Von Jörg Gebauer
Auf dem großen Witzeportal „Greser & Lenz“ konnte man jüngst sinngemäß lesen: „Straßenverkehrsordnung wird nicht geändert. Und: Draußen gibt’s wie bisher nur Kännchen.“ Das Ganze umrahmt mit den Karikaturen unserer obersten Jamaika-Koalitionäre. Im Chor geben sie das brillante Verhandlungs-Ergebnis dem Volke kund.
Man fragt sich unwillkürlich: War dies alles alternativlos? Lief die Weltgeschichte wirklich auf eine Zwangsehe zwischen Horst Seehofer und Katrin Göring-Eckardt hinaus?
Wer nur anderthalb Jahre zurückblickt, erkennt, dass es sehr wohl eine „Alternative für Deutschland“ statt der AfD gegeben hatte. Lange nämlich spielte die CSU mit dem Gedanken sich bundesweit auszudehnen. Aber zwei Dinge verhinderten dies:
Zum einen fehlte der CSU ein zweistelliger Millionenbetrag in der Kalkulation für dieses Manöver, die Insider damals auf 14 Millionen Euro schätzten. Dem rot-grün gefärbten Lande wäre – hätte die CSU den Plan ernsthaft verfolgt – eine AfD im Bundestag erspart geblieben. Allerdings hätten wir dann auch auf parlamentarische Schlagabtäusche verzichten müssen, die die Debatte im Bundestag endlich wieder beleben könnten, oder aber auch Debatten, unter denen möglicherweise das Ansehen Deutschlands leidet.
Eine bundesweite CSU wäre eine Kröte für CDU, SPD und FDP geworden. Die Prognosen standen vor anderthalb Jahren bei 22 Prozent für eine bundesweite CSU als Projekt. Die CDU hätte weder SPD (weiter) noch Grüne (neu) gebraucht. Rechnerisch hätte die Bundesregierung aus Union und FDP zusammen eine deutliche Mehrheit im Parlament gehabt.
Was war der zweite Grund, warum die CSU gekniffen hatte? Nun, man wollte die absolute Mehrheit in Bayern nicht verlieren. Denn eine im Gegenzug nach Bayern ausgedehnte CDU hätte dort etwa 15 Prozent erreicht.
Und nun? Tja, die CSU wird bei der Landtagswahl im nächsten Jahr wohl kaum 40 Prozent schaffen. Es läuft also auf eine Koalition in Bayern hinaus.
Nur hat die CSU neben sich eben keine CDU mit 15 Prozent, sondern voraussichtlich eine AfD mit 15 Prozent. Folge wird sein: Auch Söder heiratet politisch nächstes Jahr neu. Prognosen stehen auf FDP oder Freie Wähler oder gar beide. Die bayrische SPD wird sich wohl verweigern, denn das ist jetzt en vogue bei den Blass-Roten.
Ein grüner Schwanz, der mit dem schwarzen Hund wedelt? Dies ist ja gerade der Clou bei Jamaika: Dass der kleine grüne Partner sich bei allen Unions-Themen querstellt und die Bayern-Union – auch bundesweit – alt aussehen lässt.
FDP wärmt ihre nicht eingehaltenen Versprechen wieder auf
Selbst eine FDP als Koalitionär der CDU hat unterm Strich nicht wirklich etwas zu bieten. Es heißt jetzt überall: „Digitalisierung“. Was soll das überhaupt bedeuten? Schnelles Internet überall im Lande? Zum Schieflachen. Das wurde bereits 2009 dem Wahlvolk versprochen. Nichts wurde von der FDP damals durchgesetzt.
Dann wieder Versprechungen 2013: Jetzt aber, so hieß es… Und dann ein drittes Mal in diesem Jahr. Nun denn, SPD und CDU haben es nicht geschafft. Aber Christian Lindner hatte seine Steilvorlage mit diesem Thema bei den jungen Leuten.
Womit kann man punkten? Fragen sollten sich dies zumindest alle Partei-Strategen angesichts der „IPO“, der neuen „Innerparlamentarischen Opposition“ namens AfD-Fraktion.
Mit Pauschalbeleidigungen gegen alle Ostdeutschen wird man es nicht schaffen. Ein rheinischer Journalist der zweiten medialen Regional-Liga, der bisher in seinem Leben bestenfalls drei- oder viermal im Osten war, soll ruhig weiter versuchen die Sachsen verächtlich zu machen. In einem Bundesland, das bei den meisten PISA-Studien auf Platz 1 steht, wird er damit ungewollt die AfD noch befeuern, die zwischen Zittau, Leipzig und Plauen in 2 Jahren womöglich den Ministerpräsidenten stellen wird.
Der Wessi will‘s nicht glauben? Eine AfD mit 35 Prozent bei den Landtagswahlen 2019 wird den Regierungschef in Sachsen stellen, wenn die Linkspartei dort noch wenigstens auf 13 Prozent käme. Wer’s immer noch nicht glaubt, der soll zumindest so konsequent sein und sagen: „Ja, ich gehe von einer Koalition in Sachsen bestehend aus CDU, SPD, FDP und Linkspartei aus“. Denn das wäre dann wohl die einzige Alternative.
Nur die Grünen bleiben vom Erfolg der AfD unberührt
Die Wahrheit ist doch: Alle Parteien leiden unter der Konkurrenz um Wählerstimmen mit der AfD. Alle, außer den Grünen. Das sind die neuen Antipoden: die Grünen und die AfD.
Nicht etwa der Bürger ist heute weiter links als vor 15 Jahren, nur die Parteien sind es. Das Wahlvolk ist auch nicht nach rechts gerückt. So immerhin lautet das Ergebnis der Leipziger Universitäts-Studie namens „Mitte 2016 – autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“. Das Bemerkenswerte daran: Es wurde geforscht und gehobelt. Es wurde analysiert und mit allen Methoden gearbeitet, nur um den deutschen Wählern etwas „Rechtes“ anzudichten. Beim besten Willen aber wurde nichts gefunden, um die Deutschen und speziell die Ostdeutschen in ihrer Gesamtheit zu diskreditieren.
Es ließen sich einfach zahlenmäßig nicht mehr Rechtsextreme in der Bevölkerung finden als in den Jahren zuvor. Wörtlich: „Es ist keine Zunahme rechtsextremer Einstellung festzustellen. Der Anteil an Menschen, bei denen sich rechtsextreme Ideologie in der Einstellung wiederfindet, ist seit 2014 nicht gewachsen. Seit 2006 (Langzeit-Betrachtung) ist er sogar gesunken.“
Stattdessen wurde ein Problem in der Wählerschaft der beiden ehemaligen („großen“) Volksparteien ermittelt. Zitat Studie: „Ausländerfeindlich Eingestellte, wie auch manifest Rechtsextreme blieben über die Jahre seit 2002 weiterhin bis heute den großen demokratischen Parteien SPD und CDU verbunden.“
Man kann mit einem gewissen Grad an Vernetzung die aktuellen internen Debatten bei CDU und SPD verfolgen. Die „Freunde“ und „Genossen“ ahnen aber immer noch nicht, was ihnen noch alles blüht.
Sie schlafen den Schlaf der politisch unbeseelten Seligen. Dem dümmlichen „Weiter so“ sei entgegengesetzt: Kennen SPD und Union überhaupt ihre bisherigen Stamm-Wähler?
Die Bundestagswahl war doch nur eine Gelbe Karte mit Gongschlag. Bei einem „Weiter so“ in den nächsten 4 Jahren werden die beiden alten Volksparteien nochmals deutlich Federn lassen:
Eines ist der CDU/CSU vielleicht noch nicht klar: Konservative und patriotische Unions-Wähler konnten mit einer „Großen Koalition“ noch gerade so leben. Dies gilt auch für die vielen kleinbürgerlichen sowie die dem althergebrachten Christentum verbundenen Wähler von CDU und CSU.
Dafür gab es 3 Gründe: Die „soziale Frage“, die große Geschichte der SPD (vor der man Respekt hatte) und die staatspolitische Einsicht in das Funktionieren sowie die Notwendigkeit von stabilen Regierungen und möglichst wenig Reibungsverlusten zwischen dem Bund und den Bundesländern.
Interessanterweise kann man all dies genauso auch über bisherige Wähler der SPD sagen. Auch hier: Die Sorgen um Heimatland und Sozialstaat sind stark ausgeprägt bei den „kleinen Leuten“.
Auch – und das verdrängt die SPD gerne – gibt es unter ihren Wählern viele Kleinbürger und wenig „Internationalisten“. Eine Koalition von CDU und CSU mit der FDP und den Grünen stößt genau diesen bisherigen Unions-Wählern vor den Kopf. In dieser Zielgruppe will man keine weiteren Experimente. Man will ein klares Bekenntnis zum Heimatland.
Frömmigkeit ist zwar fast überall „out“. Aber es soll nicht umschwenken in eine aggressive Atheismus-Kultur. Lasst zumindest den Weihnachts-Markt nicht zum „Winterfest“ verkommen – so denkt man. Die Sorge um die bereits eingezahlten Sozial-Beiträge, insbesondere die Renten-Beiträge, treibt die Stammwähler der alten Volksparteien um:
Was also kann man von einer „Jamaika-Koalition“ erwarten, bei der zu einem erheblichen Teil die Mitglieder der vier beteiligten Parteien – also nicht deren Wählerschaft – aus Beamten, Selbständigen und Rentnern besteht?
Beamte und Selbständige zahlen bekanntlich nichts in die Sozialkassen ein. Diejenigen, die bereits Rentner sind, zahlen jetzt auch nichts mehr ein. Dies steht im krassen Gegensatz zu den 30 Millionen Beschäftigten in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträgen – samt ihrem familiären Anhang.
Hier liegt der Haupt-Dissens zwischen Wählerschaft der Union und Mitgliedern der Jamaika-Parteien.
Man will zudem – gerade in der Stamm-Wählerschaft der Union – keine weitere Verwässerung des althergebrachten Christentums in Richtung „Gutmenschen-Sekte“ und pathetischer „Willkommens-Kultur“. Familienwerte sollen hochgehalten werden statt „Früh-Sexualisierung“ und Schweinefleisch-Verbot in der Schulmensa.
Auch die SPD-Wähler sind viel „rechter“ als die Parteiführung
Diese kleinbürgerliche Wähler-Zielgruppe macht mehr als 50 % der Unions-Wähler aus. Auch bei der bisherigen SPD-Wählerschaft dürfte es sich um mehr als die Hälfte der Stammwähler handeln. Alles treue Stammwähler, die noch einmal knapp (und das mit der Faust in der Tasche) die alten Volksparteien gewählt haben.
Eine Koalition der Union mit FDP und Grünen bedeutet: (noch mehr) Internationalismus, noch mehr überzogener „Europa-Fetisch“, noch weniger althergebrachte christliche Werte, noch mehr Experimente in der Kinder-Erziehung der Schulen, noch mehr Strapazierung des Sozialstaates.
Es wird von der Haupt-Wählergruppe der CDU weiters befürchtet:
Eine zunehmende Verschwendung der von den kleinen Leuten eingezahlten Sozialbeiträge, eine letztendlich misslingende Integration, millionenfacher Familien-Nachzug. Dies obwohl die tatkräftigen jungen männlichen Migranten jetzt wieder ihre Länder aufbauen könnten und sollten.
Man will keine weiter noch steigenden Strompreise. Man will wenigstens in jedem Dorf eine Strom-Tankstelle sehen, ehe über eine Pflicht-Quote für E-Autos und ein Diesel-Verbot schwadroniert wird.
Man will keine zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeits- und auf dem Wohnungsmarkt. Warum soll die Integration der Migranten überhaupt gelingen – was, wenn sie nicht klappt? Sollen die Kinder und Enkel der Unionswähler noch mehr Konkurrenz zu spüren bekommen?
Die Quintessenz in dieser Haupt-Wählergruppe ist und bleibt seit nunmehr zwei Jahren: Will ich überhaupt, dass die Flüchtlinge bzw. Wirtschafts-Migranten voll integriert werden? Was habe ich davon – selbst wenn diese Integration tatsächlich gelingen sollte? – Wollte Deutschland denen doch anfangs ausschließlich humanitär helfen, bis sie wieder in ihre Länder zurückkehren können.
All diese Themen beunruhigen die vielen kleinbürgerlichen Wähler in Deutschland. Eine Koalition von CDU, CSU, FDP und den Grünen bedeutet in den Augen dieser Wähler erst einmal:
Mehr Konkurrenz, mehr Verlust des Vertrauten und weitere Verschwendungen von Sozialbeiträgen. Vermutlich erst 2021 werden die Koalitionsparteien verstehen, dass die Frage „Wie können wir unsere verlorengegangen Wähler zurückgewinnen?“ ihr kleinstes Problem war. Dann werden sie merken, dass sie sich viel zu spät die Frage gestellt haben „Wie können wir die noch verbliebenen Wähler halten?“.
Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.
Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.