Seit dem 8. Dezember ist Klaus Lederer Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in der bundesweit ersten rot-rot-grünen Regierungskoalition. Über Chancen und Herausforderungen der Berliner Kulturpolitik, seine Solidarität mit Israel und den anhaltenden Kampf gegen antisemitische und antizionistische Ressentiments in seiner Partei, sprach mit dem 42-Jährigen für die JÜDISCHE RUNDSCHAU Jérôme Lombard.
Lombard: Herr Lederer, die erste rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin ist unter Dach und Fach. Sie sind neuer Kultursenator. In einem Zeitungsbeitrag forderten Sie vor kurzem einen „kulturpolitischen Neustart“. Wie soll ein solcher Neustart aussehen?
Lederer: Berlin ist eine pulsierende Kulturstadt mit einer sehr breiten, bunten Kunst-und Kulturszene. Für mich ist es zentral, zum einen, eine Politik zu gestalten, die allen Menschen in der Stadt die Teilhabe am kulturellen Leben, an diesem Reichtum ermöglicht. Und zwar auf allen Ebenen, von den bezirklichen Kultureinrichtungen bis zu den großen Theatern. Unsere Aufgabe ist es, hier Angebote zu machen, Zugänge zu erleichtern: Ich erinnere an das unter rot-rot eingeführte 3-Euro-Ticket. Wenn wir das ausbauen, die Palette erweitern, Hürden senken… das wären gute Schritte. Ein anderes Beispiel: Ich werde mich dafür einsetzen, dass die staatlichen Berliner Museen für feste Zeitspannen kostenfrei öffnen. Es geht darum, eine Stigmatisierung sozial Schwächerer zu verhindern. Kultur muss immer auch der Vielfalt der Gesellschaft Rechnung tragen. Diese Vielfalt kann aber nur erhalten bleiben, wenn, zweitens, die Kulturschaffenden von ihrer Arbeit leben können. Wir müssen faire Gehälter und gute Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb schaffen.
Beides zusammen trägt dem Stellenwert, den wir Kultur beimessen, Rechnung. Das ist etwas anderes, als die kulturelle Identität Berlins auf Marketing-Effekte auszurichten.
Lombard: Ende Oktober 2016 machte der Berliner Veranstaltungsort „Ballhaus Naunynstraße“ Schlagzeilen, weil er einer antisemitischen und israelfeindlichen Veranstaltungsreihe, die mit Geldern des Senats bezuschusst wurde, eine Bühne gegeben haben soll. Sie haben das öffentlich kritisiert. Was war da los?
Lederer: Ich habe damals Berichte zur Kenntnis genommen, dass es während eines Festivals zu antisemitischen Vorfällen gekommen sein soll. So soll zum Boykott Israels aufgerufen worden und der jüdische Staat als Apartheidsstaat bezeichnet worden sein. Diese Vorwürfe wurden aber nicht eindeutig bewiesen und die Veranstalter haben sich sehr deutlich distanziert und klargemacht, dass sie rassistischer und antisemitischer Hetze keinen Raum geben würden. Alles andere hätte mich auch verstört.
Lombard: Sehen Sie politische Handlungsmöglichkeiten, wie es in Zukunft verhindert werden kann, dass öffentliche Kulturfördermittel für derartige Veranstaltungen missbraucht werden?
Lederer: Wenn es zu ähnlichen Vorwürfen kommt, muss man sich in jedem Fall ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen. Zu berücksichtigen ist dabei immer, dass Kunst auch unbequeme Fragen mit künstlerischen Mitteln stellen muss. Allerdings: Auch die Förderung von Kunst und Kultur muss abhängig sein vom Bekenntnis zum Antirassismus und gegen jede Form der Diskriminierung. Wenn der Staat anfängt, sich mit Inhalten kultureller Veranstaltungen zu beschäftigen, steht zwar schnell der Vorwurf der Zensur im Raum. Die Einhaltung essentieller Standards, wie das Verbot diskriminierender und antisemitischer Äußerungen, kann ich aber nicht als eine Form der Zensur sehen.
Lombard: In Ihrer Partei gelten Sie nicht nur als Realpolitiker, sondern auch als ausgesprochen israelsolidarisch. Was heißt es für Sie, mit Israel solidarisch zu sein?
Lederer: Israel ist ganz Vieles: Der Staat mit seiner faszinierenden Geschichte, die Menschen, die Kultur, die Politik. Wer einmal in Israel war, kommt eigentlich gar nicht umhin, das Land mit all seinen Facetten und Widersprüchen so zu lieben, wie es eben ist. Ich weiß gar nicht, ob man diese Einstellung mit dem Label „israelsolidarisch“ belegen sollte. Zum Beispiel schätze ich auch die französische Kultur sehr. Aber bin ich deswegen „frankreichsolidarisch“? Hier sind wir an einem so simplen wie wichtigen Punkt: Israel ist ein Land wie jedes andere auch. Es dürfen in keiner Form doppelte Maßstäbe angelegt werden.
Lombard: Haben Sie einen persönlichen Bezug zum jüdischen Staat?
Lederer: Eine ganze Menge sogar: Ich habe das Land mehrmals besucht, ich habe dort viele gute Freunde. Mein inzwischen verstorbener Großvater hat ein Außenlager des KZ Ravensbrück in Neustadt-Glewe wieder thematisiert, und dessen Geschichte aufgeschrieben. So hatte ich Kontakte mit Überlebenden der Nazihölle, daraus ergaben sich Kontakte nach Israel, aus denen sich sehr enge Freundschaften entwickelt haben. Ich habe Kibbuzim besucht, sogar mal eine Woche in einem gewohnt und faszinierende Gespräche, auch sehr politische, geführt. Mit Sorge beobachte ich, wie sich die soziale Situation in Israel in jüngerer Zeit verschärft und sich die gesellschaftlichen Gräben vertiefen. Aber klar: Israel ist ein Land voller Widersprüche. Wenn ich als Schwuler beim Christopher Street Day im liberalen Tel Aviv händchenhaltend durch die Straßen spaziere, fühle ich mich frei. Im orthodoxen Mea Schearim ist das unmöglich.
Lombard: Solidarität mit Israel und Politiker in der Linkspartei. Wie passt das zusammen?
Lederer: Die Gründung des Staates Israel ist die Konsequenz von Auschwitz. Der Massenmord an den europäischen Juden hat die Illusion zunichtegemacht, dass Juden ohne einen eigenen Staat in Sicherheit und Frieden leben können. Antisemitismus war nach 1945 nicht verschwunden, er ist eine auch heute noch viel zu präsente Einstellung. Israel als Schutzraum ist so wichtig wie eh und je. Dieser Umstand sollte sich gerade für einen Linken von selbst verstehen und genauso Common Sense sein, wie der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus. Wer, wenn nicht Linke, müssen dafür einstehen, dass der Holocaust niemals relativiert werden darf?
Lombard: Mitglieder der Linkspartei sind in der Vergangenheit mit antizionistischen und teils antisemitischen Äußerungen aufgefallen. Als außenstehender Beobachter bekam man den Eindruck einer innerparteilichen Zweiteilung: Auf der einen Seite stehen Sie und andere wenige, die für den jüdischen Staat Partei ergreifen und um Differenzierungen bemüht sind. Auf der anderen Seite die Mehrheit innerhalb der Partei, die in einer antiquierten „antiimperialistischen“ Ideologie stecken geblieben sind.
Fühlen Sie sich als Anhänger einer Minderheitsmeinung akzeptiert?
Lederer: Ich sehe mich gar nicht als Vertreter einer Minderheitsmeinung. Im Gegenteil. Aber, es ist nicht wegzudiskutieren, dass einige Mitglieder meiner Partei im „Schwarz-Weiß“-Raster des Kalten Krieges verhaftet sind und ein aus historischen Gründen einseitiges Bild vom Nahen Osten haben. Die anfängliche Unterstützung der internationalen Linken für Israel kippte spätestens mit dem Sechs-Tage-Krieg. Hinzu kam die Über-Identifikation mit nationalen Befreiungsbewegungen. Diese falschen Glaubenssätze, die damals wie heute nichts mit der Realität im Nahen Osten gemein haben, halten sich hartnäckig. Hinzu kommt leider, dass in den Tiefenstrukturen der Gesellschaft verankerte Ressentiments immer auch weitergegeben werden.
Lombard: Kann man denn sagen, dass die LINKE die momentan anti-israelischste Partei im Bundestag ist?
Lederer: Nein, das kann man nicht sagen. Allerdings, das ist leider richtig, wird der historischen Verantwortung für die Existenz Israels von einem kleinen Teil der Linken nicht der gebotene Stellenwert zugewiesen. Ich glaube jedoch nicht, dass dies ein geeigneter Gradmesser für Antisemitismus ist. Antisemitismus, auch in seiner antizionistischen Spielform, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Soziologische Langzeitstudien, wie die Mitte-Studie, belegen, dass antisemitische Ressentiments bei etwa 20 Prozent der Menschen quer durch alle Ebenen zu finden sind. Dieses Problem auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe oder Wählerklientel zu beschränken, wäre verharmlosend.
Lombard: Sind Sie schon mal persönlich in der Partei wegen Ihrer pro-israelischen Einstellung angefeindet worden?
Lederer: Leider gab es diese Momente und ich wünschte, das wäre nicht so. Es kam vor, dass man mich wegen meiner Positionen als „Rechten“ beschimpft hat. Man muss einen Umgang mit solch absurden Anschuldigungen finden und der heißt für mich in erster Linie, mit meiner Aufklärungsarbeit weiterzumachen. Ich werde mich also auch zukünftig kritisch äußern, wenn sich Linke an Boykottaktionen gegen Israel beteiligen oder zu israel-feindlichen Demonstrationen aufrufen. Das geht einfach gar nicht. Ich scheue mich nicht vor der innerparteilichen Auseinandersetzung, diese müssen wir führen. Ich bleibe bei meiner klaren Haltung: Wo es Antisemitismus gibt, muss man ihn klar benennen und dagegen Position beziehen.
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