Die Argumente für den Gaza-Abzug klangen rational – aber waren alle falsch  

September 5, 2015 – 21 Elul 5775
„Singapur des Nahen Ostens“

Von Ulrich Becker

(…) Und zu meiner Scham muss ich heute gestehen, dass ich damals, wie viele andere Israelis, diesen Schritt mit all dem Leid, das er unseren Brüdern in Gusch Kativ antat, als notwendig empfand. Notwendig, denn wir wussten doch alle, dass Israel ansonsten unmittelbar vor einem demografischen Kollaps stehen würde. Israel könne nicht über eine sich so viel schneller vermehrende, feindliche Bevölkerung regieren, es musste sich „abkoppeln“. So hatte es uns Ariel Scharon gesagt, so berichteten es uns täglich die Medien. Und trotzdem war es unsere Verantwortung. Wir hätten es besser wissen sollen. Erst Jahre später wurde mir und vielen anderen klar, dass die Hysterie der Demografie eine Ente war und sogar eine teilweise gezielt eingesetzte oder einfach naiv geglaubte und weitererzählte „palästinensische“ und linke Propaganda. Die jüdische Mehrheit zwischen Mittelmeer und Jordan ist nicht bedroht, im Gegenteil: der Trend der letzten Jahrzehnte entwickelt sich vorteilhaft für die jüdische Bevölkerung und im heutigen israelischen Konfliktdiskurs ist das Demografie-Argument so gut wie ausgestorben.

Damals hatte es aber seine Sternstunde und war unschlagbar. Scharon warnte nicht nur vor den apokalyptischen Folgen, sollte man Gaza und (oft vergessen) Nordsamaria nicht zwangsweise judenrein machen, sondern schwärmte auch von all dem Guten, dass uns durch diesen schmerzhaften Schnitt ins eigene Fleisch ereilen sollte:
Israel würde sicherer werden, weniger tote und verletzte Soldaten, die „Palästinenser“ hätten weniger Grund uns zu hassen, die internationale Gemeinschaft würde Israel in einem positiveren Licht sehen, ja selbst die Armut ließe sich nun besser bekämpfen - kurz, ein messianisches Ereignis, für das Alle zu begeistern waren.

Vor allem der Welt zu zeigen, dass wir zu tiefen Einschnitten bereit sind, für den Frieden, und uns nicht als den schuldigen Kriegstreiber darzustellen, war für Viele eine bedeutende und wohltuende Fantasie. Scharon sagte in seiner historischen Rede vor der Zwangsevakuierung u.a.:
„Die Welt wartet auf die palästinensische Antwort – werden sie ihre Hand zum Frieden reichen oder den Terror forcieren? Wir werden unsere Hand mit einem Olivenzweig ausstrecken, aber wir werden auf Angriffe mit nie dagewesener Härte reagieren.“

Drei Kriege und Tausende von Raketen später, wissen wir, dass alles, aber wirklich alles, was versprochen und gehofft wurde, genau im Gegenteil eintraf.
Der Abzug brachte nicht Frieden, sondern mehr Hamas, mehr Terror und mehr Krieg - und das war der heißumworbenen „Welt“ herzlichst egal.
Der Abzug brachte nicht mehr Sicherheit, sondern – genau wie es die „hitzköpfigen Siedler“ prophezeit hatten „Raketen auf Tel Aviv“. Oft belächelt, hatten die Siedler argumentiert, dass sie ihren Kopf für ganz Israel hinhalten, an der Front ständen und für alle Israelis einsteckten. Würden sie weg sein, würde der Terror weiterziehen.

Sie behielten Recht. Hatten vor dem Abzug vor allem die Siedlungen in Gaza unter kleinen primitiven Raketen und Mörserbeschuss zu leiden, lag jetzt das halbe Land unter schwerem Raketenhagel mit vereinzelten Kassam-Schauern. Hatten israelische Soldaten vorher ab und zu mit Terroranschlägen zu kämpfen, mussten sie jetzt alle paar Jahre blutige und kostspielige Kriege mit tausenden Toten ausfechten.
Der Abzug brachte nicht mehr internationale Sympathien, sondern im Gegenteil, anti-israelische Hassorgien und Protestmärsche, Gazaflottillen (als Bonus den Bruch mit der Türkei umsonst mit dazu), internationale Untersuchungen und Verurteilungen, wann immer Israel nur die Frechheit besaß, sich gegen den Terror aus Gaza zu verteidigen.

Und selbst über Scharons Drohung der schrecklichen Härte mit der Israel nach einem Abzug auf Angriffe reagieren würde, können wir heute nur weinend lächeln:
Seit Jahren hält die Hamas halb Israel unter ihrem Raketenterror und wird mit viel iranischer Hilfe von Krieg zu Krieg stärker und bedrohlicher. Israel hat dem kein Ende gesetzt, sondern reagiert im Gegenteil immer nur, wenn es zu schlimm wird, bis die Terroristen „Halt“ rufen. Immer wieder – gerade erst diese Woche – bekommen die Israelis im Süden die Erinnerung an die Bedrohung frei Haus, als Sirenen, denen sie im Luftschutzraum horchen dürfen. In der folgenden Nacht zerstört dann die israelische Luftwaffe meist irgendeinen leeren Schuppen oder beschießt eine „Düne“ als tapfere, unerschrockene Antwort – so sieht die furchtbare Härte aus, mit der wir reagieren.

Als ironisches Andenken der Geschichte bekam Ariel Scharon vor einem Jahr auf seiner Farm nahe des Gazastreifens sogar einen Raketenalarm auf seinem Begräbnis. So sicher hatte seine gewalttätige Vertreibung und Säuberung der Juden in Gaza Israel gemacht. Zehntausende Raketen stehen jetzt in Gaza und sind auf israelische Städte und Ziele fast im ganzen Land gerichtet. Sechs Millionen Israelis befinden sich in ihrer Reichweite. Gekoppelt mit der ebenso ungebändigten und noch viel größeren Gefahr aus dem Libanon könnte dies Israel in einen sehr schweren Krieg stürzen.

Und der Hass und die Angriffslustigkeit der „Palästinenser“ in Gaza wächst umso mehr, je weniger Israel vor Ort ist. Das hatte man eigentlich schon im Oslo-Prozess gelernt. Gaza blühte auch nicht wirtschaftlich auf nach dem „Ende der Besatzung“ oder wurde gar Schimon Peres‘ „Singapur des Nahen Ostens“, sondern begab sich mit Fanfaren in die Hamas-Terrorherrschaft, die jetzt schon vom noch radikaleren Islamischen Staat Konkurrenz bekommt. (…)

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