Ein Gespräch mit Rabbiner Schimon Grossberg über seine Jugend in Uman, Yeshiva-Erfahrungen in Moskau, die Arbeit in der Gemeinde Hanau und sein Faible für Autos 

August 7, 2014 – 11 Av 5774
«Regelmäßig an Nachmans Grab»

Rabbiner Grossberg, Sie kommen ursprünglich aus der ukrainischen Stadt Uman. Machen Sie sich jetzt − angesichts der fortwährenden und zugespitzten Ukraine-Krise − Sorgen um die jüdische Ge- meinschaft in Ihrem Herkunftsland?
Selbstverständlich. Täglich verfolge ich die Nachrichten über die Konflikte in der Ukraine. Es ist mir überhaupt nicht gleichgültig, was dort passiert. Ausgehend von den Berichten meiner jüdischen und nichtjüdischen Freunde, glaube ich aber, dass der Antisemitismus in der Ukraine nicht zugenommen hat. Der alltäglich gewöhnliche Antisemitismus wird nicht verschwunden sein, aber dennoch glaube ich nicht an herumlaufende Nazis auf ukrainischen Straßen. Es stört es mich deshalb sehr, wenn verschiedene Kräfte den Antisemitismus in der Ukraine jetzt bewusst zu instrumentalisieren versuchen.

Sie sind Ende der 1990er Jahre nach Deutschland gekommen. Was hat Sie denn bewegt, «ausgerechnet nach Deutschland» zu gehen?
Alle Familienmitglieder meiner Frau hatten Einreiseanträge in die Bundesrepublik gestellt. Sie wollten nach Deutschland, weil hier bereits eine Reihe von Verwandten lebte. Ich hingegen konnte mir die Immigration nach Deutschland schwer vorstellen, ich wollte nach Israel. Nach langen Diskussionen haben wir uns dann darauf geeinigt, nach Deutschland auszuwandern. Wir sind mit neun Personen hier eingereist, wollten ursprünglich nach Hannover, wurden dann aber nach Osnabrück zugeteilt. Dort amtierte der damals einzige orthodoxe Rabbiner in Niedersachsen – Rabbiner Mark Stern sel. A. Das wir unser Start in das jüdische Deutschland.
Auf der Website der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) ist zu lesen, dass Ihr Interesse an der Religion vor allem auch durch die Brazlaver Bewegung geweckt wurde.

Der berühmte Nachman von Brazlav hat ja sein Grab in Uman...
Richtig, ich bin in Uman geboren und aufgewachsen. Durch Rabbi Nachman ist die Stadt heute weltweit unter Juden wie Nichtjuden sehr bekannt. Meine Familie war nicht religiös; wir pflegten nur einige wenige Traditionen. Meine Großmütter fasteten beispielsweise an Fastentagen und aßen kein Schweinefleisch. Aber es gab auch Elemente der Tradition, schon damals, für die ich auch im Nachhinein noch sehr dankbar bin. Ich kann mich sehr gut an Mazzen und besonders gut an Jom Kippur erinnern. Und schon seit meiner Kindheit habe ich Jiddisch gesprochen, das hat mir sehr geholfen zurück zum religiösen Leben zu finden. Als Anfang der 90er Jahre die ersten Chassiden aus dem Ausland zum Grab von Rabbi Nachman pilgerten, habe ich sie gut verstanden – das hat mich sehr überrascht. Aus Interesse bin ich den Chassiden dann in ihr Viertel in Uman gefolgt. So begann mein Weg in das wahre Judentum, der mich sehr fasziniert.

Ihre eigentliche religiöse Ausbildung haben Sie dann in Moskau erhalten. Gab es dort für Sie stark prägende Charaktere und Einrichtungen?
Ich bin nach Moskau gegangen, um mich am «Institut für Erforschung des Judentums» zum Gemeinde-Mitarbeiter beziehungsweise Gemeindeleiter in der GUS ausbilden zu lassen. Parallel dazu habe ich mich an der Jeschiwa «Mekor Chaim» eingeschrieben. Sie wurde von Rabbiner Adin Steinsalz persönlich ge- leitet. Der Rosch-Jeschiwa war Rabbi Nochum Zeev Rapaport, und das Programm wurde von Duidi Polant organisiert − ein Meister seines Faches, der auch die Seele der Einrichtung war. Der Unterricht und die Bekanntschaft von Rabbiner Steinsalz faszinierten mich. Rabbiner Rapaport war ein hervorragender Rosch-Jeschiwa. In Moskau begann auch meine Freundschaft zu meinem jetzigen Kollegen in der Or- thodoxen Rabbiner-Konferenz Deutschland, Rabbiner Puschkin. Ich studierte in Moskau auch einige Zeit an der Jeschiwa «Ohalej Jakov». Ebenso lernten wir zeitweise in der Jeschiwa von Rabbiner Steinsalz in Israel sowie auch in anderen israelischen Jeschiwot.

Ihre Frau Nelya ist damals mit Ihnen nach Moskau gegangen. Ging ihr Studium in eine ähnliche Richtung?
Nelya hat an der Moskauer Pädagogischen Hochschule Judaistik studiert, und sie hat ebenfalls die Vorlesungen von Rabbiner Rapaport und dessen Frau besucht. Sie war ebenfalls beeindruckt und hat bis heute sehr warme Erinnerungen an diese beiden Menschen.

Mittlerweile zählt Ihre Familie sechs Mitglieder...
Ja, wir haben G’tt sei Dank vier Kinder. Unsere älteste Tochter Malka wurde noch in Uman geboren. Sie will demnächst ein Studium in den USA aufnahmen, und dort neben dem Studium des Judentums auch einen Beruf erlernen. Die anderen Kinder sind in Osnabrück geboren. Nachman Daniel ist vor kurzem Bar-Mizva geworden und hat die Tora und Haftara wunderbar vorgelesen, worauf wir sehr stolz sind. Joel ist sieben Jahre alt. Er liebt Fußball und anderen Sport.

Das Gespräch führte Olaf GLÖCKNER

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Zur Person

Rabbiner Schimon Grossberg, 1970 im ukrainischen Uman geboren, hatte seine ersten intensiven Begegnungen mit der jüdischen Religion durch die Brazlaver Bewegung. In seinem Heimatort hat sich das Grab des jüdischen Weisen Nachman von Brazlav zu einem Pilgerort für Juden aus verschiedensten Ländern und Kontinenten entwickelt, insbesondere am jüdischen Neujahrsfest (Rosh ha Shana) treffen sich hier Zehntausende begeisterter Chassiden. Schimon Grossberg, der zunächst eine Lehrerausbildung aufnahm, studierte noch als junger Mann an den Yeshivot «Mekor Chaim» und «Ohalej Jakov» und übernahm zwischenzeitlich die Leitung der lokalen Jüdischen Gemeinde in Uman. 1999 entschließt er sich, zusammen mit seiner Frau und deren Familie nach Deutschland zu ziehen. Die Familie erlebt einen herzlichen Empfang in der Jüdischen Gemeinde Osnabrück. Schimon entschließt sich endgültig, Rabbiner zu werden, erhält die entsprechende Zusatzausbildung und die Prüfungen in Jerusalem. Seit zweieinhalb Jahren fungiert er als Rabbiner in den Jüdischen Gemeinden von Hanau und Limburg a. d. Lahn. Schimon Grossberg ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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