100 Jahre Dadaismus  

März 4, 2016 – 24 Adar I 5776
„Menschen sind wir annäherungsweise“

Von Simone Scharbert

2016 feiert der Dadaismus sein hundertjähriges Jubiläum. Der rumänisch-jüdische Dichter und Künstler Tristan Tzara gilt als einer der wichtigsten Mitbegründer und Impulsgeber der revolutionären Kunstrichtung, der derzeit viele Ausstellungen gewidmet sind.

„Ich verkünde die Opposition aller kosmischen Eigenschaften gegen die Gonorrhoe dieser faulenden Sonne, die aus den Fabriken des philosophischen Gedankens kommt, den erbitterten Kampf mit allen Mitteln des dadaistischen Ekels.“

So der rumänische Künstler Tristan Tzara in einem seiner dadaistischen Manifeste. Gleich sieben Stück hat er unter dem Titel „Sept manifests dada“ verfasst, die 1924 publiziert und wichtiger Bestandteil der dadaistischen Bewegung werden. Wie Manifeste überhaupt zu eigenen Kunstwerken und Ausdrucksmitteln der neuen Richtung Dada avancieren. Die programmatische Ansage: Kampf gegen gesellschaftliche Konventionen und den vorherrschenden Kulturbetrieb der damaligen Zeit. Nihilistisch, destruktiv und gegen allzu nationalistische Ideologien. Ein grenzübergreifendes Programm, das man sich vielleicht dieser Tage manchmal in seiner Wucht, seinem Optimismus und revolutionären Geist wieder wünschen würde. Ohne Berührungsängste, manchmal auch ohne Respekt gegenüber der Gegenwart:

„Jedes Erzeugnis des Ekels, das Negation der Familie zu werden vermag, ist Dada; Protest mit den Fäusten, seines ganzen Wesens in Zerstörungshandlung: Dada; Kenntnis aller Mittel, die bisher das schamhafte Geschlecht des bequemen Kompromisses und der Höflichkeit verwarf: Dada.“

Geboren wird Tristan Tzara als Sammy Rosenstock 1896 in der rumänischen Stadt Moineşti. Eine Stadt, in der bis zum Zweiten Weltkrieg noch viele Juden leben. Samuel Rosenstocks Großvater ist ein angesehener Rabbiner in Czernowitz, der spätere Lyriker und Künstler wächst also ganz in der Tradition der chassidischen Erzählungen und osteuropäischen Schtetl auf. Ähnlich wie die Schriftsteller Rose Ausländer, Paul Celan oder Bruno Schulz. Und genau dieses Umfeld und diese Erziehung bleiben sicherlich nicht ohne Folgen auf die künstlerische Emanzipation des jungen Dichters. Er beginnt früh zu schreiben. Mit 16 Jahren ruft er, gemeinsam mit dem späteren, ebenfalls jüdischen Künstler und Architekten Marcel Janco, in seiner Heimatstadt die Lyrik-Zeitschrift „Simbolul“ ins Leben, die als Nachzügler des Symbolismus die literarische Bühne betritt und publizistisches Organ der rumänischen Avantgarde wird. Dass die beiden noch Schüler sind, scheint niemanden zu stören. Im Gegenteil, die Zeitschrift wird von etlichen zeitgenössischen, rumänischen Literaten als ernstzunehmende Plattform für künstlerische Ausdrucksformen angenommen, bis sie allerdings nach wenigen Monaten im Dezember 1912 wieder eingestellt werden muss.

Ganz offensichtlich hat der junge Schriftsteller Samuel Rosenstock eine Vorliebe für Pseudonyme – mit 16 Jahren nennt er sich „Samyro“, wenig später legt er sich den Namen „Tristan Tzara“ zu. Eine Wagner-Leidenschaft wird ihm oft angesichts des Namens bescheinigt, die inhaltlich aber angesichts der antisemitischen Tendenzen eines Richard Wagners nur schwer zu halten ist. Plausibler scheinen Übersetzungen aus dem Rumänischen wie „mein trauriges Land“ oder „meine traurige Erde“ zu sein: Tristan Tzaras Enttäuschung über die zunehmende Diskriminierung der Juden in Rumänien findet in dieser Variante wahrscheinlich eher ihren Ausdruck als eine ihm zugeschriebene Wagner-Faszination. Genaue Kenntnisse dazu gibt es allerdings nicht.

1915, inmitten des Ersten Weltkriegs, machen sich der umtriebige Samuel Rosenstock und sein Freund Marcel Janco samt Brüder auf den Weg Richtung Zürich. Grund sind neben einem künstlerischen Veränderungsdrang die politischen Entwicklungen und der zunehmende Antisemitismus in beider Heimatstadt, der immer stärkere Ausmaße annimmt und die beiden zum Aufbruch drängt. Das neutrale Zürich hingegen gilt seinerzeit vielen Künstlern und Intellektuellen als sichere Anlaufstelle inmitten des kriegerischen Europas, Kontakte sind dort dann auch schnell geknüpft. Es dauert nicht lange, bis Tristan Tzara und Marcel Janco die beiden Künstlerpärchen Hugo Ball und Emmy Hennings sowie Hans Arp und Sophie Taeuber kennenlernen – gemeinsam vereint in dem Bestreben, dem Ersten Weltkrieg und seiner unmenschlichen Absurdität künstlerisch etwas entgegenzusetzen, das mindestens genauso absurd ist. Die Unvernunft und das Magische wollen sie wieder zurückbringen, Kants erkenntnistheoretisches Diktum der Aufklärung außer Kraft setzen, so liest sich die Grundidee in der Chronik des legendären „Cabaret Voltaire“. Jenem Ort, an dem am 5. Februar 1916 „Dada“ das Licht der Welt erblickt und der fortan als „Wiege“ des Dadismus gilt. (…)

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