Markus Söder würde sich freuen, wenn die ehemalige 60-Prozent-Partei noch 40 Prozent erreichen würde  

März 9, 2018 – 22 Adar 5778
CSU: Das Versagen Seehofers


Von Carl Christian Jancke

Als Markus Söder zu den Klängen des bayerischen Defiliermarsches in die Passauer Europahalle einmarschierte wie einst Franz-Josef Strauß seligen Angedenkens, beging er fast schon eine Amtsanmaßung. Denn diese Ehre gebührt eigentlich nur dem bayerischen Ministerpräsidenten. Und obwohl er sich längst aus der Landespolitik zurückgezogen hat, heißt der bis zu seinem Rücktritt noch immer Horst Seehofer. Der Ingolstädter scheint keine Lust zu haben, den Staffelstab an Söder weiterzugeben, bis der neue Dienstwagen für den Bundesminister für Heimatfragen bereitsteht, um ihn zum Bundespräsidenten zu chauffieren, um seine Ernennungsurkunde entgegenzunehmen. Das Beharren auf der Standarte des bayerischen Ministerpräsidenten ist ein vermeintlich kluger Schachzug auf dem Rücken des Erzrivalen Söder, dem er so die Chance nimmt, sich frühzeitig als Ministerpräsident für die Landtagswahl 2018 zu profilieren. Es geht um viel für die CSU in diesem Jahr: Die “obligate” absolute Mehrheit für die bayerische Staatspartei, die mit einer kleinen üblen Ausnahme seit 1966 Usus ist. Seit 1958 stellt die Partei ununterbrochen den bayerischen Ministerpräsidenten.

Wer erinnert sich noch an Beckstein und Huber
Für die CSU gilt die absolute Mehrheit als gesetzt. Als die Stoiber-Putschisten Günter Beckstein und Erwin Huber die 2003 nicht schafften, war Seehofers Stunde geschlagen. Der landespolitisch unbeleckte Oberbayer schickte den Franken und den Niederbayer in die Wüste, schmiedete eine Koalition mit der FDP und brachte 2013 mit knapp 48 Prozent die absolute Mehrheit zurück, auch weil die Liberalen wegen ihres desaströsen Verhaltens im Bund aus dem Landtag geflogen waren.

Die absolute Mehrheit ist der Staatspartei CSU heilig. Bisher galt: Was gut für die CSU ist, ist auch gut für Bayern. Und die absolute Mehrheit gehörte für Politiker, Funktionäre und auch Ministerialbeamte zur Lebensplanung. Der Bayerische Rundfunk bot den Parteigängern journalistische Betätigungschancen und die bayerischen Sparkassen und die Landesbank boten nicht nur Aufsichtsratsposten und möglicherweise lukrative Beschäftigungsmöglichkeiten, sondern auch einen riesigen Schattenhaushalt, mit dem Kommunalpolitiker und Landesregierung vorbei an der parlamentarischen Kontrolle Infrastrukturpolitik machten. Seit Franz-Josef Strauß meist mit Erfolg.

Wenig beachtete Pleiten
Doch unter dem Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gerierte man sich als mittelsüdeuropäische Wirtschaftsmacht und wollte über den Erwerb der Kärtner Alpe Adria aus den Händen des FPÖ-Landeshauptmanns Jörg Haider am Boom der Donau Region teilhaben. Die Großmannssucht verursachte einen Verlust von mindestens 3,7 Mrd. Euro und auch die Aktivitäten am internationalen Finanzmarkt führten in der Finanzkrise zu dramatischen Verlusten. Seehofer und sein Finanzminister Söder mussten die Pleite der gesamten Sparkassenorganisation mit 10 Mrd. Euro verhindern, die der solide Staatshaushalt allerdings ganz gut wegsteckte. Der Wähler nahm es der CSU kaum übel.

Das gilt auch für die Finanzierung des “Formel 1”-Deals des Medientycoons Leo Kirch, der einen ausgewiesenen Verlust von rund 100 Mio. Dollar verursachte und den Risiko-Vorstand der Staatsbank, Gerhard Gribkowsky, hinter Gitter brachte, weil er in die Kasse gegriffen hatte. Zur Empörung der Öffentlichkeit entledigte sich der “Formel 1”-Tycoon Bernie Ecclestone eines Steuerstrafverfahrens durch die Zahlung von 100 Mio. Dollar. Den CSU-Granden blieb so die strafrechtliche Aufarbeitung ihrer Verstrickung in die Kirch-Pleite erspart.

Seehofer, der jetzt an den Kabinettstisch zurückkehrt, an dem er unter Helmut Kohl als Bundesgesundheitsminister 1992 erstmals Platz nahm, wird als der Mann in die Geschichte eingehen, der den Siegeszug der AfD hätte verhindern können – und dabei versagte. Damit hat er für Söder die Latte niedrig gehängt. Jedes Wahlergebnis der CSU über 40 Prozent wird dem neuen Ministerpräsidenten als Erfolg angerechnet und mit den Freien Wählern und der FDP stehen vermutlich gleich zwei Gruppierungen zur Verfügung, die eine parlamentarische Mehrheit der Konservativ-Liberalen ermöglichen. Gemeinsam mit der konkurrierenden AfD prognostizieren die Demoskopen ein “rechts”-konservativ-liberales Wählerpotential von rund 60 Prozent, während sich die Grünen und die SPD wohl mit je 15 Prozent zufriedengeben müssen.

Landesweite Ausdehnung der CSU verpasst
Seit 1976 spukt in den CSU-Köpfen regelmäßig die Idee von der bundesweiten Ausdehnung umher. Franz-Josef Strauß wollte die Fraktionsgemeinschaft damals aufkündigen. Kohl überließ ihm 1980 den Vortritt und Strauß bescherte der Union 1978 eine krachende Niederlage.

Als das konservative CSU-Urgestein Peter Gauweiler Seehofer irgendwann 2016 Seehofer einen Besuch abstattete, hatte er nach Angaben des “Welt”-Journalisten Robin Alexander einen perfekten Plan in Händen, wie der Einflussbereich der CSU bis zur dänischen Grenze ausgeweitet werden könne. Mittelständische bayerische Unternehmer standen zur Finanzierung bereit, um so der AfD das Wasser abzugraben. Seehofer zauderte.

Dabei hatte der bereits seit September 2015 Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag im November 2015 förmlich abgewatscht. Doch er entpuppte sich als eine maulheldenhafte Enttäuschung. Auf den nächtlichen Unionsgipfeln im Kanzleramt blieb er stets zweiter Sieger. Hinter allen Formelkompromissen siegte Merkel mit ihrer desaströsen Zuwanderungspolitik: Die Grenzen blieben offen, die Völkerwanderung wurde nicht begrenzte, kaum Ausreisepflichtige abgeschoben.

Wäre Seehofer ein glaubwürdiger Konservativer, der den staatlichen Kontrollverlust nicht nur konstatiert, sondern ihm auch entgegengewirkt hätte, wären die bundesweiten Chancen einer bürgerlich-konservativen CSU sehr hoch gewesen. Stattdessen bekam er bei der Bundestagswahl die Quittung für seine Untätigkeit: Die CSU schrumpfte in Bayern bei der Bundestagswahl um rund 10%.

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke