Traditioneller Antisemitismus und heutige Israel-Anfeindung in der evangelischen Kirche  

Oktober 6, 2017 – 16 Tishri 5778
Luther und die Juden

Von Dr. Rafael Korenzecher

Am Ende des Monats Oktober jährt sich zum 500. Mal ein Ereignis, das aus der kleinen Stadt Wittenberg in Deutschland ausging und die nachhaltige bis heute anhaltende Abspaltung einer protestantischen Kirche aus der bis dahin in Mittel- und Westeuropa von erheblichem klerikalen Antisemitismus geprägten durch Rom beherrschten katholischen Kirche bewirkt hat. Sie hat leider weite, bis zu den Verbrechen der Nazis reichende Bedeutung für jüdisches Leben und Schicksal in Deutschland und Europa erlangt.

Die kurz gehegte Hoffnung auf ein Abrücken der neuen kirchlichen Protestbewegung von der verbreiteten Judenfeindlichkeit der katholischen Stammkirche hat sich sehr zum Unglück der Juden schon damals nicht erfüllt. Bereits der Begründer dieser Abspaltungsbewegung, der als Reformator in der protestantischen Geschichtsschreibung bis heute bejubelte ehemalige katholische Mönch Martin Luther behielt die Kontinuität des katholischen Antisemitismus bei und verschärfte diesen durch seine eigene unversöhnlich bis zum Mord an Juden auffordernde, judenfeindliche Haltung noch erheblich.
Die große Ausbreitung der protestantischen Kirche besonders in Deutschland und ihr verbohrtes antisemitisches Legat haben nicht unerheblich zu der großen Zustimmung und der mehr als unrühmlichen Rolle der Evangelischen Kirche im Dritten Reich geführt.

So äußerte Luther im Jahre 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und Ihren Lügen“ unter anderem man möge den Juden die Synagogen niederbrennen und ihnen ihre Häuser zerstören, um sie in Ställen und Scheunen wohnen zu lassen. Er empfiehlt, den Juden die Religionsausübung und ihren Rabbinern das Lehren unter Androhung der Todesstrafe zu verbieten,
Die Äußerungen Luthers waren durchaus prägend für die antisemitische Hetze der Nazis gegen die Juden in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Hitler selbst war ein großer Bewunderer Luthers, der ihm - im Wesentlichen unwidersprochen von der protestantischen Kirche - als Leitbild für seine judenfeindliche Haltung diente.
Unterstützung für Hitler und seinen Judenhass gab es seitens weiter Teile der offiziellen evangelischen Kirche bereits in den Zeiten der sich formierenden nationalsozialistischen Bewegung in der Weimarer Republik und schon Jahre vor der Machtergreifung Hitlers 1933.
Das weit verbreitete „Deutsche Pfarrerblatt“, ein Pflichtorgan aller Mitglieder des deutschen Pfarrervereins, veröffentlichte bereits im November 1930 einen Grundsatzbeitrag über das Verhältnis von NSDAP und Kirche. Die von G‘tt gewollte Aufgabe für die deutsche Politik sei die Förderung des „arisch-germanischen Menschen“. Die Aufgabe von Theologie und Pfarrern sei es, zu helfen, dass die Nazi-Bewegung nicht einfach verrausche, sondern dass sie, „erfüllt von göttlicher Kraft unserem Volk Gesundung bringe“.

1932 entstand die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) als Zusammenschluss von evangelisch getauften Nationalsozialisten. Sie wollten der NS-Ideologie in ihrer Kirche unbedingt zum Durchbruch verhelfen und pflegten ein völkisches, „arisches“ national-deutsches Christentum. Hinter den Deutschen Christen standen Ideen namhafter und anerkannter evangelischer Theologen wie Emanuel Hirsch und Arthur Dinter.
Ohne vereinzelten Widerstand aus der protestantischen Kirche – wie etwa den Kreis um Pastor Niemöller -- unerwähnt lassen zu wollen, darf es bei der Grundhaltung der evangelischen Kirche nicht als verwunderlich angesehen werden, dass diese unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung einen Arier –Paragraphen einführte und Pfarrer ohne Arier-Nachweis aus dem Dienst entfernte. Mit dieser Unterstützung des Hitler‘schen Rassegedankens und mit ihrer großen Verbreitung trägt die evangelische Kirche Luthers eine nicht unerhebliche Mitschuld daran, dass Hitler seine Verbrechen gegen das jüdische Volk und den Holocaust mit breiter Zustimmung der deutschen Protestanten realisieren konnte.
Nicht wenige der Wehrmachts- und SS-Angehörigen, die an Erschießungen von Juden, häufig – wie in Babi Jar und der übrigen Ostfront – auch von Frauen und Kindern, beteiligt gewesen sind und/oder auch Teile von Belegschaften von Konzentrationslagern stellten, waren bekennende evangelische Christen.

Dazu zählt nicht nur die der große Teil der in protestantischer Tradition aufgewachsenen, häufig adeligen Führung der Wehrmacht. Auch nicht wenige Offiziere des bezeichnender Weise sehr, sehr späten, eher der Verbesserung der eigenen Nachkriegspositionierung der beteiligten Führungskader gegenüber den siegreichen Alliierten dienenden deutschen Widerstandes waren Mitglieder der evangelischen Kirche und wie Stauffenberg überzeugte Antisemiten.
Aber auch nach dem Untergang des Hitlerreichs ließ und lässt das antisemitische Erbe Luthers die protestantischen Kirche offensichtlich nicht los.

Während der evangelische Reichsbruderrat noch 1948 den Juden empfahl, den Holocaust als ermahnendes Zeichen G’ttes zu betrachten, etwa für ihre Weigerung sich bekehren zu lassen, versuchte die protestantische Kirche in der Folge nicht wenige Mitschuldige aus ihren Reihen an Naziverbrechen zu decken. Auch versuchten sich offizielle Teile der evangelischen Kirchen noch 1960 bei der Adenauer Regierung für den Massenmord an Juden verantwortlichen Organisator und protestantischen Christen Adolf Eichmann einzusetzen, um ihn vor der israelischen Gerichtsbarkeit zu retten. Eine unrühmliche Rolle bei der Verschleierung der Rolle der protestantischen Kirche im dritten Reich kommt auch dem langjährigen Bischof der evangelischen Kirche Dibelius zu.
Wenig ermutigend für eine eindeutige Distanzierung von Luthers antisemitischen Mordthesen gegen Juden bietet auch die gegenwärtige feindselige und Israel - dämonisierende Haltung der evangelischen Kirche zu dem Staat Israel, dessen ständige Delegitimierung neben dem übermäßigen Einsatz für grüne Politikinhalte geradezu zu den Charakteristika und der heutigen, wohl die zusehends verloren gehende religiöse Legitimation kompensierenden Essenz der Aktivitäten der Evangelischen Kirche Deutschlands ( EKD ) darstellt.

Dazu gehören einseitige antijüdische und antiisraelische Aussagen und Polemiken zum Nahost-Konflikt, wie etwa die des evangelischen Theologen Jochen Vollmer ebenso wie die nicht wirklich hilfreichen Einlassungen diverser Kirchentagsredner.
Jedenfalls scheint die Chance, die das mit euphorischem und häufig sinnentleertem Jubel begangene Lutherjahr 2017 für eine wirkliche Aussöhnung der vielfach antisemitisch schuldbeladenen Evangelischen Kirche mit den Juden geboten hätte, gerade nachhaltig vertan zu werden.

(Quellen für den Artikel sind zahlreiche Veröffentlichungen und Internetbezüge von u.a. Hans-Martin Barth, Manfred Gailus, Stefan Loubichi, Bernd Rebe, Margot Käßmann u.a.m,.)

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