Der Siemens-Chef spielt sich in Deutschland gern als politisch-moralische Instanz auf – im Ausland hingegen paktiert er bedenkenlos mit blutigen islamischen Mördern.  

November 9, 2018 – 1 Kislev 5779
Die fragwürdige Moral des Joe Kaeser

Von Thomas Rietzschel

Das gute Gewissen gibt es nicht zum Nulltarif. „Unsere Werte“, gern beschworen, verlieren ihren Wert, wenn sie uns nichts mehr wert sind, nicht einmal den Verzicht auf das eine oder andere Geschäft. Wer nichts dabei findet, mit Henkern und Folterknechten zu handeln, solange die Kasse stimmt, pfeift selbst auf die Moral.

Der ökonomische Pragmatismus rechtfertigt jegliche Kumpanei. Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, der diesjährigen Investoren-Konferenz in Riad fernzubleiben, beeilte sich der Siemens-Chef Joe Kaeser (der eigentlich Josef Käser heißt) den Saudis zu versichern, dass dies „keine Entscheidung gegen das Königreich“ sei: Siemens bleibe „ein verlässlicher Partner“.

Höflichst bat der Boss die Majestäten um Verständnis. Nach dem Wirbel um den Fall Khashoggi sei die Absage unumgänglich gewesen. „Hunderte, wenn nicht Tausende“ Mails hätten ihm dazu geraten. Der Manager sah sich zu einer Entscheidung genötigt, die er selbst für die „einfachste“, nicht für die „mutigste“ hält. Denn: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“

Kopf ab zum Gebet
Kurzum, ist erst einmal Gras über die Sache gewachsen, das journalistische Interesse an der barbarischen Exekution des saudischen Journalisten erlahmt, wird Joe Kaeser den Scheichs wieder seine Aufwartung machen. Es muss ja nicht gerade an einem Freitag sein, wenn auf dem Al-Safah-Platz in Riad für gewöhnlich die öffentlichen Enthauptungen mit dem Krummsäbel stattfinden, auf der linken Seite die der Frauen, rechts die der Männer. Wenigstens 48 waren es laut „Human Rights Watch“ in der ersten Hälfte dieses Jahres. Auch gelegentliche Auspeitschungen sorgen weiterhin für die Unterhaltung der Moslems nach dem Freitagsgebet.

Sie dabei mit geschäftlichen Belangen zu belästigen, wäre eine Geschmacklosigkeit. Sie würde das Verhandlungsklima stören. Unverzeihlich! Geht es doch immerhin um den friedlichen Welthandel, gerade derzeit um ein Abkommen, von dem Joe Kaeser sagt, dass es seinem Unternehmen bis 2030 rund dreißig Milliarden eintragen und „Tausende von Arbeitsplätzen“ sichern werde, nicht zuletzt in Saudi-Arabien. Welche Verantwortung auf den Schultern des Managers lastet, kann man sich gut vorstellen.

Und es ist ja nicht bloß Siemens, dem Jamal Khashoggi damit, dass er sich hat „versehentlich erwürgen“ lassen, einen Strich durch die Rechnung zu machen droht. Auch die deutsche Rüstungsindustrie muss plötzlich um ihre staatlich genehmigten Waffenexporte bangen, zumal die Bundeskanzlerin angekündigt hat, „in diesem Zustand“ keine weiteren Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu gestatten. Vorsorglich offen ließ sie dabei, ob die Abwicklung der bereits geschlossenen Verträge ebenfalls gestoppt werden soll. Auch sie will sich nicht wegen eines tragischen Einzelfalls Hals über Kopf aus der Verantwortung für die Auslastung der deutschen Wirtschaft stehlen.

Kleinvieh macht auch Mist
Auf 416 Millionen Euro soll sich der Gesamtwert der deutschen Waffenlieferungen in das arabische Königreich 2018 belaufen. Peanuts, verglichen mit dem, was uns Joe Kaeser für die Lieferung technischer Ausrüstungen bis 2030 in Aussicht stellt. Allein, selbst dies wäre, wenn das Geschäft ausfiele, für die deutsche Volkswirtschaft weniger ruinös, als die Zahl glauben machen soll.

Aber nehmen wir einmal an, alles liefe entgegen aller Erfahrung wie geplant, dann würden die 30 Milliarden, auf zwölf Jahre verteilt, per anno lediglich einen Umsatz von 2,5 Milliarden ergeben. Das sind keine drei Prozent von den rund 88 Milliarden, die Siemens 2018 global umsetzt. Doch Kleinvieh macht eben auch Mist.

Dass sie nicht ökonomisch verantwortungsvoll taktieren würden, kann man weder unseren regierenden Politikern noch Joe Kaeser oder sonst jemandem vorwerfen, der sich auf einen Deal mit den Saudis einlässt. Alle haben sie wohl ihren Brecht gelesen, dessen Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ singt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

Ob sie den alten Zyniker auch verstanden haben, steht auf einem anderen Blatt.

Zuerst erschienen bei der „Achse des Guten“ (achgut.com)

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