sohn dieser Jungfrau namens Maria bringt in der Tat ihren Sohn Jesus auf die Welt, ohne dass sie mit ihrem späteren Mann Josef verheiratet wäre. Eigentlich ein krasser Fall von – Entschuldigung – damals genau so genannt, Hurerei, die generell mit der Todesstrafe geahndet wird. Aber nichts davon droht der jungfräulichen Maria vor oder nach der Geburt ihres Sohnes. Aber wir sind bei der Sprache. In der hebräischen Bibel steht an dieser Stelle, auf die Luther sich ausdrücklich bezieht: Ha-alma hara ve-joleddet ben, das heißt auf Deutsch: „Das junge Weib wird schwanger und gebiert einen Sohn.“ Nehmen wir als Vergleich eine andere Bibelstelle, in der ebenfalls von einer jungen Frau die Rede ist. Beim selben Jesaja ist etwas später, ebda., 47,1, die Rede von der „jungfräulichen Tochter Babel“, auf Hebräisch: betula bat-Bawel. Luther macht daraus: „Jungfrau, du Tochter Babel“.
Wir haben es hier gleich zweimal mit einer jungen Frau zu tun, einmal mit alma, ein zweites Mal mit betula, also „junge Frau“ und „Jungfrau“. alma wird im „Hebräisch-aramäischen Wörterbuch zum Alten Testament“ von Dr. Eduard König, Leipzig 1922, als „ein mannbares junges Mädchen“ bezeichnet, so auch die Braut Isaaks (Gen. 24,43). Dieselbe deutsche Übersetzung, „Jungfrau“, finden wir im selben Wörterbuch für den hebräischen Begriff betula. (…)
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