Die bewegte Geschichte des Rundfunkredakteurs Peter Finkelgruen  

Dezember 4, 2015 – 22 Kislev 5776
Von Schanghai über Prag und Israel nach Köln

von Roland Kaufhold

Köln, März 2012: Ein kalter Vorfrühlingstag. 70 Menschen haben sich auf dem Grünstreifen neben der Straßenbahn versammelt, inmitten des belebten Sülzgürtels. Der Journalist und Schriftsteller Peter Finkelgruen schaufelt Erde auf die gerade eingepflanzte junge Linde, seine Frau Gertrud begießt die Triebe. Rechts und links davon sind am Tag zuvor zwei schwere Steinfindlinge platziert worden. Einer trägt eine von der Stadt Köln gestiftete Plakette: Dieser Baum wurde anlässlich des 70. Geburtstages von Peter Finkelgruen gepflanzt - „in Erinnerung an seinen im Kleinen Lager Theresienstadt ermordeten Großvater Martin Finkelgrün“. Für ihn hat sich ein Kreis geschlossen: Ein Leben, das 1942 als Flüchtlingskind in Schanghai begann.
Von ihrem gemütlichen Wohnzimmer aus blicken die Finkelgruens nun auf den Baum und den Stein – zugleich ein „Grab“ für seinen 1944 in Theresienstadt ermordeten Großvater.

Als Flüchtlingskind in Schanghai

Peter Finkelgruen wird am 9. März 1942 im Ghetto Schanghai geboren. Dorthin waren seine Mutter und seine Großmutter mit ihm geflohen. Sein Vater Hans Leo ist, in Folge der nationalsozialistischen Verfolgung, kurz nach Peters Geburt verstorben. Schanghai war für viele jüdische Flüchtlinge ein Zufluchtsort. 20.000 Juden flohen in die ihnen unbekannte Stadt, der wohl bekannteste ist Michael Blumenthal, langjährige Leiter des jüdischen Museums von Berlin. Die Flüchtlinge bauen eine kleine Infrastruktur auf, der Psychoanalytiker Adolf Josef Storfer gründet 1939 die Exilzeitschrift „Gelbe Post“. Die Lebenssituation ist von Armut, Kälte und Krankheiten geprägt. Im November 1942 beginnt, unter dem Druck des Deutschen Reiches, die Ghettoisierung der Juden.

Seine Eltern betreiben in Schanghai einen kleinen Laden für Handschuhe und Lederwaren. Einige Erinnerungen sind Finkelgruen geblieben: „Heute ist manches in mir zurückgekommen, wir drei in einem kleinen Zimmer, Gerüche, Laute, fette, große Ratten. Ich habe eine wahnsinnige Rattenphobie.“ Von Schanghai aus schreibt seine schwer kranke Mutter an die in Palästina lebende Schwester ihres Mannes einen dringlichen Brief: „Ich möchte Euch Peterle nochmals ans Herz legen. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass er dann zu Euch soll.“

Bei seinen jahrelangen Recherchen über seine ihm zuvor weitestgehend unbekannte Kindheit und über die Ermordung seines Großvater Martin – dokumentiert in seinen Büchern „Haus Deutschland“ und „Erlkönigs Reich“ – eignet er sich seine eigene, ihm verborgen gehaltene Lebensgeschichte mühsam an. Ein schwieriges deutsch-jüdisches Erbe, angefüllt mit Ängsten. Als der Filmemacher Dietrich Schubert 1997 den Dokumentarfilm „Unterwegs als sicherer Ort“ über Finkelgruens außergewöhnliche Vita dreht, findet ein Teil der Dreharbeiten in Schanghai statt. Eine aufwühlende Wiederbegegnung. Und soeben ist Peter Finkelgruen von einer Schanghai-Reise zurückgekehrt, die er gemeinsam mit seinem 25-jährigen Enkelsohn unternommen hat.

Jugend in Prag und Israel

Ende 1946 geht der vierjährige Peter mit seiner Großmutter und seiner schwerkranken Mutter nach Prag. Knapp fünf Jahre lebt er dort, besucht eine Grundschule, eignet sich noch eine neue Sprache an. Schmunzelnd erinnert er sich: „Das waren eigentlich die beinahe einzigen ordentlichen Schuljahre meines Lebens.“
Im kommunistischen Prag weiß Peter nur wenig über Westdeutschland. „West-Deutschland, das hatte ich erfahren, war der Quell alles Bösen. Überhaupt war alles, was westlich war, gefährlich, dunkel und drohend“, erinnert er sich.

Eine prägende Jugend in Israel

Juni 1951 – ein erneute Zäsur. Gemeinsam mit seiner Oma Anna – seine Mutter ist inzwischen verstorben – gehen sie in den ihnen völlig unvertrauten, drei Jahre zuvor gegründeten jüdischen Staat. Einzige Anlaufstation sind die Tante und der Onkel. Peter muss erneut eine neue Sprache lernen, er gerät in immer neue Sprach- und Seelenverwirrungen. Als Anna einmal mit Peter deutsch spricht, wird sie von einem Überlebenden der Schoah geschlagen. Deutsch war die Sprache der Massenmörder. Der Neunjährige vermag all dies nicht einzuordnen. Und er hat niemanden, der mit ihm hierüber spricht.

Anfangs leben sie im Kibbuz Kfar Hammakabi. Die Sicherheitszäune im bedrohten Kibbuz lösen in Anna Ängste aus. Nach kurzer Zeit verlassen sie den Kibbuz und ziehen in ein in der Nähe von Haifa gelegenes arabisches Dorf. Von einem Ziegenhirt holt er regelmäßig Milch. Israel, welches er mit 17 Jahren wieder verlassen sollte, bleibt seine prägendste Lebenserfahrung. In Haifa besucht er eine von französischen Padres betriebene Schule. Der Unterricht findet in Französisch und Arabisch statt: „Ich verstand noch weniger als in Hebräisch. Ich wurde krank, bin tagelang abgehauen, kannte Haifa von oben bis unten. Ich ging in Antiquariate statt zur Schule. Jerry-Cotton-Hefte, Zeitschriften wie Stern und Kristall, nach und nach deutsche Bücher. Dann kam ich in ein schottisches Internat. Der anglikanische Pfarrer dort war eine Lichtgestalt für mich, eine Art Vaterersatz. Alle Jungen mochten ihn, und alle mit problematischem Hintergrund. Auf der Schule gab es Christen, Mohammedaner, Juden.“

Ein Leben in Deutschland

Nach dem Abitur ist Peter Finkelgruen in einer schwierigen Lebenssituation: Er hat kein Geld, möchte studieren, was ihm in Israel nicht möglich ist. Er reist nach Deutschland, studiert Soziologie und Geschichte. Dennoch: Seine Ängste im Land der Täter nehmen zu: „Ich hatte Herzklopfen und Ängste, als ich nach Deutschland kam. Ich musste Techniken entwickeln, mich gegen diese Angst zu wappnen. Deutschland war das Land, das mich ausgestoßen hatte, noch ehe ich überhaupt auf der Welt war.“
1963 beginnt er in Köln als Rundfunkredakteur bei der Deutschen Welle. 1979 gibt er gemeinsam mit seinem Freund Henryk Broder für 18 Monate die „Freie jüdische Stimme“ heraus – es war das erste unabhängige, „linke“ jüdische Magazin. (…)

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