Merkel und Schulz stellten sich im Stil einer Koalitionsverhandlung  

September 8, 2017 – 17 Elul 5777
Das TV-Duell: Mit anderen Worten das Gleiche sagen

Von Melissa Kaiser

Bundeskanzlerin Merkel und ihr Herausforderer Schulz gaben sich bei dem als Höhepunkt des Wahlkampfes beschworenen TV Duell alle Mühe sich voneinander abzugrenzen. So ganz wollte das allerdings nicht gelingen. Dies lag weniger am Willen und fehlenden verbalen Angriffen, als vielmehr an den nicht existenten inhaltlichen Differenzen bezüglich zukunftsweisender Themen. Eine kleine Überraschung lieferte Martin Schulz jedoch relativ zu Beginn des versuchten Schlagabtauschs.
Im Kontext der islamischen Radikalisierung erwähnte Schulz ganz deutlich, man müsste den Antisemitismus der „Palästinenser“ verurteilen. Im Zuge dessen erwähnte er den besonderen Schutz, der Israel zukommen müsse. Angesichts mancher Verhaltensweisen des Kanzlerkandidaten kommt diese Aussage recht unverhofft. Interessanter ist jedoch die generelle Positionierung beider Parteien im Kontext des nicht mehr zu ignorierenden Islamismus-Problems. Möchte Schulz mit dem Zitat eines moslemischen Geistlichen zur Beruhigung punkten, geschieht dies vonseiten Merkels mit dem Hinweis auf die islamische Geistlichkeit, von der ganz simpel mehr Distanz zur Radikalität eingefordert werden müsse. Dass wir uns längst in einer Phase befinden, die über Lippenbekenntnisse hinausreichen muss, wurde nicht erkannt. Entweder entscheidet nach wie vor Unwissen oder auch die Angst vor einer Stigmatisierung den Diskurs um islamistische Gewalt. Gerade vor der Wahl möchte keiner der Beiden mehr anecken. Dabei ist es gerade die Ethnisierung des Islam-Problems, die tatsächlich schnell in einen Rassismus mit entsprechender Hetze abdriften könnte. Ganz im Gegensatz zu einer konkreten Islamkritik. Denn gerade die bei Palästinensern sehr ausgeprägte Judenfeindlichkeit ist größtenteils religiöser Anschauungen geschuldet. Das sollte längst nicht mehr zur Debatte stehen.

Der Umgang mit Erdogan und seiner faschistischen Umstrukturierungen der Türkei führte zumindest zu einem Anflug von inhaltlicher Abgrenzung. Schulz betonte mehrfach inbrünstig, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis legen zu wollen. Merkel dagegen scheute sich vor einer solchen Lösung. Während sie versuchte stets ruhig und besonnen zu bleiben, sah Schulz vor allem an diesem Punkt die Möglichkeit den Hardliner zu performen. Diese Linie wollte er in seinen Angriffen gegen den US-Präsidenten fortführen, wirkte dabei aber äußerst bemüht. Er stellte die Bedrohungen durch Nordkorea indirekt mit Tweets des US-Präsidenten in eine Reihe. Von den osteuropäischen Staaten möchte er die Solidarität in der Verteilung der Zuwanderer und Flüchtlinge scheinbar schon fast erpressen.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Forderungen stellt sich durchaus. Ist erpresste Solidarität noch Solidarität? Deutschland, das sich mit einem Abkommen von der Türkei abhängig gemacht hat, sollte sich solche Forderungen durchaus gut überlegen. Denn egal wie man zur Aufnahme der Zuwanderer steht, ist dieser dominante, fast schon herrische Kurs schädigend-für alle Beteiligten – auch Deutschland. Obgleich es wichtig ist, eine humane Lösung zu finden, darf man nicht erwarten, diese durch solche Drohungen oder finanzielle Sanktionen zu erreichen. Europa ließ sich lange Zeit, bevor Italien und Griechenland intensivere Hilfe erhielten. Das Bild der Werteunion ist schwer geschädigt. Nicht extern, sondern vor allem intern. Die Kommunen in Deutschland wurden und werden mit vielen Problemen alleine gelassen und stemmten diese durch ehrenamtliche Arbeit selbst – von der Bundespolitik im Stich gelassen. Diese Problematiken konnten allerdings vermutlich aufgrund der Kürze der Zeit nicht mehr ausführlich diskutiert werden – immerhin musste die PKW-Maut noch untergebracht werden.

Trotz aller Bemühungen eine starke Meinungsunterschiedlichkeit zu demonstrieren, war die jahrelange Zusammenarbeit in der großen Koalition durchweg nicht zu überhören. Hier und da gab es starke Beipflichtung und sogar subtiles Lob für die gemeinsame Politik. Es ist durchaus schwer, der Gegenseite Vorwürfe zu machen, wenn man selbst im gleichen Boot sitzt und sich quasi mit der angebrachten Kritik ins eigene Bein schießen würde.

Diese Vorsicht war bei jedem Thema deutlich zu spüren. Auch wenn Schulz seinen Hardlinerkurs bei klassisch sozialdemokratischen Themen für ein breites Publikum authentisch umsetzte, wurde spätestens beim Schlusswort seine Unsicherheit offenbar.

Es ist sicherlich notwendig, als Herausforderer streitlustig zu sein. Doch lässt sich dies viel leichter umsetzen, wenn das Programm bei den wahlentscheidenden Themen in höherem Maße abweicht als es dies tatsächlich tut. Merkel hingegen nahm wie so oft die Rolle der fast durchgehend selbstsicheren Kanzlerin ein, die den alternativlosen Fels in der Brandung darstellt. Auch wenn sie zumindest durch die Blume nötige Kursänderungen eingesteht, verkauft sie diese als unpolitischen persönlichen Reifeprozess. Weder Merkel noch Schulz konnten mit ihrer Strategie herausragend punkten, das Duell glich eher einer harmlosen Koalitionsverhandlung.
Gerade zu Zeiten, in denen Betonsperren zur Terrorabwehr von den beteiligten Akteuren mit einem Lächeln im Gesicht eingeweiht werden, wie dies vor ein paar Wochen in Köln geschah, scheint diese Art der politischen Auseinandersetzung in letzter Konsequenz zu passen. Doch zu viel Harmoniesüchtigkeit verhindert fruchtbare Debatten. Ein Ende dieser Mentalität scheint nicht in Sicht – darüber täuscht auch kein temporärer Hardlinermodus hinweg.

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