von Alba Arikha 

August 7, 2014 – 11 Av 5774
«Wörterbuch einer verlorenen Welt»

Eine der meistzitierten und treffendsten poetischen Vergegenwärtigungen eigener Kindheit und Jugendzeit stammt aus dem fünften Kapitel von Friedrich Hölderlins sperrig-genialem Briefroman «Hyperion»: «Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken!» Besonders kennzeichnend für die charakterliche Entwicklung des Menschen ist der schmerzliche Verlust seiner natürlichen Fähigkeit zu einer allumfassenden, ganz dem Erleben des jeweiligen Augenblicks gewidmeten konzentriertesten Wachheit, die trotz ihres grundsätzlich spielerischen Charakters gerade aus ihrer aufmerksamen Beobachtungsgabe heraus höchst präzise Schlussfolgerungen zu ziehen vermag, welche der vom «erlernten» Denken geprägten Wahrnehmung eines Erwachsenen oftmals entgehen.

In ihrem großartigen, atemlos zu lesenden Erinnerungsbuch gelingt es der französischen Musikerin und Schriftstellerin Alba Arikha, ihre eigene Kindheit als Tochter eines zutiefst traumatisierten Holocaust-Überlebenden, des Künstlers Avigdor Arikha, auf so unnachahmliche, unwiderstehliche und gleichzeitig tiefgründige und berührende Art und Weise so zu «denken», dass wir die charak- teristischen Koordinaten ihrer Kinder- und Jugendzeit unwillkürlich mit denselben wachen Sinnen der Erzählerin gleichsam an ihrer Stelle noch einmal mit- und nach- erleben dürfen und somit ein viel umfassenderes und direkteres Begreifen in Anspruch nehmen können, als es uns aus der rationalen Perspektive eines rein intellektuellen Zugangs selbst unter Zuhilfenahme der besten wissenschaftlichen Mittel der Weltdurchdringung jemals möglich wäre. Alba Arikha wuchs unter in vielerlei Hin- sichtprivilegiertenGrundbedingungenin der künstlerischen Bohème von Paris auf.

Die Neuerscheinungen wurden vorgestellt von FLORIAN HUNGER

«Wörterbuch einer verlorenen Welt», aus dem Englischen von Friederike Mel- tendorf, 255 Seiten, €19,99

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