Weltweit gibt es nur in Jerusalem und Budapest eine größere als die Große Synagoge von Pilsen. Damit gehört sie zu den jüdischen Weltdenkmälern und ist eine von fünf Synagogen, die jemals in Pilsen gebaut wurden. Dies spricht für die Bedeutung des europäischen Judentums in dieser Stadt.
Die Stadt mit ihren etwa 170.000 Einwohnern, etwa 90 km südwestlich von Prag gelegen, ist außer als Wiege des Pilsner Bieres weltbekannt für die Skoda-Werke, die gleich zu Beginn des Industriezeitalters Mitte des 19. Jahrhunderts hier entstanden. Auch die bekanntesten tschechischen Marionettenfiguren Spejbl und Hurvinek erblickten in Pilsen vor 90 Jahren das Licht der Welt, sowie ein paar Jahre später auch der Sänger Karel Gott.
Trotz eines strengen katholischen Glaubensmonopols lebten die Juden bis 1504 relativ ungestört und ohne Abgrenzung durch Mauern in einem Ghetto auf zwei Straßen im Nordwesten der Stadt. Danach wurden sie auf Erlass der Ratsherren der Stadt hinaus in die Umgebung vertrieben. Erst 1848 führte eine Religionsreform des österreichischen Kaisers Joseph II. zur Rehabilitation der Juden als gleichberechtigte Bürger mit freier Religionsausübung und ermöglichte somit eine Neugründung der jüdischen Gemeinde in Pilsen. Innerhalb von 60 Jahren stieg dann die Anzahl der jüdischen Bevölkerung auf einen Höchststand von fast 3.500 im Jahr 1910.
Weil durch die jahrhundertelange Verbannung keine der früheren drei Synagogen in Pilsen mehr erhalten war, wurde im Jahr 1859 eine neue erbaut, etwas versteckt vor dem öffentlichen Leben, auf dem Hinterhof des bebauten Grundstücks Nr. 80 am zentralen Stefansplatz (Štěpánskénáměstí). Da sie nur Platz für 250 Personen hatte, kam ein paar Jahre später – durch einen Gang verbunden – nebenan eine Hilfssynagoge dazu, die von reformierten Juden bewohnt wurde. Den Gottesdiensten diente der Komplex nur knapp 25 Jahre lang, bis man die neu errichtete Große Synagoge zu nutzen begann. Die Alte Synagoge wurde als Lager zweckentfremdet und entkam im 20. Jahrhundert wohl auch deswegen der Zerstörung.
Der Grundstein für die Große Synagoge wurde 1888 an einer Hauptverkehrsader entlang der früheren Stadtmauer gelegt. Ursprünglich sollte sie im gotischen Stil mit zwei 65 Meter hohen Türmen gebaut werden. Dieser Entwurf wurde jedoch vom Stadtrat abgelehnt, da im Vergleich zur katholischen St. Bartholomäus-Kathedrale auf dem zentralen Marktplatz die Türme zu hoch waren. Der Baustil wurde komplett geändert: Die Türme wurden auf 42 Meter reduziert und bekamen eine Zwiebelform. 1893 war der Bau fertig und zeigte sich als eine Mixtur aus neoromanischen und Neorenaissance-Elementen mit orientalischen Motiven.
Ähnlich einer christlichen Kirche besteht der Grundriss aus einem langen Mittelschiff mit 2000 Sitzplätzen für die Männer. Darüber waren Emporen, wo während des Gottesdienstes die Frauen standen. Das Rednerpult befindet sich mittig vorne. Dort ist auch der Thoraschrank mit Ehrenbänken zu beiden Seiten. Getrennt nach deutscher und tschechischer Volkszugehörigkeit saßen dort in den 20er und 30er-Jahren die Rabbinerfrauen. Weil der Anteil der deutschen und tschechischen Juden ungefähr gleich war, wurde die Sprache des Gottesdienstes wöchentlich gewechselt. Früher als Wintergebetsraum genutzt, zog sich dorthin nach dem Zweiten Weltkrieg die stark dezimierte Gemeinde zum Gottesdienst zurück.
Ungewöhnlich für eine Synagoge ist, dass sie von Anfang an mit einer Orgel auf der Empore ausgestattet wurde. Leider ist sie heute nicht mehr funktionsfähig, da Geld für eine Reparatur fehlt.
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Pilsen etwa 3.200 Juden und machten somit 2,5 % der Bevölkerung aus. In drei großen Deportationswellen wurden im Januar 1942 etwa 3.000 Juden aus Pilsen und Umgebung nach Theresienstadt und andere Konzentrationslager verschleppt. Nur 204 von diesen schafften es zu überleben und nach Pilsen zurückzukehren. Direkt nach Kriegsende wurde im Mai 1945 die jüdische Gemeinde in der Großen Synagoge wiedergegründet und diente als Sammelbecken für Juden auch aus anderen Regionen, u.a. aus den Karpaten.
Mehr als die Hälfte der wieder auf 293 Personen angewachsenen jüdischen Gemeinde verließ Pilsen jedoch wieder im Februar 1948 in Richtung Amerika und im Jahr 1949 in den neugegründeten Staat Israel. Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Tschechien gab es eine weitere Emigrationswelle im Jahr 1968 aus Angst vor erneuter, nämlich kommunistischer Diktatur.
Während der kommunistischen Zeit war die Große Synagoge dem Verfall preisgegeben und musste geschlossen werden. Der letzte Gottesdienst fand dort im Jahr 1973 statt. (...)
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