Der Tourismusminister René Trabelsi ist das einzige jüdische Regierungsmitglied in der gesamten arabischen Welt  

Dezember 7, 2018 – 29 Kislev 5779
Tunesiens jüdischer Minister

Von Andreas Edom und Janet Ben Hassin

Nicht zuletzt seitdem am vergangenen 5. November der djerbische Jude René Trabelsi vom tunesischen Parlament zum Minister für Tourismus gewählt wurde, wird deutlich, wie sehr Juden am öffentlichen Leben dieses Landes teilhaben, obwohl sie heutzutage mit weniger als einem Zehntel Prozent einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen.

Die jüdische Präsenz in Tunesien hat eine lange Geschichte: Schon nach der ersten Zerstörung des Salomon-Tempels in Jerusalem durch die Babylonier sollen die ersten Juden im Jahr 586 v.d.Z. über Ägypten nach Nordafrika geflohen sein, um sich in Libyen und dem südlichen Tunesien anzusiedeln, und zwar 1.400 Jahre bevor mit den Arabern der Islam dorthin kam. Ab dem Ende des 15. bis tief ins 17. Jahrhundert hinein stießen dann sephardische Juden aus Spanien und Portugal hinzu – vertrieben von den christlichen Herrschern der iberischen Halbinsel.

Tunesischer Alkohol
Der 2.500 Jahre währende jüdische Einfluss findet sich heute alltäglich und überall in der tunesischen Küche wieder. Populäre Gerichte wie die frittierten gefüllten Brik-Teigtaschen und gefalteten Mlawi-Teigfladen, so wie die Kefta-Hackbällchen, sind alle jüdischen Ursprungs. In der Nähe von Tunis stellte im Jahre 1880 die jüdische Familie Bokobsa zum ersten Mal den typischen Feigenschnaps Boukha her, der zum alkoholischen Nationalgetränk wurde. Dort sitzt die mittlerweile größte Destillerie des Landes und exportiert in die ganze Welt.

Vor dem Zweiten Weltkrieg noch bei über 100.000, schrumpfte die Zahl der Juden bis jetzt auf nur 1.700, wobei 1.200 von ihnen auf der Insel Djerba leben. Die meisten wanderten nach Israel und Frankreich aus. Seit dem Sturz des Ben-Ali-Regimes Ende 2011 ist die Bevölkerungszahl nun aber stabil. Wegen Djerba, sagt der Jude und Vorstand des tunesischen Sportverbands, Jean Pierre Liscia, werden die Juden nie ganz aus Tunesien verschwinden. Die Insel sei ihr Sehnsuchtsort, eine jüdische Bastion und der Ort, wo alles begann.

Djerba: Ein jüdischer Wallfahrtsort in Tunesien
Auf Djerba nämlich bauten die ersten Juden Nordafrikas auf einen mitgebrachten Stein des zerstörten Tempels Salomons eine der weltweit ältesten Synagogen außerhalb Israels. Benannt nach der Heiligen La Ghriba, „der Wundertätigen“, wurde die Synagoge heute zum Bezugspunkt all der Juden, die das Land nach 1946 verlassen haben. Jedes Jahr zur Zeit des Lag-Ba-Omer-Festes pilgern Tausende von ihnen aus der ganzen Welt zur gemeinsamen Wallfahrt hierher, zu Ehren der Schutzpatronin und im Gedenken an den Todestag des Rabbi Shimon Bar Yohai. Voller Freude und Solidarität mit der auf Djerba verbliebenen jüdischen Bevölkerung feiern die Besucher und zeigen, wie sehr sie sich immer noch mit ihrer alten Heimat identifizieren.

Im Gegensatz zu Europa konnten die Juden in Tunesien schon immer jeden Beruf frei ausüben. Besonders handwerkliche Tätigkeiten waren und sind bis heute beliebt. Früher waren viele von ihnen als Tischler und Schneider tätig. Die Kunst des Wollfärbens wurde von Juden entwickelt. Heute ist die typische Beschäftigung die Herstellung, Reparatur und der Verkauf von Gold- und Silberschmiedearbeiten. Die Rue de Bizerte inmitten der Inselhauptstadt Houmt Souk war vor 50 Jahren voll mit jüdischen Schneiderbetrieben. Wirtschaftlicher Rückgang, Emigration und Globalisierung ließen sie verschwinden. Heute sind dort noch drei Geschäfte in jüdischer Hand, allesamt Schmuckgeschäfte.

Simon Bittan betreibt seines schon seit 1970 und hat es im Laufe der Zeit in ein kleines Judaica-Museum verwandelt. In vollgestopften Vitrinen zeigt er stolz einen alten Chanukka-Leuchter und erklärt, dass früher auf Djerba die Fassungen mit Öl gefüllt und mit Dochten versehen wurden, weil es keine Kerzen gab. Die Decke seines Geschäfts ist ein farbenfrohes Kunstwerk, ein Raster aus unzähligen Symbolen der orientalisch-jüdischen Kultur. Zum Schluss lässt er es sich nicht nehmen, seinen selbstgebrannten Boukha anzubieten, den er unter dem Ladentisch verkauft, abgefüllt in 1,5-Liter-Plastikflaschen, und wesentlich stärker als der handelsübliche Bokobsa-Schnaps.

Die Israelis schickten Flugzeuge während des Umsturzes von 2011
So wie auch seine zwei anderen Kollegen in der Rue de Bizerte liebt er seine Heimat Djerba und ist zufrieden mit seinem Leben, obwohl sie in letzter Zeit hin und wieder Neid seitens der islamischen Bevölkerung spüren. Die Wirtschaft in Tunesien laufe nicht gut. Die Inflation ist seit 2016 um über 3 auf 7 Prozent gestiegen. So wie die gesamte verbliebene jüdische Gemeinde wollen sie jedoch nicht weggehen, und setzen alles daran, eine weitere Ausdünnung der Juden durch Wegzug nach Israel zu vermeiden. Während des Umsturzes im Jahr 2011, sagt Simon, hatte Israel drei Flugzeuge geschickt, um Juden auf Djerba zur Emigration zu bewegen, aber niemand sei auf das Angebot eingegangen, sodass die Flugzeuge leer wieder zurückkehrten. Frankreich ist auch keine Option mehr, denn das Leben dort sei zu stressig und viel gefährlicher als daheim. In Tunesien haben alle Juden Arbeit, sind selbständig. Das hilft, um die Jugend im Land zu halten. Neben den handwerklichen Arbeiten versorgen sie die gesamte Bevölkerung mit traditionellen Lebensmitteln. Viele besitzen Metzgereien oder Restaurants, und sind wichtige Arbeitgeber für die islamischen Landsleute.

Ähnlich spricht auch Yosi Foued, ein anderer Schmuckhändler in der Rue de Bizerte. Er habe einige Zeit in Frankreich gelebt und sei zurückgekehrt, weil das Leben auf Djerba geruhsamer sei. Es gibt weniger Bürokratie, man habe sich gut mit den Behörden arrangiert. Außerdem habe er hier seinen langjährigen muslimischen Freund Adel. Seit über 10 Jahren arbeiten sie zusammen, seien hier bekannt als Vorbild für den Frieden zwischen den Religionen.
Im jüdischen Viertel Hara Kebira, etwa anderthalb Kilometer südöstlich der Altstadt von Houmt Souk, findet man Verbundenheit zwischen Juden und Moslems sogar über Generationen hinweg. Wie schon früher die Großväter, so leben und arbeiten heute deren Enkel in Freundschaft zusammen.

21 Synagogen auf einer Insel und ein besonderes „Ur-Judentum“
In Hara Kebira befinden sich auf knapp einem Quadratkilometer 17 der 21 Synagogen, die es auf Djerba gibt, dazu noch zwei Thoraschulen und zwei allgemeine Schulen. Schon ab dem Alter von drei Jahren wachsen die jüdischen Kinder mit der hebräischen Sprache auf. Das Abitur wird von eigens aus Israel angereisten Lehrern abgenommen und ermöglicht nach dem Abschluss die sofortige Aufnahme eines Studiums in Israel. Eine weitere Vorreiterstellung in der Welt hat im Übrigen die besonders ursprüngliche Ausprägung des Judentums auf Djerba, so wie sie in Israel heute nicht mehr zu finden ist. Deshalb sind Lehrer aus Hara Kebira weltweit gern gesehene Gastdozenten in der jüdischen Diaspora.

Seit den Umstürzen in der arabischen Welt 2011 hat sich, wie zuerst in Marokko, bald auch in Tunesien der liberale Islam durchgesetzt, hin zu einem Klima von Frieden und Toleranz zwischen den Religionen. Den Juden stehen seitdem alle politischen Ämter offen. Öffentlich unterscheidet man nicht zwischen Juden und Moslems. René Trabelsi ist nicht der einzige Jude, der in der tunesischen Politik mitmischt. Man glaubt es kaum, doch in der Stadt Monastir ist ein Jude, Simon Salameh, Vorsitzender der islamisch geprägten Ennahda-Partei. Parteisprecher und Parlamentsmitglied Imad al Khmairy bekräftigt, dass seine Partei offen sein will für alle Vertreter der tunesischen Gesellschaft, dass die Mitwirkung von Juden in der Politik ein Zeichen für Toleranz und Koexistenz aller setzt und Menschen unabhängig von ihrer Religion in der Verwaltung des Landes mitwirken können.

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