Zu Besuch auf dem Friedhof von Berlin-Weißensee  

Juni 8, 2015 – 21 Sivan 5775
Europas größter jüdischer Friedhof

Von Simon Akstinat

Es ist erstaunlich. In unmittelbarer Reichweite von Adolf Hitler hat ein Stück jüdischer Kultur überlebt, das so groß ist, das man sich darin verläuft. Die Rede ist vom Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee im Nordosten der Hauptstadt. Dieser 1880 gegründete größte jüdische Friedhof Europas beherbergt heute 116.000 Grabstellen.

Wenn man sich diese weniger bekannte Touristenattraktion Berlins einmal anschauen möchte, sollte man von Beginn an den Plan über Bord werfen, auch nur die Hälfte von ihm begutachten zu wollen. Man würde vermutlich irgendwann von einem Wächter eingeschlossen, der sich nach seinem Feierabend sehnt und der einen irgendwo auf dem riesigen Gelände vergisst.

Man sollte sich treiben lassen durch die urige Atmosphäre, und die Grabsteine mit ihren interessanten Aufschriften der verschiedenen Epochen auf sich wirken lassen. Diese Epochen lassen sich kurz zusammenfassen: Kaiserzeit, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Beginn der Nazi-Zeit. Ganz wenige Gräber stammen auch aus der DDR. Ab dem Jahr 2000 gibt es auch immer mehr moderne Gräber. Wir bewegen uns hier also keineswegs auf einem reinen Freilicht-Museum, sondern auf einem Ort, der ebenso historisch interessant wie aktuell ist.

Am auffälligsten sind natürlich die zahlreichen Mausoleen der reichen jüdischen Bürger wie die der Silbersteins, der Aschrotts oder der Familie Berger. Die anderen Gräber sind jedoch nicht minder interessant - die Kindergräber oder kumpelhafte Grabaufschriften wie „Unser Willy“.
wiGerade in der Kaiserzeit (das war wohl die Mode der Zeit) waren die Aufschriften besonders pathetisch, wie bei einer 17-jährigen Verstorbenen „Hier ruht dahingerafft in der Blüte ihrer Jugend unsere hoffnungsvolle Tochter und Schwester Paula“; „Hier ruht in Gott unser einziger heißgeliebter herzensguter edler Bruder Königlicher Sanitätsrat Dr. Arthur Fraenkel“; „Hier ruht in Gott mein innigstgeliebter, unvergesslicher Mann. – Unheilbar ist die Wunde, die dein früher Tod mir schlug. Unvergesslich jene Stunde, wo man Dich zu Grabe trug. Mein ganzes Glück ist nun dahin. Kein Trost, wie ich verlassen bin.“ – Man bekommt noch 100 Jahre später Mitleid mit den Hinterbliebenen.

Sehr beeindruckend sind auch die Gräberfelder der im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Kaiserreich gefallenen jüdischen Soldaten, die all jene Judenhasser Lügen strafen, die die Juden im Reich der Drückebergerei beschuldigten. Von den insgesamt 12.000 auf deutscher Seite gestorbenen Juden liegen hier zwar nur einige hundert (viel mehr von ihnen liegen auf deutschen Soldatenfriedhöfen in Nordfrankreich Seit an Seit mit ihren christlichen Kameraden – nicht getrennt nach Religionen), aber diese geben einen ganz guten Querschnitt durch die große Masse der kaiserlichen jüdischen Soldaten. 100.000 Juden kämpften auf deutscher Seite (in Frankreich nur etwa 55.000, in Großbritannien 50.000), 31.000 von ihnen erhielten das Eiserne Kreuz als Auszeichnung für ihre Tapferkeit.
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