Von Stefan Frank
In Griechenland wurde bei den Kommunalwahlen am 2. Juni erstmals ein Jude zum Bürgermeister gewählt. Moses Elisaf, der die Geschicke der nordgriechischen Stadt Ioannina in Zukunft lenken wird und am 17. Juli seinen 65. Geburtstag feiert, besiegte als Kandidat einer unabhängigen Gruppierung den bisherigen Amtsinhaber Thomas Bega knapp mit 50,33 zu 49,67 Prozent. Elisaf ist Professor der Pathologie an der Universität Ioannina und steht seit 17 Jahren der örtlichen jüdischen Gemeinde vor.
Die Geschichte der griechischen Juden – die auch als Romanioten bezeichnet werden – reicht 2.300 Jahre zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es 4.000 Juden in Ioannina, damit war die Gemeinde eine der größeren in Griechenland. Damals gehörte die Stadt zum Osmanische0n Reich. Nach dessen Zerfall und der damit einhergehenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen emigrierten viele Griechen, darunter auch Juden. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zählte die jüdische Gemeinde noch gut 2.000 Personen. Fast alle von ihnen wurden während der deutschen Besatzung nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Von 2.000 auf nur noch 50
Heute gibt es 50 Juden in Ioannina. In Griechenland sind es etwa 6.000 der 10,8 Millionen Einwohner. Seine Eltern seien während des Holocaust über ein Unterstützernetzwerk in Athen, Chalkida und Izmir nach Palästina geflohen, erzählte Elisaf der israelischen Tageszeitung „Haaretz“. „1944 kamen sie in Tel Aviv an, wo sie für einige Jahre blieben und dann nach Ioannina zurückkehrten, als der Krieg schließlich zu Ende war.“ Manche Juden Ioanninas hätten sich den Partisanen angeschlossen. „Der ganze Rest, fast 2.000 Menschen, wurde am 25. März 1944 in Züge gesteckt. Nicht mehr als hundert kehrten zurück.“ Elisaf, der 1954 geboren wurde, berichtet, dass seine Eltern nach ihrer Rückkehr nach Griechenland „in wirklich schlimmen Verhältnissen“ gelebt hätten. „Viele Mitglieder unserer Gemeinde, die sich den kommunistischen Rebelleneinheiten angeschlossen hatten, wurden [nach dem Krieg] auf entlegene Inseln ins Exil verbracht. Etliche Häuser wurden von Einheimischen besetzt, die behaupteten, dass Rebellen ihre eigenen Häuser niedergebrannt hätten.“ Viele der überlebenden Juden hätten ihre Häuser sofort verkauft und seien nach Athen oder Israel gezogen. „So kommt es, dass wir nun nur noch 50 Leute sind.“
Elisaf ist ein renommierter Wissenschaftler, Professor für innere Medizin an der medizinischen Fakultät der Universität Ioannina und Leiter der Abteilung für Arteriosklerose, Übergewicht und Diabetes. Von 1993 bis 1994 arbeitete er an der Sackler-Fakultät für Medizin an der Universität Tel Aviv. Er hat zahlreiche Verwandte in Israel. Bevor er Präsident seiner Gemeinde wurde, war Elisaf Präsident des Zentralrats der jüdischen Gemeinden Griechenlands. Auch in der Kommunalpolitik hat er Erfahrung: Seit mehreren Jahren gehört er dem Stadtrat an und war Präsident des Kulturzentrums. Er beschreibt sich als säkular.
Über Antisemitismus sagte er „Haaretz“: „Wir sollten das klarstellen – Griechenlands Antisemitismus ist völlig anders als anderswo. Ich würde es ‚verbalen Antisemitismus’ nennen – mehr eine Art Kaffeehausunterhaltung unter Anhängern von Verschwörungstheorien wie: ‚Die Juden kontrollieren die Welt’ und so. Er wird niemals gewalttätig, das Extremste, was passieren kann, sind Vandalismus gegen Synagogen, Friedhöfe und Holocaustmahnmale.“
Elisaf glaubt nicht, dass seine Religion Einfluss auf die Wahl gehabt habe. „Worauf wir uns konzentrieren müssen, ist die klare Botschaft, die von der Mehrheit gesendet wurde: Trotz Antisemitismus und dem Anwachsen des Rassismus in heutiger Zeit haben die Bürger einen Juden zum Bürgermeister gewählt, sie haben meine Persönlichkeit bewertet, unseren Plan für die Zukunft der Stadt, unsere Kandidaten, unseren Ethos während des Wahlkampfes. Offenbar basierte ihre Entscheidung auf den richtigen Kriterien und nicht darauf, was jemandes Glaube ist.“
Trotzdem gibt er zu, dass er während des Wahlkampfes auf Antisemitismus gestoßen sei. „Von Zeit zu Zeit kamen einige Sachen an die Öffentlichkeit – aber immer von sehr speziellen Bürgern, die niemand wirklich beachtet.“ So hätten politische Gegner Druck auf Bürger ausüben wollen, die Stadt „nicht den Juden zu übergeben“ oder behauptet, Elisaf habe Verbindungen zum Mossad oder der israelischen Botschaft.
Als eines der dringendsten Anliegen nennt Elisaf die Flüchtlinge in der Stadt, um die sich die Stadt kümmern müsse, statt dies NGOs zu überlassen. „Heute hat Ioannina eine riesige Veränderung, einen großen Sprung des Fortschritts gemacht“, sagte er am Wahlabend. „Ich fühle tiefe Emotionen und große Verantwortung gegenüber allen meinen Mitbürgern.“
„Elisafs Wahlsieg in Ioannina ist von großer Bedeutung und sendet eine starke Botschaft an die Juden in Griechenland“, sagt Avi Azoulay, ein in Thessaloniki lebender Israeli, gegenüber der israelischen Tageszeitung „Jediot Achronot“. „Es gibt ein Gefühl des Stolzes unter den Juden, die noch in Griechenland leben, aber auch unter nichtjüdischen Griechen, die sich freuen, dass ihr Land bei diesen Kommunalwahlen Geschichte geschrieben hat.“ Azoulay betreibt nach Angaben der Zeitung ein israelisches Reisebüro in Thessaloniki. David Saaltiel, der aktuelle Präsident des Zentralrats der jüdischen Gemeinden Griechenlands, pries Elisafs Wahlsieg als Zeichen der Ablehnung von Antisemitismus.