Meine Zeit im Wüsten-Kibbuz Yotvata nördlich von Elat  

September 6, 2018 – 26 Elul 5778
Zwischen Datteln und Soldaten

Von Anna-Lena Bellers

Meine etwas klobigen Arbeitsschuhe hindern mich am schnellen Laufen. Nur noch ein paar Meter hinüber bis zum Essenssaal und daneben zum Parkplatz, auf dem mein Chef schon mit laufendem Motor auf mich wartet. Ich öffne die Tür zum Pick-up und erkläre: „I‘m so sorry, I am late. I totally forgot that we start at 7 o‘clock on Fridays.“ Mein Chef sieht mich nur ausdruckslos an und ich denke mir: „Verdammt..“, aber dann lacht er und antwortet: „Anna, never be sorry.“

Die Arbeit, der ich nun nachgehe, findet auf dem staubigen Wüstenboden im sonnigen Süden Israels statt. Ich arbeite auf einer Dattelplantage, die zum Kibbuz Yotvata gehört. Direkt an der Grenze zu Jordanien gelegen, hat Yotvata etwa 700 bis 800 Einwohner.

Ein Kibbuz, einmalig auf der Welt und nur in Israel zu finden, ist eine Gemeinschaft, die zusammen wohnt, lebt, isst und arbeitet. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, einhergehend mit dem immer stärker aufkommenden Zionismus, haben die Juden, die versuchten in einem Land der Einöde Fuß zu fassen, begonnen, ein Konzept zu entwickeln, das sich bis heute bewährt hat. Aus der Notwendigkeit heraus, Sicherheit zu schaffen, das Land zu bearbeiten, Nahrung zu sich zu nehmen und zu schlafen, entstanden kleine Gemeinschaften, die sich alle diese Notwendigkeiten teilten.

Heute ist Israel ein Industrieland und auch das Konzept des Kibbuz‘ hat sich modernisiert.
Doch immer noch essen alle Mitglieder zusammen in einem riesigen Saal, teilen sich die Arbeit, die Autos, das Einkommen und den Spaß am Leben. Die Mitglieder wohnen in kleinen ein- bis zweistöckigen Häusern. Das Leben ist organisiert, Yotvata hat eine Schule, die alle Kinder aus der Umgebung besuchen, eine Klinik, eine Kuhfarm, in der die in Israel berühmte Yotvata-Schokomilch gewonnen wird, eine Pferdefarm und neben anderen Fabriken und Werkstätten natürlich die Yotvata-Datteln, denen ich meinen neuen Arbeitsplatz verdanke.

Gemeinsam zur Plantage
Morgens nach dem Frühstück, treffe ich mich mit meinen Arbeitskollegen – die meisten von ihnen sind nicht im Kibbuz groß geworden, sondern verdienen sich nur nebenbei etwas Geld, nachdem sie ihren Pflichtarmeedienst geleistet haben – um 7:30 Uhr am Parkplatz. Nachdem entschieden oder auch nicht entschieden wird, wer heute was macht, machen wir uns auf den Weg zur Plantage, und natürlich schnallen wir uns auf diesem 5- bis 10-minütigen Weg nicht an – dafür sind wir viel zu israelisch. Was danach passiert, kann ich gar nicht so genau sagen, denn die israelische Arbeitsweise ist doch sehr unterschiedlich von der deutschen. Normalerweise würde ich den ganzen Vormittag bis 12 Uhr arbeiten, und die Arbeit würde daraus bestehen, abgesägte Palmwedel zusammenzuharken. Nach einer Stunde Mittagspause arbeiten wir bis 16 Uhr.

Allerdings ist dieser Ablauf eher selten der Fall. Manchmal erledige ich kleine Arbeiten, die noch anstehen. Manchmal warten wir eine Stunde auf Instruktionen. Manchmal werden wir nicht gebraucht und blitzschnell zu Bauarbeitern umfunktioniert, die den Straßenrand nach dem Herbststurm reparieren. Manchmal aber auch hat mein Chef gar keine Arbeit für mich und schickt mich nach dem Mittagessen nach Hause. Und manchmal machen wir zwischendurch eine Stunde Kaffeepause. Ich trinke zwar keinen Kaffee, aber ich habe schnell gelernt das Wort zu lieben. Doch trotz all der Unregelmäßigkeiten arbeiten wir tatsächlich. Und wenn wir nicht zusammenharken, besprühen wir das Unkraut (oder soll ich Unbäume sagen?) mit Gift oder säubern die Bäume in anderer Art und Weise. Ein paar Mal habe ich schon auf dem Kran gearbeitet, der hoch an die Bäume fährt, sodass man die Palmwedel absägen kann. So habe ich in 10 Meter Höhe mit einer Kettensäge in der Hand auch gelernt, dass man nicht immer herunterfällt, auch wenn man denkt, dass man fällt.

Die Woche beginnt am Sonntag
Ach, bevor ich es vergesse: Die Arbeitswoche in Israel beginnt am Sonntag. Ja, das bedeutet, dass unser Wochenende nur aus dem Samstag besteht, der sich für mich jedes Mal wie ein Sonntag anfühlt, der sich wiederum wie ein Montag anfühlt. Jeder arbeitet hier auf den Schabbat hin. Am Freitag arbeiten wir nur bis halb 11, haben eine besonders große Kaffeepause mit Kuchen, wünschen jedem ein „Schabbat Schalom“ und abends gehen wir normalerweise in den kibbuzeigenen Club.

Im Augenblick befinden sich hier etwa 20 Freiwillige aus der ganzen Welt. Schon seit dem Sechs-Tage-Krieg fanden sich Freiwillige aus der ganzen Welt ein, um auszuhelfen, heute kommen immer noch junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren, die Israel kennenlernen wollen, einen anderen Lebensstil erleben wollen oder in ihrem Leben neu anfangen wollen. Tatsächlich ist es ein sehr einfaches Leben, der Ablauf ähnelt sich jeden Tag, aber es ist unglaublich entspannend und sorgenfrei.

„Wintereinbruch“ bei 30 Grad
Wir unternehmen etwa einmal im Monat einen Freiwlligen-Trip: Seitdem ich hier bin, waren wir mit den Jeeps in der Wüste, sind auf Kamelen geritten und haben in Wasserfällen gebadet. In der örtlichen Turnhalle findet alle zwei Wochen ein Basketballspiel statt, wir klettern ab und zu auf die Berge in der Nähe und machen Lagerfeuer, besuchen die jordanische Grenze und auch der Pool war ein regelmäßiger Treffpunkt bis er vor kurzem wegen „Winteranfang“ geschlossen wurde – bei 30 Grad!

Im Allgemeinen gab und gibt es immer noch viel, woran ich mich gewöhnen musste oder muss. Das Erste, was auffällt, wenn man in Israel ankommt, ist das Straßenbild voller Soldaten. In Israel muss jeder, auch die Frauen, in den israelischen Verteidigungskräften (IDF) dienen. Das führt dazu, dass man so ziemlich überall Soldaten in grünen Uniformen und mit Waffen herumlaufen sieht. Der Platz, an dem wir normalerweise unsere Kaffeepause machen, wird auch gerne von Soldaten auf
Patrouille besucht, die dort ebenfalls Pause machen, und so kam es, dass ich schnell Bekanntschaft mit einem Gewehr an meinem Knie machen durfte. (…)

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