Die Führung der ehemaligen Volkspartei kennt ihre Wähler kaum.  

November 3, 2017 – 14 Heshvan 5778
Die SPD verliert solange sie auf Verlierer setzt

Von Carl Christian Jancke

Der letzte sozialdemokratische Kanzlerkandidat, der gewann, hieß Gerhard Schröder. Und der setzte auf die „neue Mitte“, und nicht auf die „soziale Gerechtigkeit“. Das haben Martin Schulz und Andrea Nahles ausgeblendet.

Gerhard Schröder ist der Prototyp eines Aufsteigers. Vom Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau zum Rechtsanwalt: Eine sozialdemokratische Bilderbuchkarriere. Mit seiner prinzipienlosen Kaltschnäuzigkeit setzte er sich gegen Schlafes Bruder Rudolf Scharping und den Populär-Keynesianer Oskar Lafontaine durch. Insbesondere Lafontaine war verbittert über Schröders erfolgreichen Kurs und nahm als Finanzminister schon nach ein paar Wochen verbittert Reißaus.

Lafontaine war der Liebling der Partei, Schröder geduldet, solange er Erfolg hatte. Schon 1999 ging er einen Schritt zu weit. Das „Schröder-Blair-Papier“, das er von Bodo Hombach gemeinsam mit dem New-Labour-Architekten Peter Mandelson schreiben ließ, formulierte einen „Dritten Weg“ zwischen klassischer Sozialdemokratie und dem, was man „Neoliberalismus“ nannte. Der Kollaps von 1989 hatte den Marxismus vorübergehend diskreditiert.

Mit dem Versuch, auf diesem Weg die traditionelle SPD zu reformieren, war schon Karl Schiller in der ersten Großen Koalition seit 1967 gescheitert. Schiller hatte mit dem „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ den Keynesianismus eingeführt, mit dem die Epoche der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik zu Ende ging. Mittels einer „Globalsteuerung“ und „moral suasion“ sollte das Wachstum verstetigt und stabilisiert werden. Das Konzept scheiterte kläglich. Schiller trat 1972 zurück, weil die real existierende Sozialdemokratie nicht – wie vorgesehen – die in Abschwungphasen aufgenommenen Staatskredite zur Ankurbelung der Wirtschaft in Phasen der Hochkonjunktur zurückzahlte. Das war der Ursprung der heutigen Staatsverschuldung,

Aber trotz der zunehmenden Arbeitslosigkeit war die SPD damals eine der Zukunft und dem Fortschritt zugetane Partei. Willy Brandt wollte „mehr Demokratie wagen“ und man schuf in der Arbeitswelt trotz Ölkrise die betriebliche Mitbestimmung, die es in dieser Form vorher nur in sogenannten Montan-Unternehmen gab: Stahlunternehmen sollten durch den Einfluss der Mitarbeiter davor geschützt werden, wieder wie im Dritten Reich zu den Lieferanten der Aufrüstung zu werden. Nun galt für alle großen Unternehmen, dass die Hälfte des Aufsichtsrates von den Arbeitnehmern gestellt wurde und nur in einer Pattsituation der Vorsitzende, den die Arbeitgeber stellten, zwei Stimmen hat.

Die rechtsgerichtete Betonarbeiterfraktion etwa um den späteren hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner setzte im Sozialstaat nicht auf den Niedriglohnsektor, sondern auf Innovationen für den gutverdienenden Facharbeiter. Das Schlechtwettergeld sorgte dafür, dass Bauarbeiter im Herbst und Winter nicht mehr entlassen werden mussten, weil das Arbeitsamt ihren Lohn übernahm.

Der durch Investitionen und Innovationen gewonnene Produktivitätsfortschritt wurde auf Arbeitnehmer und Unternehmen verteilt. Eine Entwicklung, die immer mehr Arbeitnehmer überflüssig machte, weil dadurch die Kapazitäten noch größer wurden und weil viele weniger begabte und schlecht ausgebildete Menschen im Zeitalter des „Computer aided manufacturing“ nicht in der Lage waren, ein komplexes Bearbeitungszentrum zu bedienen.

Der gesellschaftliche Konsens in der Ära Kohl war, dass diese Menschen mit Arbeitslosenhilfe und zusätzlichen Abfindungen und Frühverrentungslösungen aus dem Arbeitsleben ausschieden, aber ihren Lebensstandard in etwa halten konnten und auch etwa Wohneigentum behalten konnten. Dabei wirkte die SPD stets mit, denn sie war die dominierende Macht in den Gewerkschaften und stellte in vielen Bundesländern die Regierungsfraktion. Die wahre Regierung hieß deshalb zumeist Vermittlungsausschuss (zwischen Bundesrat und Bundestag) und die Sozialdemokratie war nie ohne Einfluss.

SED und SPD
Die Wiedervereinigung erwischte die SPD auf dem falschen Fuß. Der saarländische SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine hatte einen guten Draht zum saarländischen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und der linke SPD-Vordenker Erhard Eppler verfasste gemeinsam mit der SED schon 1987 ein Papier, dass de Facto die Existenz der DDR anerkannte und den Wettbewerb der politischen Systeme festschrieb.

Außenpolitisch spielte die SPD in jener Zeit eigentlich keine Rolle. Man war gegen jeden Kriegseinsatz der Bundeswehr und die Aufrüstung, aber darin bestand Einigkeit zwischen allen politischen Parteien. Einzig der „Wanderprediger Bruder Johannes“ Rau fiel schon immer durch sein christlich motiviertes Engagement für Israel aus, dass die Bundeskanzler Brandt und Schmidt eher links liegen ließen.

Zurück zur deutschen Einheit. Es war folgenreich, dass der als chancenreich 1989 gestartete Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine bei der ersten gesamtdeutschen Wahl scheiterte und die SPD insbesondere bei ostdeutschen Neubürgern wegen ihrer Kungelei mit der DDR-Staatspartei nicht gut ankam.

Und dann kam Schröder. Gerhard Schröder und die „Neue Mitte“. Die Strukturkrise, in der Deutschland schon vor der Wiedervereinigung gesteckt hatte, war durch die Entscheidung von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, die Einheit nicht aus Porto-, sondern aus der umlagefinanzierten Sozialkasse zu bezahlen, ließ auch im Westen die Arbeitskosten immer weiter ansteigen, während die im Osten schon durch die Währungsunion explodiert waren. Schröder versprach Reformen, hielt sein Versprechen aber nicht, weil viele in der Partei seinem „New Labour“-Kurs nicht folgen wollten. Die Hartz-Reformen wurden aus der Not von 5 Millionen Arbeitslosen geboren, die das Sozialsystem endgültig unfinanzierbar machten. Ausgerechnet die SPD musste das Versprechen brechen, dass in Deutschland niemand seinen sozialen Standard verlieren könne, weil er arbeitslos, krank oder alt war. Das brach Schröder das politische Genick.

Jetzt ist die Sozialstaatspartei SPD in der Krise. Die alten Gassenhauer von der „sozialen Gerechtigkeit“ und der vermeintlich ungerechten Einkommensverteilung ziehen nicht mehr. Die soziale Frage ist beantwortet, die Emanzipation der Arbeiterklasse, wegen der die Sozialdemokratie einst angetreten war, gelungen.

Die Mittelschicht ächzt derweil unter der Last der Sozialversicherung. Deshalb können weite Teile der deutschen Mittelschicht kein Kapital ansparen und kein Wohneigentum erwerben. In Europa steht Deutschland in Einkommens- und Vermögensverteilung ziemlich weit hinten. Das ist die neue soziale Frage. Das schwant langsam auch dem ehemaligen Generalsekretär Olaf Scholz, der sich vom Parteichef Martin Schulz nicht länger ein u für ein o vormachen lässt. Dass die SPD an der umlagefinanzierten Sozialversicherung hängt, verwundert bei einem Blick in die Geschichte. Die hat nämlich einst der Reichskanzler Fürst Bismarck erfunden, um SPD-Wahlerfolge zu verhindern.

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