Von Rabbiner Elischa Portnoy
Während des Pessach-Festes und insbesondere beim Seder sprechen wir viel über den Auszug aus Ägypten. Es wird ausführlich besprochen, wie die Juden in Ägypten versklavt wurden, wie Mosche und Aharon gegen den Pharao angetreten sind und durch viele Wunder das jüdische Volk befreit haben.
Doch was ist mit den Frauen? Wo ist ihr Platz in dieser Geschichte? Waren auch Frauen versklavt? Haben auch sie für die Befreiung gekämpft?
Die Rolle der jüdischen Frauen ist in der Hagada tatsächlich nicht so offensichtlich, denn sogar die vier berühmten Protagonisten dort sind ja Söhne (Der Weise, der Böse, der Einfältige, und „derjenige, der nicht fragen kann“). Nur wenn man diejenigen Stellen im Talmud und in Midraschim betrachtet, die den ägyptischen Exodus analysieren, findet man viele erstaunliche Fakten, die die Rolle der Frauen während jener Ereignisse schildern.
Großes Lob von den Weisen
Und tatsächlich gibt es nicht viel Ereignisse in der jüdischen Geschichte, bei denen die Frauen mit so viel Lob für ihren Mut, ihre Hingabe und ihren festen Glauben an G’tt von unseren Weisen überschüttet wurden. Es geht so weit, dass im talmudischen Traktat „Sota“ folgende Aussage zu finden ist: „Im Verdienst der gerechten Frauen von jener Generation wurden die Juden aus Ägypten erlöst“!
Womit haben sich die Frauen diese Komplimente verdient?
Beginnen muss man mit dem Fakt, dass nicht nur die jüdischen Männer, sondern auch die Frauen unter der Sklaverei im Ägypten gelitten haben. Unsere Weisen berichten, dass für die Ägypter nicht nur das eigentliche Resultat der Arbeit wichtig war, sondern auch die Juden durch diese Arbeit physisch und seelisch zu zerbrechen. Deshalb erklären unsere Weisen den Vers „Darum zwangen die Ägypter die Kinder Israel mit Grausamkeit zur Arbeit“ (2. Buch Mose 1,13) damit, dass die Männer Frauenarbeit verrichtet mussten und die Frauen die Männerarbeit. Das war für sie ungewohnt, und daher sehr kräfteraubend.
Aber nicht nur die schwere körperliche Arbeit machte den Frauen zu schaffen. Viel mehr haben jüdische Frauen in Ägypten gelitten, wenn ihre Jungs auf Befehl vom Pharao in den Nil geworfen wurden. Deshalb werden die Frauen von unseren Weisen auch extra dafür gelobt, dass sie ihre Hoffnung nicht verloren haben, und trotzdem ihre Ehemänner zur Kinderzeugung inspiriert haben und dafür sorgten, dass das jüdische Volk in Ägypten sich außerordentlich vermehrt hat.
Die Frauen werden auch dafür von unseren Weisen gepriesen, dass sie in einem so verdorbenen Land, wie es Ägypten damals war, die hohen jüdischen moralischen Werte bewahrt haben und sittsam und ihren Männern treu geblieben sind. Die Thora bezeugt im 3. Buch Mose 24,10, dass nur eine Frau während der Sklaverei ein Kind von einem Ägypter geboren hat. Die starke Haltung der Frauen hat auch dazu beigetragen, dass die Juden während dieser Zeit ihre Namen, ihre Sprache und traditionelle jüdische Kleider nicht geändert haben.
Eine große Prophetin
Aber sogar unter all diesen heldenhaften Frauen ragt die Persönlichkeit von Miriam heraus.
Die Prophetin Miriam, Schwester von Mosche und Aharon, wird in der Thora mehrmals erwähnt. Jedoch eröffnen uns nur die Überlieferungen unserer Weisen die besonders spannenden Einblicke in das faszinierende Leben dieser mutigen Frau, das sinnbildlich für das Leben aller Frauen jener großartigen Generation steht.
Es wird überliefert, dass gerade nach der Geburt von Miriam eine starke und unmenschliche Unterdrückung des jüdischen Volkes seitens der Ägypter begonnen hat. Darauf weist selbst der Name von Miriam hin: die Ägypter haben das Leben der Juden „bitter“ (mareru) gemacht.
Als Miriam noch klein war, hat sie ihrer Mutter Jochewed, die eine bekannte Hebamme war, bei der Arbeit geholfen. Als der Pharao die Geburt des jüdischen Erlösers verhindern wollte, und dabei „sauber“ bleiben wollte, beauftragte er damit jüdischen Hebammen: „Und der König von Ägypten redete mit den hebräischen Hebammen, deren eine Schifra, die andere Puah hieß. Er sprach: Wenn ihr die Hebräerinnen entbindet, so sehet auf der Stelle nach; ist es ein Sohn, so tötet ihn, ist es aber eine Tochter, so lasset sie leben!“ (2. Buch Mose 1,15-16). Unsere Weisen deuten die so, dass Schifra und Puah die ägyptischen Namen von Jochewed und Miriam waren. Und die tapferen Hebammen haben sich trotz des erheblichen Risikos dem Befehl vom Pharao widersetzt: „Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie ihnen der ägyptische König befohlen hatte, sondern ließen die Kinder leben“.
Miriams Rolle bei der Geburt von Mosche
Als der Pharo schlussendlich alle Ägypter dazu aufgerufen hat neugeborene Jungs zu töten, entschied sich Amram, der Vater von Miriam, sich von seiner Frau zu scheiden, um keine Kinder mehr zu bekommen. Da er aber Gadol haDor (größte halachische Autorität jener Generation) war, folgten ihm alle Männer.
Da stand die junge Miriam mutig und entschlossen auf und kritisierte ihren Vater scharf. Er sei noch schlimmer als der Pharao, sagte sie: wenn der Pharao nur Jungs töten möchte, so verdamme Amram durch seine Entscheidung auch die Mädchen. Und ob sich der Pharao mit seinem Vorhaben noch durchsetzt, sei ungewiss, jedoch gebe die Entscheidung von Amram den Kindern überhaupt keine Chance mehr.
Ihr Vater gab seinen Fehler zu und heiratete seine Frau Jochewed wieder, was die Geburt von Mosche nach sich zog. Jedoch lauerten die Spione des Pharaos überall und das Verstecken des neugeborenen Mosche war nicht mehr zu gewährleisten. Deshalb wagte Jochewed einen verzweifelten Schritt: „Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr, und verklebte es mit Lehm und Pech, tat das Kind darein, und legte es in das Schilf am Gestade des Flusses“ (2. Buch Mose 2,3).
Die Tochter des Pharaos wird ausgetrickst
Und wieder schlägt die große Stunde von Miriam: aufopferungsvoll verfolgt sie das Kästlein mit dem Bruder bei seinen Trip den Fluss entlang und beobachtet, wie dieses Kästlein von Pharaos Tochter Batja gefunden wird. Tapfer tritt Miriam an Batja heran und bietet ihr eine Stillfrau für das gefundenes Kind an. Pharaos Tochter nimmt dieses Angebot gern an und Mosche wird dank Miriam von der eigenen Mutter, Jochewed, großgezogen! Ihre Belohnung dafür bekam Miriam viele Jahre später bei der Wanderung durch die Wüste: als sie unabsichtlich mit ihrem Bruder Aharon falsch über ihren großen Bruder Mosche spricht, wurde sie von G’tt mit Tzaarat-Hautkrankeit bestraft und muss für sieben Tage das jüdische Lager verlassen. Trotzdem veranlasst G’tt, dass das ganze jüdische Volk auf Miriam diese sieben Tage lang wartet und nicht weiterzieht!
Bemerkenswert ist, dass in der ganzer Geschichte über die Rettung von Mosche, Miriam in der Thora kein einziges Mal beim Namen genannt (nur Schwester bzw. Mädchen)! Damit offenbart uns die Heilige Schrift, dass wenn es um Hilfe für andere geht, Miriam bereit ist sich ohne Wenn und Aber zu opfern.
Zu groß für den Todesengel
Die Verdienste von Miriam waren so groß, dass laut der Überlieferung nur dank ihr die Juden bei der Wanderung in der Wüste einen wunderbaren Brunnen bekamen.
Sogar bei der Beschreibung ihres Todes weist die Thora auf ihre außergewöhnliche Frömmigkeit hin, wie es der große Thora-Kommentator Raschi zu Vers 20:1 im Sefer Bemidbar bringt: Miriams Seele wurde nicht durch Todesengel aus dieser Welt genommen, sondern durch G’tt selbst.
Vorbild für die Generationen
Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade Miriam das Loblied der Frauen an G’tt nach der Erlösung aus Ägypten angeführt hat: „Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm die Handpauke in ihre Hand, und alle Weiber folgten ihr nach mit Handpauken und im Reigen“ (2. Buch Mose 15,20). Unsere Weisen bemerken dazu, dass diese gerechten Frauen so fest an die G’ttliche Rettung glaubten, dass sie sogar Musikinstrumente in die Wüste mitgenommen haben!
Aus dieser Sicht scheint die Aussage unseren Weisen „Im Verdienst der gerechten Frauen … wurden die Juden aus Ägypten erlöst“ nicht übertrieben.
Der 7. Ljubawitscher Rebbe (Rabbi Menachem Mendl Schneerson, 1902-1994) hat mehrmals betont, dass auch in unserer Generation Frauen genug Glaube und Kraft besitzen, um Maschiach zu bringen.
Vielleicht können gerade die inspirierenden Vorbilder unserer Vormütter, die solch großartigen Taten beim Auszug aus Ägypten vollbracht haben, unsere Frauen dazu zu bringen, mehr an sich zu glauben, sich mehr im Geistigen zu trauen und damit dem jüdischen Leben neue entscheidende Impulse zu geben.
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