Der deutsch-jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann wurde trotz objektiver Siegchancen die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin durch die Nazis verweigert. In ihrer Geburtsstadt Laupheim ist heute ein Stadion nach ihr benannt. Vor kurzem feierte sie ihren 100. Geburtstag 

Juli 3, 2014 – 5 Tammuz 5774
Vom Olympia- zum Alptraum

Anfang der 1930er Jahre waren die Olympischen
Spiele 1936 für den Winter nach Garmisch-
Partenkirchen und für den Sommer
nach Berlin vergeben worden. 1933 hatten die
Nationalsozialisten die Macht in Deutschland
übernommen. Hitler selbst war zunächst nicht
sonderlich interessiert an den Spielen – kein
Wunder, standen doch die humanistischen
Ziele von Olympia im krassen Gegensatz zur
nationalsozialistischen Weltauffassung. Und
Deutschland musste sich unter dem massiven
Druck des IOC obendrein verpflichten,
jüdische Sportler «prinzipiell» nicht von den
Olympischen Spielen auszuschließen. Doch
das NS-Regime fand Wege, genau dies am Ende
doch zu tun.
Anhand von Gretel Bergmann, die zur «falschen
Zeit» Olympia-reife Spitzenleistungen
im Hochsprung (und im Kugelstoßen) vollbrachte,
lässt sich exemplarisch zeigen, wie ein
olympischer Traum in einen Alptraum mündete.
Gretel Bergmann war Jüdin, und es konnte
nicht sein, was nicht sein durfte. Die von den
Nazis hartnäckig propagierte Überlegenheit
der «arischen» über die «degenerierte» jüdische
«Rasse» sollte nicht durch «Muskeljuden
» konterkariert werden.

Zurückgekehrt aus Großbritannien
Bergmann hatte Deutschland bereits 1934 in
Richtung Großbritannien verlassen und war
noch im gleichen Jahr englische Hochsprungmeisterin
geworden. In einem geheimen Gestapo-
Bericht war davon die Rede, dass jüdische
Organisationen, die «jüdische Mehrkämpferin
Grete Bergmann» in London für die Olympischen
Spiele vorbereiten «lassen». Indes kam
alles anders.
Wer sich mit der Biographie von Gretel
Bergmann beschäftigt, stößt früher oder später
unweigerlich auf die gleiche, ebenso markant
wie martialisch klingende Zuordnung:
Die Weltklasse-Hochspringerin sei «Hitlers
Alibijüdin» gewesen. Bergmann selbst hat
diese Formulierung in ihrem Lebensrückblick
aufgegriffen. Verbittert reflektiert sie da, dass
sie «Bauer im internationalen Schachspiel»,
die «Trumpfkarte» beim nationalsozialistischen
«betrügerischen Poker» gewesen sei.

Gedenktafel für Gretel Bergmann an einer Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf

Gedenktafel für Gretel Bergmann an einer
Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf

Mitgespielt in diesem Poker hat auch das
amerikanische Olympia-Komitee in Person
von Avery Brundage, der zunächst mit einem
Olympiaboykott gedroht hatte, wenn deutschjüdische
Sportler an den Spielen nicht teilnehmen
dürften, zugleich jedoch eine Allianz mit
der NS-Sportführung zur Sicherung der Spiele
von Berlin schmiedete. Fragen nach der Diskriminierung
außerhalb des Sports waren für
Brundage irrelevant. Er, in dessen Chicagoer
Club auch ein «Arierparagraph» galt, bekannte
sich zum Grundsatz: «separate but equal».
Den deutschen Nazis blieb Spielraum, ihre
Diskriminierungen fortzusetzen.
Unter Drohungen gegen ihre noch in
Deutschland lebende Eltern wurde Gretel
Bergmann 1934 ins «Reich» zurückbeordert
und in die olympische Kernmannschaft
aufgenommen. Doch schon für die deutschen
Leichtathletikmeisterschaften 1935 erhielt
sie keine Starterlaubnis mit der zynischen
Begründung, ihr Verein – «Der Schild» des
«Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten» – gehöre
nicht dem deutschen Leichtathletikverband
an. Aus ihrem Heimatverein, dem Ulmer
FV, war sie schon im April 1933 ausgeschlossen
worden. Jüdische Sportler hatten nicht die
geringste Chance, für die Olympiamannschaft
nominiert zu werden, weil sie sich «weltanschaulich
» nicht qualifizieren konnten.

2009 wurde Gretel Bergmanns Schicksal in dem Streifen «Berlin 36» verfilmt.

2009 wurde Gretel Bergmanns Schicksal in dem
Streifen «Berlin 36» verfilmt.

Von Theodor Joseph

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