Seit Montag ist es bittere Gewissheit: Die Entführung der israelischen Teenager Naftali Frenkel (16), Gilad Scha’ar (16) und Eyal Jifrah (19) kann keine glückliche Wendung mehr nehmen. Die Leben der drei Talmudschüler, die am 12. Juni in der Nähe von Gush Etzion spurlos verschwunden waren und auf deren Rückkehr nicht nur Israelis, sondern Menschen weltweit gehofft hatten, wurden brutal ausgelöscht. Naftali, Gilad und Eyal waren bekanntlich per Anhalter auf dem Weg nach Hause, vieles hatte darauf hingedeutet, dass sie beim Trampen einfach gekidnappt worden waren. Am Montag fand man ihre Leichen auf einem Feld, 20 Kilometer von Hebron entfernt. Fast drei Wochen lang hatten die israelischen Sicherheitskräfte auf intensivste Weise nach dem Verbleib der Jungen gesucht – vergeblich. Viel deutet darauf hin, dass sie schon kurz nach der Entführung getötet wurden. Zehntausende Menschen kamen zur Beerdigung der drei, die am Dienstag in Modi’in stattfand. Das Land fand sich in Trauer vereint, religiöse, politische, gesellschaftliche Unterschiede verblassten.
Noch wenige Tage zuvor hatte die Mutter von Naftali Frenkel, Rachel Frenkel, vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf sprechen können. Dort hatte sie die internationale Gemeinschaft um Hilfe bei der Suche und Rettung der Jungen gebeten und eindringlich erklärt: “Es ist der Alptraum jeder Mutter darauf zu warten, dass ihr entführter Sohn endlich wieder nach Hause kommen kann.“ Weltweit hatten sich Frauen, Männer und Jugendliche zu Wort gemeldet – Juden wie Nichtjuden – und den Familien der Entführten ihre Verbundenheit, ihr Mitgefühl signalisiert. Am Ende aber blieb sogar die vage Hoffnung, die Entführung könne auf einen strategisch geplanten Austausch der Jugendlichen gegen hunderte – oder auch Tausende – in Israel inhaftierte Palästinenser hinauslaufen, wie seinerzeit im Falle des Soldaten Gilad Schalit, unbegründet.
Ebenfalls Tage vor dem grausigen Fund hatte Israels Inlands-Geheimdienst Schin Beth erstmals die Namen zweier Hamas-Aktivisten aus Hebron genannt, die der Entführung – und nun auch der Ermordung - von Naftali, Eyal und Gilad dringend verdächtig sind: Marwan Kawasmeh und Amer Abu Eischeh. Beide verbüßten wegen terroristischer Aktivitäten bereits Haftstrafen in Israel, und beide tauchten am Tag der Entführung der Jungen ab. Die Führungsspitze der Hamas, die sich seit einigen Wochen in trauter Einheitsregierung mit Fatah-Chef Mahmoud Abbas befindet, bestritt kategorisch, die Entführung oder gar die Ermordung der Jugendlichen initiiert zu haben. Kaltschnäuzig hatte Hamas-Führer Khaled Meschal gleichwohl gegenüber dem arabischen Sender „Al Jazeera“ erklärt, er würde den Entführern gratulieren, sollten sie tatsächlich so agiert haben, denn, so Meschal: «unsere Gefangenen müssen aus den Gefängnissen der Besatzungsmacht befreit werden».
Noch fehlt von den Tätern jegliche Spur, und noch fehlt der eindeutige Beweis, dass sie tatsächlich aus den Reihen der Hamas kommen. Israels Verteidigungsminister Moshe Ya’alon ließ allerdings keinen Zweifel aufkommen, wenn er den Journalisten erklärte: "Wir werden die Jagd auf die Mörder der Jungen fortsetzen und nicht ruhen, bis wir sie ergriffen haben."
Für Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, bedeutet die Ermordung der Jungen so oder so eine politische Katastrophe. Seine Einheitsregierung ist diskreditiert, noch ehe sie ihre Arbeit richtig aufgenommen hat. Selbst wenn es „nur“ bei verbalen Entgleisungen und zynischen Rechtfertigungen seiner Koalitionspartner von der Hamas bleibt, zeigt deren Gebaren im Entführungsfall einmal mehr, dass ihnen allgemeine zivilisatorische Werte herzlich wenig bedeuten. Vor einem Jahr gingen Aufnahmen der BBC um die Welt, die brausende Motorräder in Gaza zeigten, welche die toten Körper palästinensischer „Kollaborateure“ hinter sich herschleiften. Am 12. Juni diesen Jahres gab es Freudentänze und Bonbons, als die Nachricht von der Entführung der israelischen Jungen die Runde machte. Eine der Mütter der mutmaßlichen Hamas-Aktivisten soll öffentlich ihren Stolz darüber bekundet haben, dass ihr Sohn Juden entführt. In solchen Momenten ist man geneigt, dem israelischen Politikwissenschaftler Dan Schueftan Recht zu geben, der sich ob der naiven Vorstellung von Beobachtern wundert, Mörder an der eigenen ethno-religiösen Gruppe könnten gegenüber Juden vielleicht etwas freundlicher sein.
Bei der Beerdigung von Gilad, Eyal und Naftali wurde – auf Bitten der Angehörigen – bewusst auf politische Reden und Spekulationen verzichtet. Die betroffenen Familien, Verwandte, Freunde teilten einfach Schmerz und Leid, unterließen Polemik und radikale Schuldzuweisungen. Vielleicht hätte genau dies auch den deutschen Nahost-Berichterstattern gut getan. Hier dominieren inzwischen wieder die Headlines von „Racheakten“, „Vergeltungsschlägen“ und „massiven Raketenangriffen“ auf Gaza. Dass israelische Grenzorte zum Gazastreifen schon seit Wochen wieder unter palästinensischem Raketenbeschuss standen – parallel zur Entführung der Teenager, vielleicht auch in bewusster Ergänzung dazu – ist in vielen Redaktionsstuben schon wieder vergessen.
Olaf Glöckner
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