Die CDU erkennt nicht das wahre Ausmaß ihres Desasters  

April 11, 2016 – 3 Nisan 5776
Eine Zeitenwende, die keiner wahrhaben will

Von Markus Somm

In den beiden „Limes-Bundesländern“ Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – beides Orte besonders langer jüdischer Geschichte – wurde am 13. März gewählt. Der Schweizer Journalist Markus Somm wirft einen kritischen Blick über die Grenze und den dortigen politischen Umbruch, den viele in seiner ganzen Tragweite noch nicht erkannt zu haben scheinen.

Diesen Freitag wurde bekannt, dass Lothar Späth gestorben ist. Der CDU-Politiker herrschte als Ministerpräsident dreizehn Jahre lang über das Bundesland Baden-Württemberg. Man nannte ihn „Cleverle“ – mit jener Mischung aus Respekt und Spott, wie sie die Deutschen gerne für die Schwaben ausdrücken, die ähnlich tüchtig und erfolgreich wie die Schweizer sind, was man nördlich des Mains einfach nicht verstehen kann, zumal beide Völker kein Hochdeutsch können.

Tode fallen immer zufällig an – und doch haftet diesem Tod etwas Symbolisches an, als ob Späth, der sein Land meistens mit einer absoluten Mehrheit regiert hatte, den Niedergang seiner Partei mit dem eigenen Ableben hätte unterstreichen wollen. Auch seine CDU, die am vergangenen Wochenende in den Landtagswahlen von Baden-Württemberg auf 27 Prozent abgesackt ist, erlitt eine Art Tod.

Auch wenn das manchem allzu drastisch formuliert vorkommen mag. Es wird viel schöngeredet – seit dem vergangenen Wochenende in Deutschland: Wer verloren hat, sagt, er habe gewonnen, wer zertrümmert wurde, sieht keine Ruinen. Niemand will von einer Zeitenwende etwas erkannt haben. Aus „schlechter Laune“, so hat der Hamburger Erste Bürgermeister Olaf Scholz diese Woche an einer Veranstaltung der NZZ in Berlin gesagt, hätten die Bürger so unorthodox gewählt. Andere, substanziellere, politische Motive traute der arrogante Sozialdemokrat seinem Arbeitgeber offenbar nicht zu. Selten wirkten auf mich die deutschen Politiker und die deutschen Journalisten so weltfremd wie am vergangenen Sonntag. Als ob sie nicht glauben wollten, was ihnen widerfahren war.

Lehren aus der Schweiz
Doch aus einer schweizerischen Perspektive, wo wir seit gut zwanzig Jahren mit dem Phänomen einer rechten, bürgerlichen Opposition leben, glaube ich besser erkennen zu vermögen, was in Deutschland vorgefallen ist. Es dürfte sich als epochal erweisen. Vielleicht irre ich mich, und der Aufstieg jener ungeliebten, bürgerlichen Opposition, die Alternative für Deutschland, AfD, die man wider besseres Wissen als „rechtspopulistisch“ zu denunzieren und zu verharmlosen versucht, stellt sich in ein paar Jahren als Strohfeuer heraus, wie viele Beobachter in Deutschland zu hoffen scheinen. War nicht die NPD in den späten sechziger Jahren plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und wieder im Nichts verschwunden? Gab es nicht einmal die Republikaner? Wer redet noch von den Piraten?

(…) Wenn eine solche Partei innert bloß vier Jahren von 39 Prozent auf 27 Prozent einbricht, dann sind dafür Tausende von vorher treuen Wählern verantwortlich, von guten konservativen und liberalen, immer bürgerlichen Leuten – die der CDU plötzlich das Vertrauen entzogen haben. Schlechte Laune? Das sind keine quengeligen Kinder, die früher ins Bett hätten gesteckt werden müssen. Es handelt sich auch nicht um die berühmten „Modernisierungsverlierer“, welche die Politologen immer dann bemühen, wenn sie ein Phänomen nicht mehr erklären können, (den Baden-Württembergern geht es glänzend), noch sind es ehemalige DDR-Bürger, wie etwa jene in Sachsen-Anhalt, deren erratisches Wahlverhalten man oft mit ihrer Prägung durch zwei Diktaturen gönnerhaft zu deuten versucht. Nein, das sind Leute, die zum Kern des deutschen Mittelstands gehören, jener seit jeher staatstragenden Schicht in Deutschland. Es sind Konservative, nicht bloß im politischen Sinn, sondern auch was ihr Wahlverhalten betrifft. Einmal CDU, immer CDU, hieß es jahrelang: Wenn man solche Leute verliert, dann gewinnt man sie kaum je wieder zurück. (…)

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