Arten von Belohnung, Erfolge, Missgeschicke und Desaster in Übersicht der Wochenabschnitte, die in Juni gelesen werden 

Juni 6, 2019 – 3 Sivan 5779
Verhängnisvolle Wüste

Von Rabbiner Elischa Portnoy

Im Juni gibt es gleich fünf Schabbatot und es werden entsprechend fünf Wochenabschnitten aus der Thora vorgelesen. Mit dem Wochenabschnitt „Bechukotaj“ (In meinen Satzungen) wird das 3. Buch „Wajikra“ beendet und mit den Wochenabschnitten „Bemidbar“ (In der Wüste), „Naso“ (Erhebe), „Behaalotcha“ (Wenn du anzündest) und „Schlach Lecha“ (Schicke) fast die Hälfte des 4. Buches der Thora gelesen.

Geistige und materielle Belohnung

Das Wochenabschnitt „Bechukotaj“ ist der logische Abschluss der Geschichte, die mit dem Auszug aus Ägypten begonnen hat, mit dem Thora-Empfang auf dem Berg Sinai ihren Höhepunkt erreicht hat und mit dem Bau des Stiftzelts beendet wurde. Was in Wirklichkeit weniger als zwei Jahre gedauert hat, nimmt mit den Büchern „Schemot“ und „Wajikra“ zwei Drittel der Thora ein. Nachdem das jüdische Volk 613 Gebote für seine Aufgabe in dieser Welt bekommen hat, offenbart die Thora in diesem Wochenabschnitt sowohl die Belohnung für das Erfüllen von den Geboten, als auch harte und unangenehme Konsequenzen für das Nicht-Erfüllen.

Wenn man die versprochene Belohnung anschaut, fällt sofort auf, dass die Thora ausschließlich materiellen Segen verspricht: „So will ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben und die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen, und die Dreschzeit soll reichen bis zur Weinernte, und die Weinernte bis zur Zeit der Saat; und sollt Brots die Fülle haben und sollt sicher in eurem Lande wohnen“.

Was aber ist mit den spirituellen Dingen? Ewiges Leben in der kommenden Welt? Platz im Gan Eden? Wonne im Antlitz des Ewigen? Dass auch das sein wird, haben uns die Propheten und unsere Weisen ja offenbart und beschrieben. Warum steht aber in der Thora kein Wort dazu?

Die großen Thora-Kommentatoren geben mehrere interessante Antworten auf diese starke Frage. So schreibt Rambam (1135-1204) in seinem Werk „Mischne Tora“ (Hilchot Tschuwa 9): Wir müssen die Gebote halten, nicht um eine Belohnung zu bekommen, sondern rein um des Himmels Willen. Deshalb wird hier über die (geistige) Belohnung gar nicht gesprochen. All diese Dinge wie Reichtum, Essen und Wohlstand sollen uns einfach das Halten von Geboten ermöglichen. Wenn man krank ist oder nichts zu essen hat, dann ist es schwierig sich aufs Thora-Lernen zu konzentrieren oder einfach Tfillin anzulegen. Deshalb brauchen wir für den vollkommenen G’ttesdienst schon gute äußere Bedingungen und das verspricht uns G’tt auch.

Die Meinungen der großen Thora-Kommentatoren

Ibn Ezra (1089-1167) vermutet, dass wir uns die riesige geistige Belohnung gar nicht vorstellen können, deshalb erspart uns die Thora ihre Beschreibung.

Saadia Gaon (882-942) meint, dass die Thora gegen unseren „Jetzer haRah“ (bösen Trieb) spricht: die Götzendiener glauben, dass ihre Götzen ihnen ein reiches und angenehmes Leben in dieser Welt gewähren. Deshalb muss uns die Thora beruhigen und versichern, dass G’tt sich ja um unser Wohl kümmern wird.

Rabejnu Nissim (1308-1376) bemerkt, dass die Thora uns auch das Spirituelle verspricht (26:11-12): „Ich will meine Wohnung unter euch haben, und meine Seele soll euch nicht verwerfen. Und will unter euch wandeln und will euer G‘tt sein; so sollt ihr mein Volk sein“.

Eine interessante Unterscheidung macht der jüdisch-spanische Religionsphilosoph Rabbi Josef Albo (1380-1444) in seinem berühmten Werk „Sefer haIkarim“ (Grundsätze): Das, was in der Thora versprochen ist (Regen, reiche Ernte usw.) gilt für das Volk insgesamt. Jeder einzelne Mensch bekommt ja seine individuelle himmlische Belohnung, und zwar entsprechend seinen Taten.

Der 7. Ljubawitscher Rebbe Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) bringt es auf den Punkt: das materielle und das spirituelle Leben der Juden sind untrennbar. Beide Teile des Lebens müssen der Thora untergeordnet werden. Jedoch erwähnt die Thora nur das Materielle, damit wir uns nicht irren und nicht glauben, dass die Thora sich nur mit dem geistigen Teil des Lebens beschäftige. Alles in unserem Leben soll G’tt gewidmet werden (Gedanken, Reden, Taten) und natürlich werden wir von G’tt dafür entsprechend belohnt.

Unerwarteter Erfolg

Im Wochenabschnitt „Bemidbar“ am Anfang vom 4. Buch Mose gibt es große Volkszählung. Raschi erklärt, warum ausgerechnet hier gezählt wird: „Weil sie vor Ihm geliebt sind, zählt Er sie in jeder Stunde; als sie aus Mizraim (Ägypten) zogen, zählte Er sie; als durch das Goldene Kalb einige von ihnen gefallen waren, zählte Er sie, um die Zahl der Übriggebliebenen zu wissen; als das Stiftzelt fertiggestellt wurde, um Seine Präsenz auf ihnen ruhen zu lassen, zählte Er sie“. Und gerade deshalb wird das 4. Buch der Thora als „Buch der Zahlen“ bezeichnet.

Wenn man viele Zahlen beim Lesen sieht, wirkt das nicht besonders spannend. Jedoch können sich hinter diesen Zahlen manchmal aufregende Geschichten verstecken, wie es Rav Frand aus Baltimor beeindruckend zeigt. Wir finden, bemerkt Rav Frand, dass die Anzahl der Menschen vom Stamm Dan 62.700 beträgt. Wenn man diese Zahl mit den Mitgliedszahlen anderen Stämmen vergleicht, stellt sich heraus, dass der Stamm Dan der zweitgrößte war – größer war mit 74.600 Mitgliedern nur der Stamm Jehuda.

Der taube einzige Sohn von Dan

Das wäre an sich auch nichts besonders, wenn da nicht die Familiengeschichte vom Stammesgründer Dan wäre. Während alle Söhne von Jakow Avinu mehrere Kinder hatten, hatte sein fünfter Sohn Dan nur ein einziges Kind namens Chuschim. Zu allem Überfluss war dieser Chuschim auch noch taub. Deshalb kann man sich vorstellen, welche Sorgen Dan und seine Frau sich um ihren Sohn machten: Was wird aus ihm? Wird er je eine Familie gründen können? Wird er Nachkommen haben? Und gerade bei der Zählung in unserem Wochenabschnitt sehen wir, dass ihre Sorgen unbegründet waren: Dan hat nicht nur eine Familie gegründet, nicht nur Nachkommen hinterlassen, sondern er wurde zum zweitgrößten Stamm in Israel!

Das ist auch große Inspiration für uns: manchmal machen wir uns begründete oder unbegründete Sorgen. Was wird aus unseren Kindern? Werden sie glücklich, wohlhabend, erfolgreich? Die Geschichte von Chuschim zeigt, dass wir uns einfach Mühe bei der Erziehung geben und auf G’tt vertrauen sollen, und dann auch unerwartete Erfolge unserer Kinder feiern dürfen.

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