Von Tal Leder
An einem Sommertag im Juli 1948 fand an der US-Militärakademie von West Point in New York eine Beerdigung statt – für David Daniel Marcus. Es war ein typisches Begräbnis mit Gewehrsalven zu Ehren des gefallenen Soldaten, und ein Hornist spielte eine traurige Melodie dazu. Doch in jeder Hinsicht war diese Zeremonie einzigartig. Denn obwohl eine amerikanische Flagge seinen Sarg bedeckte, war Marcus nämlich der erste – und bis heute einzige – US-Soldat, der in West Point beerdigt wurde und für die Flagge einer anderen Nation kämpfte und fiel. Nur zwei Wochen vor seinem Tod war er zum ersten Divisionskommandeur in der Armee des jungen Staates Israel ernannt worden.
Dieser David Daniel, der sich kraft seines Mutes und seiner Intelligenz erhob, um freiwillig im Jahre 1948 Israel zu helfen und sein erster General zu werden, war ein zähes Straßenkind aus Brooklyn. Genauer gesagt wurde er am 22. Februar 1902 in New Yorks Lower East Side geboren. Er war das fünfte Kind von Mordechai und Leah Marcus, die aus Rumänien ausgewandert waren, um den Wellen des Antisemitismus zu entkommen, die Osteuropa Ende des 19. Jahrhunderts erschütterten. Sein Vater, ein Gemüseverkäufer, versorgte die Familie so gut es ging, und bald zog er mit ihnen nach Brownsville in Brooklyn, wo David schließlich aufwachsen sollte. Als er 8 Jahre alt war, starb sein Vater. Die Gegend dort war für Juden nicht einfach und um sich gegen alle möglichen Antisemiten zu verteidigen, lernte er schon früh zu boxen.
Der Antisemitismus war auch im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts sehr lebendig. Davids ältester Bruder Michael bildete eine Selbstverteidigungsgruppe, die ältere Juden vor Straßenbanden aus der Nachbarschaft schützte. „Big Mike“, wie er genannt wurde, arbeitete täglich. Als der junge David anfing, seinem älteren Bruder zu folgen und sogar im örtlichen Fitnessstudio sein Sparringspartner wurde, nannten ihn die Leute „Little Mike“, was bald zu „Mickey“ abgekürzt wurde.
Anwalt und Dschungelkämpfer
Seine sportlichen und allgemein-schulischen Highschool-Leistungen verhalfen ihm 1920 schließlich zur Aufnahme in West Point, wo er mit beeindruckenden Noten abschloss. Nachdem er seinen Dienst dort geleistet hatte, ging Marcus zum Jurastudium an die Abendschule in New York und heiratete währenddessen auch Emma Hertzenberg im Jahre 1927. Die meiste Zeit in den 1930er Jahren verbrachte er als Bundesanwalt in New York, um u. a. Mafiosi wie Lucky Luciano vor Gericht zu bringen.
In der Überzeugung, dass der Krieg unmittelbar bevorstünde, ging Marcus 1940 freiwillig in die Armee zurück und diente nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor als leitender Angestellter des Militärgouverneurs von Hawaii. Im Jahr 1942 wurde er zum Kommandeur der neuen Ranger-Schule der US-Armee ernannt, die innovative Taktiken für den Dschungelkampf entwickelte.
Obwohl er unbedingt aktiv am Kriegsgeschehen teilnehmen wollte, diente er hauptsächlich als Anwalt und wichtiger Planer in der Abteilung für zivile Angelegenheiten des Militärs. Aber er überzeugte schließlich seine Vorgesetzten davon, dass er am 6. Juni 1944 am „D-Day“ teilnehmen müsse, als Soldat der 101. US-Fallschirmjäger-Division, obwohl er keine Fallschirmjägerausbildung absolvierte. Dort übernahm er das Kommando über einige verstreute Infanterietruppen und war eine Woche lang in Kampfhandlungen verwickelt.
Mit dem Ende des Krieges wurde Marcus 1945 mit der Aufgabe betraut in den von den Alliierten Truppen befreiten Gebieten Europas die Todeslager der Nazis zu beseitigen und erlebte währenddessen die Befreiung des KZs Dachau. Hier traf Marcus auf Überlebende des Holocausts und sah die zum größten Teil jüdischen Leichen, was ihn zutiefst schockierte. Er fing an die Tiefen des europäischen Antisemitismus zu verstehen, und obwohl er bis dahin kein Zionist gewesen war, dachte er zum ersten Mal über einen unabhängigen jüdischen Staat nach.
Noch während des Krieges half er bei der Ausarbeitung der Kapitulationsbedingungen für Italien und Deutschland und nach der Niederlage Nazi-Deutschlands war Marcus in der Militärregierung in Berlin für die Versorgung und Rückführung von Flüchtlingen zuständig, außerdem bereitete er die Nürnberger Prozesse- sowie das Tokioter Kriegsverbrechertribunal vor, und diente als Berater der Präsidenten Roosevelt in Jalta und Truman in Potsdam. Viele Soldaten nannten ihn das Gehirn des US-Kriegsministeriums. Er erhielt viele Verdienstorden und wurde nach den Prozessen zum Brigadegeneral befördert, entschied sich jedoch, ins Zivilleben und seine Anwaltskanzlei zurückzukehren. Im Jahre 1947 verließ er die Armee im Rang eines Oberst. (…)
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