Alter und neuer Jazz kennt seine jüdischen Protagonisten – und kann hoch politisch sein 

Juli 3, 2014 – 5 Tammuz 5774
Wenn Bebop auf Klezmer trifft

Neben meinem Tisch liegt das für Jazzmusiker
aller Couleur heilige «The Real Book», das in
drei Bänden und ca. 1 000 Seiten die besten
amerikanischen Songs, Balladen, Swing-Titel,
Jazz- und Blues-Kompositionen vereint.
Dort finden sich Hits wie «Somebody Loves
Me» von George Gershwin, «Stompin’ At The
Savoy» von Benny Goodman, «My Funny
Valentine» von Richard Rogers/Lorenz Hart,
«All By Myself» von Irvin Berlin und Hunderte
weitere Evergreens aus dem sogenannten
«American Songbook» verjazzt wieder. Musik,
die auch aufgeschrieben, komponiert und
dem amerikanischen Lebenstraum von Freiheit
und Gleichberechtigung angedient wurde
von Einwanderers und Nachkommen dieser
Ethnien aus Europa, darunter zahlreiche Juden.
Na klar, dass die ihre Wurzeln in den Ballsälen
von Kansas City und den Clubs der New
Yorker Straßen nur finden konnten, wenn sie
sich mit der Schwarzen Entwicklung des Jazz
auseinandersetzten, die in den Dreißigern gespielt
wurde von den «Hotesten» Bigbands,
die vorwiegend schwarz besetzt waren. Doch
gelang schon damals jemandem wie Benny
Goodman, damals in seinen legendären
Carnegie-Hall-Konzerten, die Überwindung
rassistischer Trennungen im Band-Bereich:
Juden und Schwarze spielten zusammen,
später auch bei Woody Herman, Gunther
Schuller, Bill Evans, Stan Kenton und anderen
Größen der Szene.
Jazzer aus jüdischem Elternhaus und ihre
schwarzen Kolleg/-innen auf dem bandstand
und im Tonstudio vermittelten sich und ihre
technischen und kompositorischen Fähigkeiten
unabdingbar und ganz «sattelfest» in
den Konzerten gegenseitig.
Nach den Konzerten erlebten sie dramatisch
lebens-echt – und unterschiedlich
verursacht – ethnische Anfeindung: Rassentrennung
zwischen Schwarz und Weiß und
subtile Ausgrenzung durch ewiggestrige Antisemiten.
Derartige Erfahrungen schweißten
zusammen, bei Demos, Protestkundgebungen
und natürlich auf der Bühne. Und
noch heute jammen Jazzer zu den damaligen
Stücken, und wenn sie gut im Stoff stehen, die
Akkorde in Moll, Dur und Dominantseptakkord
quasi von selbst kommen, dann ist das
eine gemeinsame Sprache. Da verständigen
sich amerikanische Juden, Europäer, Farbige
aller Schattierungen in ihrem Idiom, diese
Symbol-Notate durch ihre eigenen Improvisations-
Künste und Licks so zu verweben,
dass ein gemeinsames Produkt entsteht. Das
eben macht Jazz als die sogenannte «Klassische
Musik des 20. Jahrhunderts» aus.
Wozu der Verweis auf die Klassik? Nun,
wir befinden uns in Deutschland, und hier
herrschte in den beginnenden Dreißigern
ein jazzfeindlicher Ton sondersgleichen.
NS-Reichsminister Frick trat bereits 1933 in
den Reigen der Verdunkelungs-Maschinerie
ein mit dem ersten Verbot des Jazz in seiner
«Deutschen Kulturwacht.» Nun hieß es
«Swing tanzen verboten!» auf allen öffentlichen
Tanzsälen, Reichsbahn-Abteilungen,
und diese erbärmlichen Sticker kursieren
bis heute auf deutschen Flohmärkten für
die Zielgruppe netter Spielzeug-Eisenbahn-
Sammler.
Damals wurden Stereotype geschaffen,
was teils bis heute durch deutsche Amts- und
Lehrstuben und in den Kriegsüberlebenden
beider deutscher Systeme geistert:
Als klassische, quasi «edle» Musik hat
sich hingegen später die sogenannte E-Musik
herausstilisieren können.
Dagegen scheint der Jazz, dem die Goebbelssche
Propaganda das Etikett von
«schmutziger», «dämonischer», «verunzierter
», «verniggerter» und «verjudeter
Unkultur» anheftete – wovon er sich bis heute
nicht völlig befreien konnte – noch immer als
U-Musik gebrandmarkt und als «Kunst zweiter
Klasse» aus dem Hochbetrieb der Opernhäuser
und «geweihten» Konzert-Hallen
verbannt. Ausnahmen in einigen wenigen
deutschen Großstädten bestätigen wohl eher
die Regel.

Von Harald KRAUSE

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