05. Juli 2014
Parascha Balak
Numeri 22:2-25:9
Bei diesem Wochenabschnitt Balak erleben wir den moabitischen
König Balak, der einen nichtjüdischen Propheten Bilam
dazu anstiftete, das jüdische Volk zu verfluchen. Jeder Versuch
des Fluches endete aber – vergeblich für den Anstifter – mit einem
Segen. Um das jüdische Volk dann auf eine andere Weise
zu schwächen, verführten moabitische und midianitische Frauen
jüdische Männer. Dafür wurde das jüdische Volk mit einer
Seuche bestrafft. Pinchas, Enkelsohn von Aron, entschließt sich
dazu das frechste Paar, das der Sünde verfiel, vor den Augen des
Volkes zu töten. Dadurch kommt das jüdische Volk zur Besinnung,
und es kommt zum Ende der Seuche.
Der Wochenabschnitt weist bei genauerem Hinsehen einen
erstaunlichen Widerspruch auf. Denn am Anfang, hat G-tt Bilam
strengstens verboten, Balaks Aufforderung das jüdische Volk zu
verfluchen, zu folgen (Bamidbar 22:12). Jedoch etwas später, im
Vers 20, sagt G-tt Bilam selbst, dass er den Gesandten von Balak
folgen soll. Kann denn G-tt Seine Meinung so schnell verändern,
wie ist das möglich? Diese Frage stellt der Talmud im Traktat
Makkot 10b. Die Antwort die uns der Talmud auf diese Frage
gibt, ist eine wichtige Lebensweisheit.
Der Talmud sagt: «Den Weg, den der Mensch gehen möchte,
diesen Weg wird er auch geführt». Mit anderen Worten, G-tt
gibt uns zwar klare Anweisungen, was richtig und was falsch im
Leben ist. So wie es in der Tora steht: «Ich lege vor euch das Leben
und den Tod». Unseren Weg wählen, also uns für das richtige
oder falsche zu entscheiden, oder für das Leben oder für den
Tod festzulegen, müssen wir aber selbst. Darin besteht unsere
Willensfreiheit. Doch sobald wir uns für einen Weg entschieden
haben, wird uns geholfen diesen Weg zu gehen, unabhängig davon,
ob er richtig oder falsch ist. Bilam war ein Mensch der sehr
auf Ehre und Reichtum bedacht war. Also war er von Anfang an
fest dazu entschlossen, mit Balaks Boten zu ziehen und das jüdische
Volk zu verfluchen. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte
er G-tt nicht wiederholt gefragt, ob er gehen soll oder nicht. G-tt
hatte ihm schon mal gesagt, dass Er nicht wollte, dass Bilam das
jüdische Volk verflucht. Aber er fragte G-tt nur, um eine Rechtfertigung
für seine Taten zu bekommen, seine Entscheidung stand aber schon längst fest.
Aus diesem Grund hat G-tt beim zweiten Mal Bilam gesagt, dass er mit den Boten doch gehen soll.
Beim ersten Mal hatte G-tt ihm erklärt was richtig und was falsch
in dieser Situation gewesen ist. Doch die Tatsache, dass Bilam
wieder dieselbe Frage stellte, mit dem einzigen Unterschied, dass
es nur um mehr Geld und mehr Ehre ging, zeigte ganz klar wo
Bilams Prioritäten lagen. Also ließ G-tt ihn mit den Boten ziehen.
Eine ähnliche Idee finden wir in der wohl berühmtesten Geschichte
des Tanachs über Adam und die verbotene Frucht.
Nachdem Adam von der Frucht genossen hatte, fing er plötzlich
an, sich vor G-tt zu verstecken. An dieser Stelle müsste bei jedem
die Frage aufkommen: Wie kann das sein, dass Adam sich zu verstecken
versucht? Er hat doch erst vor kurzem «von Angesicht zu
Angesicht» mit G-tt kommuniziert. Weiß er denn nicht dass G-tt
allsehend und allwissend ist, was ging in seinem Kopf vor? Doch
noch verwirrender ist die Reaktion G-ttes. Er fängt, an Fragen zu
stellen: «Wo bist du? Hast du von dem Baum gegessen?» Weiß
er das denn nicht? Ist es kein direkter Widerspruch zu unseren
Glaubensgrundsätzen, die die Allgegenwärtigkeit und die Allwissenheit
G-ttes betonen?
Die Antwort auf diese Fragen ist ganz einfach. Wenn ein
Mensch sich selbst zu belügen anfängt und versucht, sich vor
G-tt zu verstecken, spielt G-tt mit und lässt den Menschen im
Glauben leben, dass es ihm tatsächlich gelingen kann, sich vor
G-tt zu verstecken. In derselben Weise offenbart sich G-tt aber
jedem, der aufrichtig und eifrig nach Ihm sucht. Oder mit anderen
Worten: «Den Weg, den ein Mensch beschreiten möchte,
diesen Weg wird er auch geführt». G-tt hilft uns dabei, unsere
Entscheidungen zu verwirklichen, indem er die äußeren Umstände
beeinflusst, um uns den von uns auserwählten Weg zu
ermöglichen.
Dynamik in den Generationen
12. Juli 2014
Parascha Pinchas
Numeri 25:10-30:1
Für sein richtiges Handeln wird Pinchas zum Priester ernannt.
Das Volk Israel bereitet sich auf den Krieg gegen das medianitische
Volk vor. Eine weitere Volkszählung wird veranlasst, man kommt
auf 601.730 Männer im Alter von über 20 Jahren. Das Land Israel
soll unter den Stämmen aufgeteilt werden. Die Töchter von Zelofchad,
der keine männlichen Nachkommen hatte, bringen Mosche
dazu die Erbgesetze zu überdenken. Die Reihenfolge der Vererbung
wird gelehrt. Mosche, der in das Land Israel nicht einziehen
darf, ernennt seinen Nachfolger Jehoschua bin Nun. Er soll von
nun an das jüdische Volk anführen und in das Land Israel bringen.
Die Opfergaben, die zu den jeweiligen Feiertagen im Tempel gebracht
werden sollen, werden aufgezählt.
Der berühmte Chofetz Chaim (Rabbi Israel Simcha (Hakohen)
Kagan 1838-1933) bemerkt, dass im Wochenabschnitt
Pinchas, bei der Zählung junger Männer im Alter von über 20
Jahren, der Stamm Benjamin nur auf 45.600 kommt. Der Stamm
Dan zählt dagegen 64.000 Männer, die älter als zwanzig Jahre
gewesen sind.
Bemerkenswert hierbei ist, dass Benjamin, der Stammvater
vom Stamm Benjamin, zehn Söhne hatte, während Dan, der
Stammvater des Stammes Dan, nur einen einzigen Sohn namens
Chuschim besaß. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass
Chuschim behindert war – er war absolut taub.
Wir sollten uns kurz vorstellen, wie sich Jaakow bei einer
Schabbatmahlzeit oder einer Familienfeier, wo alle seine Kinder
und Enkelkinder versammelt waren, gefühlt haben würde. Auf
der linken Seite von Jaakow sitzt Benjamin, mit seiner Frau und
zehn prächtigen Söhnen. Die Söhne singen, erzählen Worte der
Tora, lachen und kommunizieren mit allen anderen Familienmitgliedern.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches sitzt
Dan, mit seiner Frau und mit seinem tauben Sohn. Der Sohn versteht
nicht einmal, worüber alle anderen sprechen, er kann sich
an der Feier gar nicht richtig beteiligen.
Was hat sich Jaakow bei diesem Anblick wohl gedacht? Bestimmt
machte er sich keine Sorgen um die Nachkommen des
Stammes Benjamins. Tolle Familie, zehn wunderbare Söhne,
selbstverständlich musste dieser Stamm eine großartige Zukunft.
haben. Doch was ist mit Dan? Nur ein Sohn, und der ist
taub. Was wird aus ihm? Wer wird ihn denn heiraten wollen?
Wie kommt er denn mit seiner Behinderung in dieser Welt zurecht?
Kann es das Ende des Stammes bedeuten? Diese Gedanken
würden wohl jeden Großvater plagen.
Doch wir sehen, dass nach nur wenigen Generationen der
Stamm Dan viel zahlreicher als der Stamm Benjamin geworden
ist. Hieraus lernen wir, sagt der Chafetz Chaim, dass wenn der
Allmächtige eine Person erfolgreich machen möchte, kann Er
es tun, selbst wenn die Gegenwart gerade ganz anders aussieht.
Aus ganz wenig kann ganz viel werden – und umgekehrt. Aus
einem Sohn können vierundsechzigtausend werden und aus
zehn Söhnen «nur» fünfundvierzigtausend.
Dasselbe Prinzip gilt auch für den materiellen Besitz. Manche
Menschen kommen aus ganz einfachen Verhältnissen und
erarbeiten sich während ihres Lebens ein erstaunliches Vermögen,
während andere wiederum, die aus eher wohlhabenden
Verhältnissen kommen, oft alles verlieren.
Viele Menschen sind dazu geneigt, immer nur nach gegenwärtigen
Situationen zu beurteilen. Sie sehen, dass es andere
gibt, die mehr als sie haben. Das erweckt bei vielen Neidgefühle,
macht sie traurig oder gar frustriert. Doch dabei vergessen
die Menschen, dass sie alles selbst in der Hand haben. Und
dass aus ganz wenig immer auch viel werden – und aus ganz
viel wenig. Man muss nur hart dafür arbeiten und niemals den
Glauben verlieren.
Kaschern von Geschirr und Reinigung der Seele
19. Juli 2014
Parascha Matot
Numeri 30:2-32:42
Die Tora beschreibt in diesem Wochenabschnitt die Gesetze
der Schwüre und der Gelübde. Das jüdische Volk zieht in den
Krieg gegen Midjan. Jeder Stamm stellt eintausend Kämpfer
zur Verfügung. Zwölf tausend Männer ziehen in den Krieg.
Die Kriegsbeute wird aufgeteilt, ein Teil der Beute geht an den
Tempel. Die Stämme Gad und Reuwen, die großee Herden unter
sich haben, bitten Mosche um die Erlaubnis, sich auf dieser
Seite des Jardens niederzulassen und nicht im Land Israel zu
leben. Mosche gewährt ihnen die Erlaubnis, unter der Bedingung,
dass sie mit den anderen in den Krieg ziehen, um das
Land Israel zu erobern.
Mit einer großen Kriegsbeute kehrten die Kämpfer aus dem
Krieg gegen den Midjan zurück. Nicht nur Schätze und Stoffe
eroberten sie, sondern auch die Essutensilien und das Geschirr.
Doch da dieses Geschirr für nichtkoschere Speisen benutzt
wurde, stellte sich die Frage: Darf man dieses Geschirr überhaupt
benutzen, und wenn ja, wie kann man es wieder koscher
machen?». Und so kam Elazar, der Hohepriester und lehrte
das jüdische Volk ein wichtiges Gesetz, das bis heute seinen
Gebrauch in jeder koscher essenden Familie findet. Unabhängig
davon, ob man das nichtkoscher gewordene Geschirr wieder
koscher machen möchte, oder wenn man das Geschirr für
Pessach kaschern möchte, greift man immer auf dieses Gesetz
zurück. Das Gesetz heißt im Original «kebolo kach polto» – so
wie das Gefäß den Geschmack absorbiert hat, auf die selbe Art
und Weise gibt es diesen Geschmack wieder zurück.
Die Kommentare werden verfasst von Rabbiner Avraham Radbil
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