Von Dushan Wegner
Die Grünen sind stärkste Partei in der ARD-Sonntagsfrage. Machen wir uns nichts vor: Es ist das Zeichen eines Auseinanderbrechens, einer tektonischen Plattenverschiebung in der Gesellschaft.
Pangea (wörtlich: „das ganze Land“) war der letzte Superkontinent dieses Planeten – er existierte im Zeitraum von etwa 300 bis 150 Millionen Jahren vor heute – die Zahlen variieren, je nach Wissenschaftler. Pangea teilte sich auf und die Erdplatten wanderten auf der Erdoberfläche los, bis sie da waren, wo wir sie heute kennen und – so noch erlaubt – lieben.
Damals, als das erste Pangea auseinanderbrach, konnte es für Tierarten entscheidend sein, so mutmaßt mein einfacher Verstand, auf welcher Erdplatte sie sich gerade aufhielten, als es auseinanderging. (Ich denke hier an den Mauerbau durch Berlin, als die Bürger plötzlich feststellten, dass sie ab sofort in Freiheit oder im Sozialismus lebten.)
Wenn man, damals, als Pangea sich trennte, eine Maus war, wollte man nicht dort hängenbleiben, wo es besonders kalt war, denn das Fell von Mäusen ist zu dünn für die Antarktis. Viele Mäuse hatten das Pech, dort zu leben, wo auch Katzen wohnten, und wo sie bis heute gemeinsam wohnen. Manche Mäuse traf das Schicksal, dort zu leben, wo auch die Elefanten wohnen, und diese Mäuse mussten immerzu aufpassen, nicht zertrampelt zu werden.
Trump weigerte sich
Laut aktueller „Sonntagsfrage“ der Grünen-PR-Abteilung (ich meine: tagesschau.de, 6. Juni 2019) steht die Nie-wieder-Deutschland-Partei aktuell bei 26 Prozent bundesweit, also vor der CDU/CSU (25 Prozent). Die SPD rutscht übrigens auf 12 Prozent, und damit 1 Prozentpunkt hinter die AfD.
Laut einer anderen aktuellen Umfrage – welchen Wert man ihr auch beimisst – präferiert immerhin ein Viertel der Deutschen angeblich eine Grün-Rot-Rot-Koalition, Staatsfunk-Liebling und Grünen-Chef Robert Habeck soll laut Umfragen vor der CDU-Kandidatin „AKK“ stehen, die (auch in meiner Einschätzung) eigentlich als nächste Default-Kanzlerin gilt/galt.
Grundsätzliche Verschiebungen politischer Machtverhältnisse sind immer, und ganz besonders in der Demokratie, zugleich auch Anzeichen von Veränderungen in der Gesellschaft selbst. Bereits das Reden von einer grünen Kanzlerschaft ist bereits eine tektonische Plattenverschiebung – genauer: es ist das Zerbrechen eines Kontinents-in-Gedanken und der Beginn des Auseinanderdriftens.
Ein Symbol für das Auseinanderdriften von Anti-Aufklärung auf der einen Seite, und Pragmatik-in-eigener-Sache auf der anderen Seite, erlebten wir dieser Tage beim Aufeinandertreffen von Angela Merkel und Donald Trump in Portsmouth (Großbritannien).
Einige der Staatschefs der am „D-Day“ beteiligten Nationen waren zum 75. Jahrestag zusammengekommen – Putin war diesmal nicht eingeladen, anders als übrigens 2014, zum 70. Jahrestag. Am Rande sollte es eine Foto-Gelegenheit mit Merkel und Trump geben; Merkel trat verwirrt und unsicher auf, wie eine Supermarkt-Filialleiterin, die zum ersten Mal den Vorstandschef trifft – was für eine Peinlichkeit für Deutschland! – Trump aber ließ sie kältestmöglich abblitzen, er erlaubte sich sogar einen Witz auf ihre Kosten bezüglich der Gläser, in den Merkel naiv einstieg – und er weigerte sich, ihr vor Kameras die Hand zu geben.
Merkels Stichelei
Alles hat Kontext. Vor wenigen Tagen noch hatte Merkel in Harvard in einer eher peinlich floskelhaften (und von dortigen Eliten vielbeklatschten) Rede ihre Version der jüngeren Geschichte vorgestellt.
Auf eine Regierungsanfrage der AfD ist nun herausgekommen, dass Merkels Chemnitzlüge sich tatsächlich auf die gelogenen Medienberichte und ein zurechtgeschnipseltes Antifa-Video stützte, sprich: dass die Bundesregierung keineswegs über tiefere Informationen verfügte, dass also Maaßen die Wahrheit sagte, und dass Merkel also die „gefühlte Wahrheit“ von teils linksextremen Social-Media-Accounts übernahm.
Als Reaktion auf die Wahlerfolge der Grünen will Merkel, wieder mal, den Kurs ihrer Regierung wechseln; ab sofort solle es „kein Pillepalle mehr“ bei Klimapolitik geben – einerseits behauptet sie also im Umkehrschluss, bislang „Pillepalle“ betrieben zu haben, andererseits bekräftigt sie damit, dass die einzige Konstante ihrer Politik das Fehlen einer solchen ist.
Gefühlte Fakten vs. Realpolitik
Wir erleben eine neue Verschiebung unserer Erdplatten, ein Auseinanderdriften westlicher Denkweisen. Merkel und die Grünen stehen für den Teil, der „Fakten fühlt“ und dessen Ethik nie weiter als bis zum unreflektierten Bauchgefühl reicht, wie viel Leid, wie viel Ungerechtigkeit und Tote es auch später fordern mag. Trump steht – bei all seiner Fehlbarkeit – für den realistischen, demokratischen West-Politiker, der seine Prioritäten geordnet hat, beginnend mit seinem Land, dessen Sicherheit, der Wirtschaft und dem Wohl der eigenen Bürger.
Unser Pangea teilt sich, und damit ist unser Debattenkonsens gemeint, wonach wahr ist, was die Realität abbildet, und ethisch gut zu sein erfordert, was die Prüfung über das spontane Bauchgefühl hinaus besteht.
Debatte ist abstrakt, ich weiß, und „abstrakt“ klingt, als wäre es nicht eigentlich, als wäre es unecht, doch so zu denken wäre ein folgenreicher Irrtum – auch der Kontostand ist abstrakt, die Liebe und die Ethik sowieso, und alle drei üben ganz erheblichen Einfluss auf unser Leben aus, sprich: sie sind abstrakt, aber real und relevant.
In Deutschland wurden am Donnerstag mehrere Wohnungen durchsucht, weil die Betreffenden etwas vermutlich Verbotenes im Internet gepostet hatten. Unter der Überschrift „Vierter bundesweiter Aktionstag gegen Hasspostings“ schreibt das Bundeskriminalamt:
„Obwohl das Verfassen von Hasskommentaren kein Kavaliersdelikt ist, kommt es im Internet, insbesondere in den sozialen Netzwerken, häufig zu hasserfüllten und damit auch strafbaren Beiträgen.“
(Internet-Präsenz des Bundeskriminalamtes am 6. Juni 2019)
Der schwammige Begriff „Hass“
Man muss kein Jurist sein, um sich hier am Kopf zu kratzen, doch auch Juristen haben Fragen angemeldet: „hasserfüllten und damit auch strafbaren“? – Nach welchem Gesetz ist es strafbar, zu sagen, „ich hasse Faschismus“, „ich hasse Lügen“, oder „ich hasse Spinat“? Ist etwas strafbar, indem es hasserfüllt ist? Mit solchen PR-Formulierungen, die sich Orwell kaum perfider hätte ausdenken können, werden unter Umständen einige Bürger eingeschüchtert, ihre Kritik an Missständen zu äußern, also ein wichtiges Grundrecht auszuüben.
Auf Nachfrage, was genau denn den „Hass“, also eine Emotion, strafbar mache, erklärt das Bundeskriminalamt via Twitter:
„Wenn Hass so ausgelebt wird, dass er einen Straftatbestand erfüllt, ist er strafbar.“
(@bka.de, 6. Juni 2019)
Einigen fällt hier wahrscheinlich Büchners Woyzeck ein, worin ebenso klug und weise wie vom Bundeskriminalamt konstatiert wird:
„Moral ist, wenn man moralisch ist.“
(aus: Woyzeck, von: Büchner)
Ähnliches gilt für das Verspeisen von Kuchen. Ähnliches gilt für alles: Das Strafbare ist strafbar, doch warum wendet eine Behörde, welche wohlgemerkt die Mittel hat, Menschen einzuschüchtern, den keinesfalls juristisch eindeutig definierten Propaganda-Begriff „Hass“ an? – Zieht das Bundeskriminalamt nicht in Betracht, wie solche Unschärfe die demokratische Debatte und damit die Demokratie selbst beschädigen könnte? – Von der gefühlten Wahrheit zum gefühlten Recht ist es ein kleiner Schritt. Wieder gilt: Es ist ein Skandal, dass es kein Skandal ist.
Wie diskutiert man mit Behörden, deren Worte in der Bedeutung changieren, die sich in Tautologien und Umleitungen flüchten? Wie argumentiert man mit Parteien, für die jede Kritik „rechts“ und „Hass“ und damit „Nicht-Meinung“ ist? Wie überzeugt man Beamte, die es besser wissen müssen, die es wahrscheinlich besser wissen, aber denen es egal ist? (…)