Der palästinensisch-arabische Professor Mohammed Dajani klärt über die Schoah auf und setzt sich für einen israelisch-arabischen Dialog ein  

November 3, 2016 – 2 Heshvan 5777
Muslimischer Kämpfer gegen Schoah-Leugner

Von Jerome Lombard

Mit Schimpf und Schande hat man ihn davongejagt. Aufs Übelste wurde er beschimpft und beleidigt. Im Internet drohte man ihm gar mit Mord. Sein Auto wurde angezündet. Seine Kollegen und die Leitung der Al-Quds-Universität distanzierten sich nahezu geschlossen von seiner Person. In Ost-Jerusalem, Ramallah und Gaza schäumte die Straße vor Wut gegen den „Verräter“ und „Kollaborateur der Juden“. Doch was war eigentlich das „Vergehen“ des Amerikanistik-Professors Mohammed Dajani?

Der heute 70-Jährige war zusammen mit 30 palästinensisch-arabischen Studenten im März 2013 nach Auschwitz gereist, um vor Ort die Holocaust-Gedenkstätte auf dem einstigen Gelände des NS-Konzentrationslagers zu besuchen. Die Gedenkstättenfahrt fand im Rahmen des akademischen Gemeinschaftsprojekts „Herz aus Fleisch, nicht aus Stein“ der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und der israelischen Universitäten von Tel Aviv und Be‘er Schewa im Negev statt. Parallel zu der Reise der jungen Palästinenser nach Polen, besuchte eine ebenfalls 30-köpfige Gruppe israelischer Studenten das palästinensische Flüchtlingslager Dheisheh in der Nähe von Bethlehem im Westjordanland. In einem zweiten Schritt sollten sich die Gruppen über das Erlebte austauschen und in gemischter Besetzung abermals die Orte besuchen, um zu schauen, welche neuen Perspektiven sich womöglich aus den gemachten Erfahrungen ergeben haben. Finanziert wurde die Reise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem erklärten Ziel, die Leiden und Traumata der jeweils anderen Seite besser zu verstehen. Hierdurch sollte die Bereitschaft zu Versöhnung und Frieden gefördert werden.

Ein gläubiger muslimischer Palästinenser fährt also mit anderen Palästinensern nach Auschwitz. Dem Ort, an dem der Feldzug der Nationalsozialisten gegen die Menschlichkeit seinen Höhepunkt erreichte. Der Ort, an dem hunderttausende jüdische Menschen bestialisch ermordet wurden. Die Gruppe reiste im Rahmen einer Bildungsfahrt zur bekanntesten Gedenkstätte der Schoah, die die ganze Welt besucht. Eine lobenswerte und gute Sache, möchte man sogleich einwerfen. Ein absolutes Unding, finden viele von Dajanis Landsleuten. Dass er bei seiner Rückkehr nicht gerade mit tosendem Applaus empfangen werden würde, war dem gebürtig aus Ost-Jerusalem stammenden Professor klar. Die Reaktionen hatten Dajani in ihrer Heftigkeit dann aber doch überrascht. Der Fall macht deutlich: Die Auseinandersetzung mit der Schoah ist in der muslimischen und speziell der arabischen Welt nach wie vor ein tabuisiertes und heikles Thema.

Kultur des Leugnens
„Ich wuchs in einer Kultur des Holocaust-Leugnens auf. Einige hier (in Palästina) sagten, dass der Holocaust ein Massaker im Zweiten Weltkrieg war und dass es eine wirkliche Vernichtung eigentlich nicht gab. Andere meinten, dass sei alles zionistische Propaganda und sei mit der Gründung Israels 1948 verbunden. In der Schule gab es nichts (an Informationen). Auf der Universität auch nicht“, erklärt Professor Dajani in diesem September einem Reporterteam des „Bayerischen Rundfunks“ in Jerusalem. Erst ein Besuch in Auschwitz im Jahr 2011, zu dem ihn eine französische Organisation gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern eingeladen hatte, klärte Dajani über die Schrecken der Vergangenheit auf.

„Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. (Der Besuch in Auschwitz) hat mir die Augen geöffnet“, sagt er. Dajani war gerade zu Besuch in seiner Heimatstadt, als die deutschen Fernsehjournalisten ihn trafen. Im Frühjahr 2014 hatte der Akademiker angesichts des ihm nach seiner Auschwitz-Fahrt mit den Studenten entgegenschlagenden Hasses kurzerhand seine Professur für Amerikanistik an der Al-Quds-Universität gekündigt und seine Koffer gepackt. Momentan lebt Dajani in Washington D.C. und arbeitet für den renommierten Think Thank „Washington Institute for Near East Policy“. Der aus einer wohlhabenden und liberalen muslimischen Familie stammende Dajani nennt die wichtigsten Gründe dafür, warum die Thematisierung der Schoah nach wie vor ein heikles Unterfangen in seinem Kulturraum ist: Unwissenheit, falsche Informationen und antizionistische Ideologie. Insbesondere Palästinenser stellen das historische Narrativ einer eigenen Opferrolle, die die israelische Unabhängigkeit als „Nakba“, arabisch für Katastrophe, bezeichnet, der „Schoah“, hebräisch für Katastrophe, gegenüber. Das heißt: Nicht wenige Palästinenser sind der Überzeugung, dass die Anerkennung der Schoah als eines der größten Menschheitsverbrechen überhaupt, im Umkehrschluss eine Schwächung der „palästinensischen Sache“ bedeuten würde. Erkennen wir Euer Leid an, verliert unser Leid an (politischem) Gewicht, so die perverse Logik. Doch auch derart krude Welt-und Geschichtsbilder, können Professor Dajani und seine Aufklärungsmission nicht stoppen.

Vom Extremisten zum Brückenbauer
Seine Landsleute über die Schoah aufklären, Brücken bauen zwischen Muslimen und Juden, das hat sich der Professor zur Herzensaufgabe gemacht. Mit seinem „Wasatia“-Forum (arabisch für Toleranz, Moderation) organisiert Professor Dajani Kurse. Er setzt sich für eine liberale Auslegung des Korans ein, wirbt für einen israelisch-arabischen Dialog und kämpft leidenschaftlich gegen Antisemitismus. Hört man dem älteren Herrn mit seiner ruhigen Stimme zu, glaubt man kaum, dass er früher selber einer derjenigen Ideologen war, die er heute mit seinen Projekten bekämpft.

„Ja, ich war ein Extremist“, blickt Dajani zurück. Im Beirut der frühen 1970er Jahre war er ein aktives Mitglied der Fatah unter Führung des notorischen Israel-Hassers Jassir Arafat. Wegen seiner guten Englischkenntnisse, arbeitete Dajani in der Agitprop-Abteilung. Das Ziel der Fatah, eine Zerstörung Israels mit allen Mitteln, war auch sein Ziel. Kontakte zu Juden oder Israelis hatte er keine und er wollte sie auch nicht haben. 1975 wurde der Student von der libanesischen Regierung wegen seiner Aktivitäten im politischen Untergrund nach Syrien ausgewiesen. Ohne Chance, in den Libanon zurückzukehren, reiste Dajani in die USA, um Amerikanistik zu studieren.

Es war der 10-jährige Aufenthalt in Amerika und eine sehr persönliche Erfahrung, die Dajani dem Radikalismus letztlich den Rücken kehren ließ. Als sein Vater an Krebs erkrankt war, kehrte er nach Jerusalem zurück. 1993 brachte er seinen kranken Vater zur Chemotherapie in das „Ein Kerem“-Krankenhaus. „Ich merkte, dass weder die Ärzte, noch die Schwestern, irgendeinen Unterschied zwischen Christen, Muslimen oder Juden machten.“ In dieser familiär schwierigen Situation merkte Dajani, dass er jahrelang ein Monster mit bösen Vorurteilen, Angst und Hass gefüttert hatte. Er wollte einen anderen Weg einschlagen. Den Weg der Versöhnung und des Dialogs.

Dass er damit auf palästinensischer Seite auf taube Ohren und weitgehende Ablehnung stößt, macht ihn wütend. Dauerhaft nach Jerusalem zurückkehren will Dajani nicht. Die Lage ist für ihn einfach zu gefährlich. Entmutigen lässt sich der gestandene Professor aber selbst von Morddrohungen nicht. „Der Holocaust darf bei uns kein Tabu-Thema mehr sein. Die Leute sollen nachdenken, fragen, warum es geschah und auch fragen, warum es so viele Probleme hier damit gibt. Sie sollen lernen, dass es wichtig ist, alles über den Holocaust zu wissen“, erklärt Dajani überzeugt. Er will seine Projekte in jedem Fall weiterführen. Auch eine weitere Fahrt nach Auschwitz ist bereits in Planung.

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