Über die traurige Lage der Linken in Israel  

Januar 4, 2016 – 23 Tevet 5776
Volksverräter oder Visionäre?

Am 14. Mai 1948 verkündete David Ben-Gurion die Gründung eines jüdischen und demokratischen Staates Israel. Dieses Ereignis ist nach wie vor für viele Menschen unterschiedlicher politischer Einstellungen von enormer Bedeutung. Mit dieser Gründung wird für die Juden ein 2.000-jähriger Kreis geschlossen, die Verheißung der Rückkehr ins Gelobte Land.
Die Idee war nicht neu und entstammt religiösen Überlegungen. Dennoch wurde letztlich mit dem politischen Zionismus und durch seine linken sozialistischen Pioniere die Grundlage zur Entstehung dieses Staates gelegt.

Die heutige israelische Linke befindet sich vermutlich in dem schlechtesten Zustand seit der Gründung des Staates Israel und linker jüdischer Bewegungen generell. Als schwach, ideenlos und realitätsfern werden sie von vielen Kritikern bezeichnet. Die israelische Gesellschaft ist stark polarisiert und stark nationalistisch geladen. In diesem Gefälle gibt es kaum Platz für Gerede über Arbeitsmarktpolitik und billigen Wohnraum. Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit des Staates bewegen heute die Menschen mehr denn je. Links sein in Israel wird dadurch attestiert, wie man zu dem Konflikt steht und nicht etwa zu Gerechtigkeitsfragen. Das ist ein sehr großes Problem für sozialdemokratische bzw. sozialistische Parteien.

Der Frieden mit den palästinensischen Arabern und die Zwei-Staaten- Lösung scheinen im vorigen Jahrhundert untergegangen zu sein. Es war ein Jahrhundert des sozialistischen Zionismus, einer linken progressiven Bewegung, dessen Anhänger einen Staat gründeten und ihn möglichst sozialistisch gestalten wollten. Es ist eine Bewegung der Ben-Gurions, Golda Meirs und letztendlich Jitzak Rabins. Mit seinem Tod starb auch die israelische Linke – zumindest was ihre Führungspersönlichkeiten betrifft. Der unscheinbare Herzog und die erfolglose Shelly Yahimovitch prägen das Gesicht der ehrenwürdigen Arbeiterpartei nun schon mehr als ein Jahrzehnt.

Es wäre falsch zu behaupten, dass eine ganze Bewegung lediglich nur von einer Personen abhängig sei, da vor allem die Ideen einer solchen Bewegung zeitlos sind. Im Angesicht der realen Bedrohungen in der Region hinterfragen jedoch viele Menschen, was nun die „alte“ Idee zweier Staaten für zwei Völker heute bedeutet. Die Skepsis exisitiert nicht nur bei der Partei der Siedler oder der rechtsextremen Kahane-Bewegung. Lag die israelische Linke in ihrer bisherigen Analyse einfach nur falsch? Versagten diese Ideen an einer gnadenlosen, Israel meist auf-oktoyierten, Realpolitik?

Das alte Konzept der israelischen Linke „Land gegen Frieden“ ist am Beispiel des einseitigen Rückzuges aus Gaza kläglich gescheitert. Die Hamas hat die Führung übernommen und terrorisiert seitdem den jüdischen Staat. Dieses Argument wird gerne ausgeschlachtet in Bezug auf die Räumung von Siedlungen solange die Sicherheitsfrage ungeklärt ist.
Ein anderes Beispiel ist der Widerstand der Linken gegen die seit 2002 errichtete Mauer und Sperranlage, die die Israelis und „Palästinenser“ voneinander trennen soll. Das aus idealistischer Perspektive Mauern am liebsten nicht existieren sollten und keine Menschen trennen sollten, ist wohl jedem einleuchtend. Dennoch ist nachweislich durch den Mauerbau die Zahl der Anschläge stark reduziert worden, da nun für viele Selbstmordattentäter aus dem Westjordanland der Eintritt in das israelische Kernland verwehrt blieb. Heute sehen viele Linke in der Mauer und der damit verbundenen Trennung die physische Schaffung von zwei Staaten in der Zukunft. Sie kritisieren lediglich den Verlauf, der pragmatisch das Leben von Palästinensern stark erschwert.

Diese Beispiele sind weitverbreitete Narrative in der israelischen Gesellschaft, die der Arbeitspartei nachhängen. Ehrwürdige Pioniere der zionistischen Bewegung geraten in Hinblick auf die tägliche Gewalt in den Hintergrund. Das Erbe Rabins und der Glaube an den Frieden durch die Oslo-Verträge finden sich heute in der praktischen Politik nur sehr begrenzt wieder.

In den Tagen der Gewalt und der tiefsten Trauer über die Verluste schafft die israelische Linke den Menschen nicht eine Vision zu vermitteln, wie es einst Rabin tat. Eine Vision bzw. der Fakt, dass durch einen Frieden mit den Nachbarn der größte Teil der Probleme des Landes beseitigt werden würde. Diese Überzeugung Rabins und das Eingeständnis der Israelis sollte als Chance verstanden werden und nicht als Verrat an der nationalen Idee einer sicheren Heimat. Ohne diesen Frieden wird und kann es keine sichere Heimat für Juden geben. Wer das intellektuell nicht begreift, ist verhaftet in der Ewigkeit des Krieges und der Gewalt. Solange die israelische Linke dies nicht glaubwürdig vertreten kann, gibt es keine Alternative zu Netanjahus vermeintlicher Realpolitik.

Zwar könnte man sagen, Israel habe ein Willy-Brandt-Zitat gerade noch gefehlt, aber die universelle Wirkung dieses Satzes gilt auch für den jüdischen Staat, unabhängig aller unerträglichen Ereignisse: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke