Schon in München war ich Mitglied im bei ver.di organisierten deutschen Schriftstellerverband gewesen. Diese Mitgliedschaft nahm ich nun nach Berlin mit. Davor war ich seit meiner Ankunft in Deutschland 1988 Mitglied im Übersetzerverband gewesen, beide unter der Ägide erst der IG Medien, später wurde daraus ver.di.
Da ich schon in Heidelberg wie am Fließband Bücher übersetzte, zwischendurch das Abendgymnasium besuchte und anschließend studierte, hatte ich kaum Zeit, im Berufsverband irgendwie ehrenamtlich oder anders aktiv zu werden. Ich las immer nur brav alle Mitteilungen, nahm hin und wieder an den Mitgliederversammlungen und dachte sonst vor allem an meine Arbeit. Das hat mir einige Nachteile eingebracht. Denn als ich mich bei den Übersetzern um einen Preis für mein Lebenswerk bewarb, immerhin hatte ich zu jenem Zeitpunkt schon 300 Bücher vor allem ins Deutsche übersetzt, erhielt statt meiner eine halb so alte Kollegin diesen Preis für ihr Lebenswerk, gerade einmal 40 Bücher hatte sie übersetzt!
Empört trat ich aus diesem Verein aus. Der damalige Vorsitzende rief mich an, um nachzufragen, warum ich austreten wolle. Ich erzählte ihm von meiner Empörung und äußerte meinen Verdacht, mit Preisen würden anscheinend vor allem jene Mitglieder bedacht, die etwas für den Verband täten. Indirekt stimmte er mir zu. Na gut, dachte ich mir, mit solch einem Verein will ich nichts zu tun haben.
In Berlin engagierte ich mich genauso wenig aktiv wie zuvor in Heidelberg oder München im Verband. Inzwischen war man allerdings bestens vernetzt, sodass praktisch keine Woche verging, ohne dass man Nachrichten per E-Mail erhielt, in denen Wichtiges vom Geschäftsführer oder dem einen oder anderen Mitglied mitgeteilt wurde. Auf diese Weise bekam man als Mitglied eher mit, was sich im Verband so alles tut. Es wurden Ausschreibungen für Literaturpreise veröffentlicht, Ankündigungen von literarischen Veranstaltungen in Berlin wurden verschickt, und hin und wieder gab es kurze Diskussionen unter den rund 1.000 Mitgliedern über die Richtung, die der Verband einschlagen sollte; aber auch durchaus ideologische Fragen wurden unter den Mitgliedern diskutiert.
Die Grass-Debatte 2012
Im Jahr 2012 dann die Kontroverse um Günter Grass und das unsägliche antiisraelische Gedicht des greisen Mannes: Es sorgte für den voraussehbaren Eklat in der breiten Öffentlichkeit – und im Dezember 2012 für den gesammelten Glückwunsch des Schriftstellerverbands an besagten Nobelpreisträger zur Ehrung zum „Europäer des Jahres“ (verliehen von der dänischen Europabewegung). Die selben Preisverleiher hatten zuvor bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel, den früheren deutschen Außenminister Joschka Fischer und den ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso mit diesem Ehrentitel bedacht. Den Worten der Verleiher zufolge hat Günter Grass „sich engagiert und gelegentlich streitbar in die kritischen Auseinandersetzungen der europäischen Politik und Kultur eingebracht.“ Nicht im Glückwunsch des Schriftstellerverbands steht, dass Günter Grass diesen Preis auch und vor allem für „seinen Mut“ bekommen hat, den er mit seinem Gedicht bezeugt, in dem er bekennt, er könne nicht länger schweigen, sondern müsse Israel als Gefahr für den Weltfrieden anprangern.
Die ver.di-Bundesbeauftragte für Kunst und Kultur gratulierte im Namen des VS (Verband deutscher Schriftsteller) und der künstlerischen Fachgruppen in ver.di dem Schriftsteller, Künstler und europäischen Kulturbürger Günter Grass sehr herzlich zu dieser Ehrung.
Die einzige, die im Schriftstellerkreis, über die allen Schriftstellern bei ver.di zugängliche E-Mail, öffentlich gegen diese Gratulation protestierte, war ich.
Hier sind einige interessante Antworten von Seiten der Mit-Schriftsteller, die ich in der Folge erhielt:
„Obwohl ich denke, dass Grass sich viel zu spät über seine SS-Vergangenheit geäußert hat, war ich und bin ich mit seinem Gedicht einverstanden. Er hat einen Tabubruch begangen, der in diesem Land nötig ist.“ – Dazu habe ich nachgefragt: „Welcher Tabubruch?“ Eine Antwort habe ich nicht erhalten.
Ein anderer Kollege schrieb zu meinen Protesten: „Ich finde die Kollegin Magall anmaßend.“ Warum anmaßend, erlaubte ich mir zurückzumailen. Eine Antwort habe ich nie erhalten.
Aber es gab auch Zustimmung: „Ich gebe Ihnen Recht: Sie persönlich und mit ihnen sehr, sehr viele andere müssen nicht hinnehmen, was Grass da geschrieben hat.“ Na, danke schön für diese Worte. Sie sind Balsam für die Seele.
Kurz darauf meinte derselbe Kollege jedoch, mich tadeln zu müssen: „Meine Haltung zu Israel ist sehr viel differenzierter als die Ihre, die sich auf inhaltliche und politische Diskussionen gar nicht mehr einlässt. ... Nun denke ich: außer Israel-Lobpreisungen und Palästina-Verdammnissen um jeden Preis ist von Ihrer Seite kaum etwas zu erwarten.“
Ich bin durch die letzten E-Mails mit diesem Herrn gegangen: Für das, was er mir hier vorwirft, gibt es keinerlei Belege. Aber in Schriftstellerkreisen verallgemeinert man anscheinend gerne und projiziert noch viel lieber die eigenen Gedanken auf andere. Darauf wird nun zurückzukommen sein.
Und das geschieht nun im Folgenden mit dem nächsten Shitstorm, dem ich in diesem Forum, der internen E-Mail-Anschrift aller bei ver.di vereinten deutschen Schriftsteller, ausgesetzt war. Dafür mussten drei Themen herhalten: Das erste waren die Messerangriffe, die vor allem von „palästinensischen“ Kindern und Jugendlichen auf jüdisch-israelische Zivilisten hauptsächlich in Jerusalem (aber nicht nur dort) vom Sommer 2015 an verübt wurden.
Ich schickte mehrere entsprechende Mitteilungen unter anderen der israelischen Botschaft, den wöchentlichen „ILI-Nachrichten“ und noch ein oder zwei andere Nachrichten an alle Mitglieder mit der Bitte, diese Angriffe doch bitte öffentlich zu verurteilen.
Dazu erhielt ich gleich mehrere Antworten, die meisten hatten nichts dagegen, dass jüdisch-israelische Zivilisten einfach so abgestochen wurden: Im November 2015 erklärte die schon oben zitierte Kollegin, die dem Grass’schen „Tabubruch“ zustimmt:
„Religiöser Fundamentalismus ist gefährlich.: In Israel ... vergiften religiös fanatische jüdische Siedler und ebenso Politiker das Leben / den Alltag der palästinensischen / israelischen arabischen Bevölkerung ... Aus diesen Gründen entstehen Messerangriffe u.a., die ich auch nicht gutheißen will, sie sind jedoch aus der israelischen Besatzung der Westbank und des Gazastreifens entstanden ...“ (…)
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