Zu Gast bei Brigadegeneral a.D. Jihad Kabalan  

März 31, 2017 – 4 Nisan 5777
Mein Besuch im Drusendorf Isfiya

Von Michael G. Fritz

Heute ist Schabbat. Am Straßenrand begleiten mich Palmen und blühender Oleander, riesige Reklamewände, die für die Kaffeemaschine Nespresso und den Landrover Discovery Sport werben. Mein Wagen schraubt sich ins Karmelgebirge hoch, das bis zu 500 Metern über dem Meeresspiegel liegt. Die Erde ist steinig und rot, die Vegetation üppig wegen der reichlichen Niederschläge, es wachsen vor allem Ölbäume und Weinstöcke. Karmel heißt übersetzt Weingarten Gottes, und in der Tat kann der Karmelwein mit besten italienischen oder französischen Rotweinen mithalten. Am Straßenrand ragen Häuser im Rohbau auf, am unfertigen Dach flattert die israelische Fahne. Auf Plätzen oder an Straßenkreuzungen weht neben dem Davidstern auch die Drusenfahne: Grün, Rot, Gelb, Blau. Die Märkte sind brechend voll. Die Juden fahren am Schabbat gern hierher einkaufen; in jüdischen Gebieten dagegen öffnen die Geschäfte nicht.

Jihad Kabalan ist die Freude über den Besuch anzusehen, dennoch bleibt er auf eine stolze Art gelassen, als er mir Platz in seinem riesigen Wohnzimmer anbietet: Vorn geht der Blick auf die Straße, hinten auf den Hof. „Selbst gebaut“, bestätigt er meine Vermutung. Das Zimmer ist mit Sesseln und einer Couch eingerichtet, Anrichten mit Häkeldeckchen, Blumenvasen, gerahmten Fotografien. Der Gastgeber sitzt auf einem kunstvoll geschnitzten Stuhl. Er erzählt, dass es außer in Israel im Libanon und in Syrien Drusen gäbe. In Israel gehören nur knapp zwei Prozent der Bevölkerung dazu.

Die Drusen leben noch heute in der Nähe von Berggipfeln
Die Religionsgemeinschaft spaltete sich im 11. Jahrhundert in Ägypten vom Islam ab, vor allem deshalb, weil die Drusen niemanden in ihre Religion pressen wollten. Der Begründer der drusischen Lehre war der persische Missionar Hamza ibn Ali ibn Ahmad. Die Drusen wurden als Ketzer verfolgt und zogen sich vor den Angriffen in die Berge zurück, am liebsten auf die Gipfel, wo sie bis heute leben. Die Religion konnte nur durch Verstecken und Anpassung überstehen. So sind die Gebetshäuser von außen nicht als solche zu erkennen, in denen auch die Heilige Schrift der Drusen aufbewahrt wird. Die Drusen glauben daran, dass nach dem Tod eines Menschen seine Seele sofort in einen neugeborenen Menschen wandert. Auf dem Weg von Mensch zu
Mensch strebt die Seele nach Perfektion. Am Ende jedoch steht jeder vor Gott. Niemand kann zum Drusentum übertreten, Druse ist nur, wer Kind drusischer Eltern ist.
„Ihre Kinder“, frage ich und deute auf die Fotos an der Wand, „sind sie ihrer Religion treu geblieben?“

Die Drusen sind loyal zu Israel
Ohne einen Moment der Verlegenheit antwortet er, dass sie sich abgewandt, aber jederzeit die Gelegenheit hätten, zurückzukehren. Man könne die Kinder zu nichts zwingen, die Zeiten hätten sich verändert, sie wären säkularer geworden. Man könne das bedauern oder nicht, sie seien nun mal so.
Während des Gesprächs serviert seine Frau Raja Gebäck und süße Limonade mit Erdbeergeschmack, danach starken Kaffee in kleinen Tassen. Raja trägt wie alle Drusenfrauen eine weiße
Haube. Wäre sie streng gläubig, verhüllte sie das Gesicht bis auf einen kleinen Spalt für die Augen.
Bei den Drusen sind Mann und Frau gleichberechtigt, die Frauen können sich im Gegensatz zu den Moslems scheiden lassen. Die Drusen sehen sich in Israel als Araber, indes nicht als Muslime. 20 % aller Drusen sind bei der Armee. Kabalan selbst war 30 Jahre lang dabei, am Schluss Brigadegeneral der Grenztruppen, und er ist stolz darauf, dass sein Sohn der erste drusische Militärpilot Israels ist. Drusen sind loyal ihrem jeweiligen Land gegenüber und haben sich dadurch viel Achtung erworben.
Mir fällt ein, dass bei Terroranschlägen der letzten Zeit immer wieder Drusen ihr Leben ließen, weil sie sich als Sicherheitsleute zuerst den Angreifern entgegenstellten.

Man kann hoffen, dass die seit langem existierenden Pläne der Regierung, Israel als jüdischen Nationalstaat zu definieren, scheitern. Anderenfalls werden die Drusen wie alle anderen Minderheiten zu Bevölkerungsgruppen zweiter Klasse. Sollte man ihnen dann sagen: Ihr könnt unser Leben retten, seid aber keine gleichberechtigten Staatsbürger? Oder gar, man brächte sie dazu, das Land zu verlassen, ginge es nach dem für seine radikalen Positionen bekannten ehemaligen Außenminister Avigdor Lieberman, der in der Sowjetunion, im heutigen Moldawien, geboren wurde und mit zwanzig Jahren einwanderte.
Er ist Gründer und Vorsitzender der Partei Jisrael Beitenu, der Partei der russischen Einwanderer, die zur drittstärksten Kraft in Israel avancierte. Im Mai 2016 wurde er wieder Minister, Netanjahu vertraute ihm das wichtige Verteidigungsministerium an.

Drusen gegen Drusen?
„Kann es nicht passieren, dass Drusen aus Israel gegen Drusen, sagen wir, im Libanon kämpfen? Auch dort sind sie zahlreich im Militär vertreten.“ Schließlich gab es bis jetzt zwei Libanonkriege, und ein Frieden ist nicht in Sicht.
Jihad Kabalan überlegt auch hier keinen Augenblick, als hätte er die Frage erwartet. Er schaut mir fest in die Augen und sagt: „Ja, das kann passieren.“ Weiter kommt kein Wort. Er ist Militär, wahrscheinlich bleibt man das sein Leben lang: wortkarg und entschlossen, ohne Emotion. Seine Frau bietet Gebäck an.

Ich schaue mich um. Ist das ein traditioneller Raum der Drusen? Kabalan winkt mir zu, ihm zu folgen. In den hinteren Bereichen öffnet er eine Tür und verschwindet darin. Ich bin erstaunt, wie vielen Gemächern das Haus Platz bietet. Ein mit Teppichen ausgelegter, türkisch inspirierter Raum tut sich vor mir auf, sehr flache, verzierte Bänke an den Wänden, sonst nichts. Die Lampen verbreiten ein schummriges Licht. Die Osmanen waren bis 1918 im Land und haben es 500 Jahre lang geprägt.
„Wir sitzen hier nicht mehr, das ist zu unbequem. Heute spielen die Enkelkinder in dem Zimmer“, sagt er.

Auf dem Bürgersteig herrscht am zeitigen Nachmittag Gedränge wie in der Stadt, Cafés, Gaststätten und Supermärkte wechseln einander ab. Viele Frauen tragen weiße Häubchen, keine ist verschleiert, die meisten sind nach westlichen Vorstellungen gekleidet, wenn auch schlicht. Man kommt wegen des dichten Verkehrs kaum auf die andere Seite der Durchgangsstraße. Die Gebäude sind massiv gebaut, das erste Stockwerk ist offen und wirkt wie eine überdachte Terrasse, die im Sommer, wenn es auch hier sehr heiß wird, eine angenehme Atmosphäre schafft. 

Isfiya ist ein besonderer Ort, den man gesehen haben muss, um Israel verstehen zu können.

Zum Autor:
Michael G. Fritz, Schriftsteller und Publizist, geboren 1953 in Ost-Berlin, schreibt Romane, Erzählungen, kurze Prosa.
Zuletzt erschienen die Romane „Adriana läßt grüßen“ und „Ein bißchen wie Gott“.  Fritz lebt in Dresden und Berlin.

www.michaelgfritz.de

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