Wegen des zunehmenden Antisemitismus fürchten junge Juden um ihre Zukunft in Deutschland.

 

Januar 11, 2019 – 5 Shevat 5779
Wieder auf gepackten Koffern

Es ist gar nicht so lange her, da hieß es noch vonseiten deutsch-jüdischer Verbände, Institutionen und Gemeinden, dass man endlich in Deutschland angekommen sei. Zum ersten Mal seit 1945 sitze man im Land der Täter nicht mehr „auf gepackten Koffern“. Seit Mitte der 90er Jahre wurde gar von einer von Deutschland ausgehenden, allgemeinen kulturellen Renaissance des gesamten europäischen Judentums gesprochen.

Nach Israel und den USA sollte auf dem alten Kontinent die dritte Säule des Judentums im 21. Jahrhundert entstehen. In Deutschland sollte die durch die Nazis vernichtete jüdische Gemeinschaft wieder neu erstrahlen und so die vielbeschworene deutsch-jüdische Symbiose der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik wieder auferstehen.

Auslöser der Euphorie war die Einwanderung von fast 200.000 Jüdinnen und Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ab 1989. Die Mitgliederzahl der im Dachverband „Zentralrat der Juden in Deutschland“ organisierten Gemeinden stieg in den Jahren nach der Jahrtausendwende auf rund 120.000.

Die vermeintliche Renaissance
Es sind Hoffnungen aus einer anderen Zeit. Mittlerweile ist die Zahl der Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder unter 100.000 gefallen. Die Zahl sinkt weiter. Der rasant steigende Antisemitismus, die zunehmende politische Instabilität, der Aufstieg einer neuen deutschnationalen Rechten sowie die gewaltsame Bedrohung vonseiten linker, rechter und islamistischer Extremisten sorgen für trübe Stimmung. Diese kommt auch in den Neuerscheinungen der letzten Monate klar zum Ausdruck.

So äußern sich im deutschen Herbst 2018 gleich mehrere junge jüdische Autoren sehr skeptisch zur Befindlichkeit und zur Zukunft der Juden in Deutschland. Allen Autoren ist gemeinsam: Sie gehören der Generation der wieder in Deutschland geborenen und in den 80er und 90er Jahren dort aufgewachsenen und sozialisierten Jüdinnen und Juden an. Eigentlich hätten gerade sie die Träger der ehemals viel beschworenen jüdischen Renaissance in Deutschland sein sollen. Alle Hoffnungen ruhten auf ihnen.

Doch es kam anders: So etwa für Juna Grossmann, die mittlerweile tatsächlich wieder zunehmend auf „gepackten Koffern“ lebt, wie sie in ihrem eindrücklichen Erfahrungsbericht „Schonzeit vorbei“ erzählt. Darin beschreibt sie ihr Leben mit dem heute täglich üblichen Antisemitismus. Öffentlich jüdisch zu sein sei nicht mehr möglich, so das traurige Fazit der 1976 in Ost-Berlin geborenen Autorin, die mit irgendwiejuedisch.com einen Blog betreibt und in einer NS-Gedenkstätte arbeitet.

Seit Jahren beobachtet Grossmann, wie offene Judenfeindschaft zunimmt, lauter und bedrohlicher wird. Auch als Bloggerin sei sie brutal angefeindet worden, wie sie in einem Interview in der „Zeit“ betont: „Jemand schrieb: ‚Wir werden dich finden. Dann wirst du‘s merken und wirst dir Hitler zurückwünschen.‘ Das habe ich zur Anzeige gebracht, aber die Polizei konnte den Autor nicht ermitteln. Richtig frei von Angst werde ich seither nicht mehr.“ Weil sie sich mit diesen Zuständen nicht abfinden will, wendet sie sich nun mit einem Buch an die Öffentlichkeit.

Vier Angriffe pro Tag
Schon von Berufs wegen steht der Stand-Up-Comedian Oliver Polak dauernd in der Öffentlichkeit. Anlass seiner Schrift „Gegen Judenhass“ seien die durchschnittlich vier Angriffe, die es in Deutschland 2017 pro Tag auf Jüdinnen und Juden gegeben habe. „Ich merke, dass ich mich hier schon seit längerer Zeit grundsätzlich nicht mehr wohlfühle“, sagte Polak dem Magazin „Stern“. „Jahrelang wurde einem suggeriert, dass man sich keine Sorgen machen muss. Aber vieles ist ins Wanken geraten. Die AfD sitzt mittlerweile im Bundestag, und sie bekommt immer mehr Zustimmung. In Deutschland werden wieder öffentlich Neonazi-Konzerte abgehalten.
(…)

(Mit freundlicher Genehmigung der „Basler Zeitung“)

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