Helmut Newton (1920 – 2004) zählt zu den großen Fotografen-Legenden des 20. Jahrhunderts. Seine Werbe- und Modefotografien sowie nicht zuletzt seine provokanten Aktaufnahmen sorgten vor allem seit den 1970er Jahren für Furore und gelten bis heute vielen Fotokünstlern als Vorbilder.
Über Newtons Leben ist viel geschrieben worden. Hinlänglich bekannt ist auch, dass der Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten 1938 seine Heimat in Richtung Singapur verlassen musste und später von Australien aus seine Karriere startete. Nur wenige wissen jedoch, dass Newton die Grundlagen seines Handwerks bei einer jüdischen Fotografin erlernte, die im Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre ihrerseits eine Berühmtheit war, jedoch heute in Vergessenheit geriet.
Else Ernestine Neulaender, genannt Yva, wurde 1900 in Berlin geboren. Bereits mit 25 Jahren eröffnete sie ihr erstes Fotoatelier. Schnell machte sie sich einen Namen als Mode- und Werbefotografin, indem sie Kunst und Kommerz geschickt zu verbinden wusste. Viele der damals wichtigsten deutschen Illustrierten und Zeitungen bestellten Fotos bei ihr, darunter „Das Magazin“, „UHU“, „Die Dame“, „Berliner Illustrirte Zeitung“ oder „Figaro“. Ab 1929 lieferte sie auch Bilder für den Ullstein Verlag.
Yvas Markenzeichen wurde ein akkurater Schwarz-Weiß-Stil. Dabei bediente sie sich Unschärfen und Schatten und ließ somit eine unterschwellige Mystik in den ansonsten cleanen Bildern entstehen. Ihre frühen Aufnahmen werden dem Expressionismus zugerechnet.
Die Fotografin wuchs als jüngstes von neun Kindern in Berlin-Kreuzberg auf. Ihre Eltern, Siegfried und Jenny Neulaender, waren jüdischer Abstammung, lebten jedoch nicht nach dem Ritus. Siegfried führte als Kaufmann ein Mode- und Hutwaren-Geschäft, in welchem Jenny als Modistin arbeitete. Der Vater verstarb bereits als Yva vier Jahre alt war, sodass die Mutter das Geschäft bis 1925 selbstständig weiterführte. Angesichts der Tatsache, dass ihre Mutter neun Kinder alleine zu versorgen hatte, wuchs Yva in bescheidenen Verhältnissen auf.
Darüber, wie Yva zur Fotografie kam, geschweige denn über ihren Ausbildungsweg, ist leider nichts bekannt. Möglicherweise ließ sie sich vom Beruf ihrer Mutter inspirieren. Passenderweise entdeckte auch ihr Bruder Ernst, der neun Jahre älter war als sie, seine Liebe zur Mode. Er wurde Teilinhaber des jüdischen Haute Couture-Hauses August Kuhnen. Dieser exklusive Modesalon war auf teure Einzelstücke und besondere Pelzverarbeitungen spezialisiert.
Fakt ist, dass Yva 1925 ihr erstes Atelier in der Friedrich-Wilhelm-Straße 17 in Berlin-Tempelhof eröffnete. Anfangs war sie auf Porträts ausgerichtet und legte den Fokus hierbei mehr und mehr auf Pressematerial. Möglicherweise halfen ihr die Kontakte ihres Bruders Ernst dabei, sich als Modefotografin zu etablieren.
Bis 1929 experimentierte Yva mit verschiedenen Belichtungstechniken, später konzentrierte sie sich auf Gebrauchsfotografie, da diese sich finanziell am meisten lohnte. Einige faszinierende Fotos mit Mehrfachbelichtungen sind aus ihrer frühen Schaffenszeit erhalten.
In den zwanziger Jahren schossen immer mehr Illustrierte aus dem Boden, die neben dem Film zum wichtigsten Unterhaltungs-Medium wurden. Diese Blätter benötigten einen stetigen Nachschub an Bildern. Im Zuge einer freieren Körperkultur wurde auch zum ersten Mal Aktfotografie als künstlerisches Sujet salonfähig und als Fotothema in Magazinen präsentiert. Zumindest unter bestimmten Voraussetzungen. Seit 1907 war es gesetzlich erlaubt, den nackten Körper zu körperkulturellen Werbezwecken fotografisch zu präsentieren. Die Maßstäbe hierfür waren natürlich stets Auslegungssache. Als Grundsatz galt, klassische Akte möglichst nicht erotisiert, sondern unter dem Motto der neuen Sachlichkeit zu präsentieren. Ebenso sollte das Modell darauf nicht zu erkennen sein.
Natürlich konnten ebenso diese Bilder – ob nun gewollt oder ungewollt – eine erotische Wirkung entfalten. Auch Yva fertigte zwischen 1926 und 1929 einige Aufnahmen im fotografischen Aktbereich, der damals noch in den Kinderschuhen steckte. Sie wählte hierfür Teilausschnitte des Körpers, „Bodyparts“, wie man heute sagen würde oder entschied sich für eine Rückenansicht.
Sehr beeindruckende Aktaufnahmen fertigte Yva von den Tänzerinnen Sonja Kogan und Claire Bauroff, die sich jeweils zu erkennen gaben.
Als ihr Geschäft florierte, beschloss Yva ab 1930 größere Atelierräume anzumieten. Sie landete in einer Sechszimmerwohnung in der Charlottenburger Bleibtreustraße, Ecke Mommsenstraße, unweit des Ku’damm. Der „Neue Westen“, wie dieser Stadtteil auch bezeichnet wurde, war zur damaligen Zeit Berlins schickstes und hipstes Viertel. Eine interessante Mischung aus liberalem Bürgertum, Künstler-Elite und Bohemiens hatte sich hier angesiedelt. Angesagte Cafés, Bars und Restaurants sowie elegante Geschäfte versprachen ein aufregendes gesellschaftliches Leben. (…)
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