Mein Austritt aus der phlegmatischen Merkel-CDU  

Dezember 4, 2015 – 22 Kislev 5776
Dann sind Sie nicht mehr meine Mutti!

Von Adam Elnakhal

Gehen wir zunächst zurück in den November des Jahres 2005: Damals war ich kleines, dummes Ding gerade einmal 14 Jahre jung als wir in der Schule das Vereidigungszeremoniell der ersten deutschen Bundeskanzlerin im Fernsehen verfolgten. Über die blonde Frau, die damals im Bundestag die Hand zum Eid erhob, wusste ich kaum etwas. Um genau zu sein wusste ich nicht einmal wofür die Abkürzung CDU steht. Ehrlich gesagt, war es mir auch egal. Aber ich war damals richtig stolz, dass ich eine solche Zeitenwende bewusst miterleben durfte. Für mich war es nach dem 11. September 2001 als Negativzäsur eine Positivzäsur am 22. November 2005 die Vereidigung der ersten Bundeskanzlerin mitzuerleben. Meine Bewunderung galt einer Frau, die es als wiederverheiratete Geschiedene und ostdeutsche Protestantin geschafft hat in der – damals doch noch sehr westdeutsch-katholisch geprägten – konservativen Volkspartei in das de facto wichtigste Amt in der Bundesrepublik Deutschland zu gelangen und alle Männer in dieser Männerpartei zu überholen.

Für mich war der 22. November 2005 das Datum, an dem die Demokratie in Deutschland ihren vorläufigen Gipfelpunkt erreicht hat. Nun war denkbar, was in der Adenauer-Ära (bei all meiner Bewunderung für ihn) undenkbar gewesen wäre. Von nun an war bewiesen: In Deutschland entscheidet selbst nicht mehr bei den Konservativen der Phallus über die Vergabe von Spitzenpositionen. Ich war heilfroh, dass der Zigarren-Macho Schröder aus dem Bundeskanzleramt ausziehen musste und stattdessen einer ruhigen, sympathischen Frau Platz machen musste.

Ja, Frau Merkel war die Heldin meiner Jugend. Für mich war sie der höchste Sieg über Hitler. Auf jenem Erdboden, wo einst der Tyrann herlief und sein krankes Frauenbild verbreitete, lief nun eine weibliche Demokratin und gab Deutschland ein freundliches Lächeln.

Im April 2011 – ich stand kurz vor meinem 20. Geburtstag und den Abiturklausuren – war es dann so weit: Ich trat der CDU bei. Rasch wurde ich zu einem begeisterten und aktiven Mitglied. Wann immer ich in meiner Freizeit konnte und gerufen wurde, habe ich gerne in und für diese Partei (ehrenamtlich) gearbeitet. Es war eine Mitgliedschaft aus Überzeugung. Die CDU war für mich die Partei, welche die Freiheit des Einzelnen ernsthaft schützen wollte und die den nachfolgenden Generationen keinen Schuldenberg aufdrücken wollte. Und es war für mich eine Partei, die für die christlich-abendländischen Werte stand. An der Basis bin ich stets auf engagierte und herzliche Menschen getroffen. Viele Freundschaften entstanden und insbesondere nach meinem Auszug aus dem Elternhaus wurde die CDU für mich so etwas wie eine Art „Ersatzfamilie“. An einem Freitagabend im September 2011 war für mich ein besonderer Moment gekommen: Sie, die mächtigste Frau der Welt, marschierte in der Dortmunder Westfalenhalle zwei Meter neben meinem Zuschauerplatz zum Podium. Ich, ein unbedeutender Bundesfreiwilligendienstleistender in der sozialen Betreuung eines Altenheimes, durfte die mächtigsten Frau auf diesem Globus hautnah sehen.

Während des Bundestagswahlkampfes 2013 erreichte meine Mitgliedschaft ihren Höhenpunkt und Zenit. Am Wahlabend war meine Freude groß über den langen schwarzen Balken. Es kam bekanntlich zur Großen Koalition. Doch größer als die Enttäuschung über das Scheitern der FDP war die Aufgabe von wichtigen Wahlkampfzielen seitens der CDU, seitens der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin. Der Preis für die dritte Kanzleramtszeit schien mir zu hoch. Das Bild von Frau Merkel bekam Risse. War sie wirklich die liebe Mutter, die hinter ihren Überzeugungen steht? Welche Überzeugungen hatte sie überhaupt? Zunehmend stoß mir diese nach Außen sehr passive Rolle, das Schweigen und das Absägen von mehreren männlichen Partei-„Freunden“ sauer auf. Doch die gute Wirtschaftslage der Bundesrepublik ließen meine Füße und mein Mundwerk still werden.

(M)Ein Schlüsselerlebnis war am 12. Juli 2014, einem wunderschönen Sonnensonnabend. Ich fuhr in die Dortmunder Innenstadt, stieg am Hauptbahnhof aus und ging zum Südausgang in Richtung Katharinentreppe. Noch im Bahnhofsgebäude erschrak ich. Oben auf der Katharinentreppe stand eine Masse von aggressiven Demonstranten mit Palästina-Flaggen, der saudi-arabischen Flagge und der Flagge der Hamas. Langsam nährte ich mich der Katharinentreppe. „Kindermörder Israel“ wurde gerufen. Israelfeindliche Plakate wurden hochgehalten. Mir war noch nie so unwohl gewesen wie an jenem Hochsommernachmittag. In mir kochte die Angst und die Wut. Ich entfernte mich schnell von dem tobenden Mob und schlenderte grübelnd durch die Innenstadt: Wo sind die engagierten Bürger, die sich mit israelischen Flaggen dem Hass auf die einzige freie Demokratie im Nahen Osten entgegenstellen? Wo sind die Israelflaggen an den Flaggenketten in der Innenstadt, wenn dort auch nordkoreanische Flaggen hängen? Wo sind die politischen Parteien in diesem Staate? Wo sind die Spitzenpolitiker, für die das Existenzrecht Israels angeblich eine Staatsräson ist und die deutsch-israelischen Beziehungen besondere Bedeutung haben?

Da sich die Demonstrationen nicht auf Dortmund beschränkten, las ich wenig später von den Vorfällen in anderen westdeutschen Großstädten. Ich las von den Genozidaufrufen „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ und dem Auslöschungskriegsaufruf „Tod, Tod, Israel!“. Es war schlimm, dass so etwas sieben Jahrzehnte nach dem NSDAP-Terror wieder auf deutschen Straßen zu hören war und „Pro-Gaza“-Demonstranten in manchen Städten sogar Material von der Landespolizei zur Verfügung gestellt bekamen. Und im politischen Deutschland? Dort war es totenstill. Es war als hätte man eine Stecknadel fallen lassen hören. Niemand wollte sich äußern. Die gesamte folgende Woche rührte sich diesbezüglich nichts aus dem Kanzleramt.

Konsequenzen aus dem Sommer 2014 folgten nicht. Nein, stattdessen wurde weiterhin ein haarsträubendes Appeasement gegenüber dem Islam an den Tag gelegt. Es gab immer wieder Berichte über türkische Extremisten in der CDU. Im Herbst 2014 traf sich die Hagener Unionsabgeordnete Cemile Giousouf mit den Islamextremisten von „Millî Görüş“. Ein Foto zeigt die Bundestagsabgeordnete mit den Vertretern dieser Vereinigung vor der Hagener CDU-Geschäftsstelle. Schön feinsäuberlich getrennt stehen die Frauen mit ihren strengen Kopftüchern zu ihrer Rechten und die Männer ohne Kopfgefängnis zu ihrer Linken. Auch dieser Vorfall blieb ohne weitere Konsequenzen. Eine Schande für die Christdemokratie!

Die Begeisterung für meine Parteimitgliedschaft bekam tiefe Risse. Immer wieder dachte ich über einen Austritt nach. Doch die Parteibasis vor Ort hielt mich in der Partei.

Auf den Terrorwinter folgte der Griechenland-Sozialismus-Lenz und schließlich der Sommer 2015. Eine bis dato für das postmoderne Europa ungekannte Flüchtlingswelle „überraschte“ vor allem den Balkan und die Bundesrepublik Deutschland. Frau Merkel und der sie umgebende Beraterstab waren leider nicht in der Lage zu erkennen, dass dringendes Handeln geboten war und dass man der harten Wahrheit ins Auge schauen muss: Deutschland wird es so nicht schaffen, sondern im Chaos versinken.

Nein, Frau Merkel sah es nicht oder wollte es nicht sehen, und als das Chaos immer größer, die Bürger immer wütender und die Berichte aus den Unterkünften immer haarsträubender wurden, passierte: So gut wie nichts! Statt Problemlösungsvorschläge gab es nunmehr immer öfter patzige Antworten, während der deutsche Staat zunehmend daran scheiterte in den Asylunterkünften die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit und der Religionsfreiheit für Frauen und Kinder sowie für die syrischen Christen und Apostaten vom Islam sicherzustellen.

Doch statt Problemanalyse und Problemtherapie wurde eine Parole à la System-SED ins Leben gerufen: Wir schaffen das! Die Durchhalteparole wurde zum neuen Staatsmantra. Blieben die Herbsttemperaturen doch sehr mild, kühlte sich die innenpolitische und gesellschaftliche Stimmung in Deutschland erheblich ab.

Immer öfter erhielt die Bundeskanzlerin Warnungen von Menschen wie der Frauenrechtlerin Sabatina James, die ihre Wohnorte und ihre richtige Identität im freien und kunterbunten Europa des dritten Jahrtausends geheimhalten muss. Auch Josef Schuster warnte vor einem Erstarken des Juden- und Israelhasses durch die muslimischen Flüchtlinge.
Doch anstatt die Probleme anzugehen, fliegt diese Bundeskanzlerin weiter in der Weltgeschichte umher, und es scheint als pralle jegliche Kritik an ihrem hohen Teflon-Thron ab.

Trotzdem blieb ich den ganzen Sommer und auch dem angefangenen Herbst über in dieser Partei. Auch an der Parteibasis kühlte sich die Stimmung aufgrund tiefer Meinungsgräben zum Teil merklich ab. Meine Hoffnungen ruhten auf dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Er brüllt weiterhin wie ein bayerischer Löwe, doch Übermutti-Helicoptermum fliegt weiterhin völlig losgelöst von den Problem auf ihrer Zaubertraumwolke. Die Christen sollen einfach öfter in die Kirche gehen, dann wird das schon (die ermordeten Syrer waren wohl zu wenig in der Kirche - tja, selbst schuld!).

(…) Mein Schlaf wurde weniger. Meine Sorgen wurden größer. Jeden Tag wurden meine Sorgen größer. Nur mein schlechtes Gewissen konnte ich beruhigen – mein schlechtes Gewissen, dass ich durch meine Unterstützung für diese Bundeskanzlerin die Ausbreitung des Islamischen Staates unterstütze und die Probleme hierzulande ignoriere.

Gerne wäre ich mein Leben lang in der CDU geblieben und hätte manche Meinungsverschiedenheit versucht so gut wie möglich auszuhalten. Doch ein Scheitern des Rechtsstaates und der freiheitlichen Demokratie durch eine phlegmatische Bundesregierung konnte ich durch eine Parteimitgliedschaft in der Merkel-CDU nicht länger fördern.

Anfang November war es so weit: Ich erklärte ich den sofortigen Parteiaustritt.

Für Frau Merkel, für die CDU/CSU, für die politische Mitte in diesem Lande und für uns alle hoffe ich, dass sich das Merkelmotto „Wir schaffen das!“ bewahrheiten wird und ich mich momentan völlig irre. Doch momentan sagen mir Gefühl und Verstand – Kopf und Herz – etwas anderes...

Es bleibt mir ein Rätsel, wie man so blind sein kann... Aber (politische) Blindheit ist in der Weltgeschichte und im Besonderen ja auch in der deutschen Geschichte kein unbekanntes Phänomen.
„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ - Mark Twain

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