Im Chemnitzer «Schalom» wird mehr als nur lecker jüdisch gespeist 

August 7, 2014 – 11 Av 5774
Lattkes, Simcha, Kunst und Promis

Chemnitz, 250.000-Seelen-Stadt im tiefsten Sachsen, hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Industrie ist gegangen, Mittelstand und Tourismus sind gekommen. An der lokalen Uni studieren Kommilitonen aus einem Dutzend verschiedener Länder. Osteuropäisch-jüdische Maler und Grafiker befeuern die lokale Kunst-Szene, aber auch die etablierte Hochkultur macht neue Schlagzeilen. Kunsthistorikern Ingrid Mössinger, deren Management den Städtischen Kunstsammlungen 2010 ganz wesentlich zu «Deutschlands Museum des Jahres» verhalf, schaffte es sogar, die erste Ausstellung mit Zeichnungen von Bob Dylan zur Premiere nach Chemnitz zu holen. Jazz- und Ska-Festivals locken junge Leute aus Nah und Fern, und in der mondän-berühmten «Villa Esche» geben literarische Berühmtheiten ihre neueste Lyrik zum Besten. Doch der kleine «Rundum- schlag» wäre unvollständig, bliebe un- erwähnt, dass hier, am Fuße des Erzgebirges, gut und gepflegt gespeist werden kann – gerade auch aus jüdischer Küche. Mehr noch: Das in der Heinrich-Zille-Straße gelegene Restaurant «Schalom» ist das einzige jüdische im gesamten Freistaat Sachsen. Betrieben wird es von zwei Kippaträgern, die in der Stadt so ziemlich jeden Menschen und jeden Winkel kennen, den Wandel der City hautnah miterleben und sich auch von Vandalismus und Anfeindungen nicht aus der Ruhe bringen lassen.

simcha torah

Koscheres Erfolgsbier «Simcha» für alle. Rechts Rabbiner Yitzhak Ehrenberg, der auch die Küche des «Schalom» zertifiziert hat. Links Mitbegründer Uwe Dziuballa.



«Kein Präsentierteller»
Uwe und Lars Dziuballa sind – zusammen mit ihrer Mutter - die Gründer und Seelen des «Schalom», das seit vierzehn Jahren von Einheimischen und Auswärtigen gut angenommen wird und inzwischen Kult-Status genießt. Ins «Schalom» kommen einheimische Juden – die hiesigeGemeindezähltheutewiederum die 700 Mitglieder-, Geschäftsreisende aus aller Welt, Intellektuelle, Künstler, Israelis und jede Menge Neugierige. Unweit vom Chemnitzer Hauptbahnhof und nur ein paar Steinwürfe entfernt vom renommierten Opernhaus, grenzt das das Lokal nun an einen Stadtteil, der seine architektonische und sozio-kulturelle Identität erst noch finden muss. In den 80er und 90 Jahren war der Chemnitzer Brühl eine beliebte Adresse für Shopping-Freunde, Flaneure und Touristen, derzeit herrscht die große Stille vor der Sanierung. «Uns macht das nichts aus», meint der hochgewachsene und stämmige Uwe Dizuballa, Jahrgang 1965. «Wir können ganz gut damit leben, nicht auf dem absoluten Präsentierteller zu sitzen. Es gibt ein lokales Stammpublikum, und über Mangel an auswärtigen Gästen können wir uns auch nicht beklagen. Wer uns finden will, der findet uns.» Im früheren Karl-Marx-Stadt geboren, war für Uwe und den fünf Jahre jüngeren Bruder Lars keineswegs vorgezeichnet, dass sie eines Tages Gastronomie mit jüdischer Note betreiben würden. Uwe, der noch zu DDR-Zeiten Elektrotechnik studiert hatte, ging nach der politischen Wende erst einmal nach New York, jobbte dort über Jahre hinweg als erfolgreicher Un- ternehmer. Gut möglich, dass ihn Amerika völlig «aufgesogen» hätte, wäre der Vater der Familie während der 90er Jahre nicht schwer erkrankt. Für Uwe gab es keinen Zweifel, was zu tun sei, er kehrte nach Chemnitz zurück.

New York und Jerusalem
Kurze Zeit später starb der Vater - ein Einschnitt, der die restliche Familie hart traf, sie aber auch umso stärker zusammenrücken ließ. Gemeinsam mit der Mutter und vielen Freunden, besannen sich die Dziuballas auf sich selbst. Den Wandel in der Stadt und im Land, das Wachstum der jüdischen Gemeinschaft durch russisch-jüdische Zuwanderung, die neu entstandenen Möglichkeiten, Judentum offen und selbstbewusst zu leben, das alles hatten sie als Geschenk und Chance begriffen. Lars hatte inzwischen an einer Yeschiva in Jerusalem studiert und ein Leben im Einklang mit der Halacha begonnen. Die Beachtung der jüdischen Speisevorschriften, der Kaschrut, bekam eine ganz praktische Dimension. Uwe seinerseits faszinierte die Vitalität und Vielfalt der jüdischen Szene in New York. Warum sollte nicht auch Chemnitz etwas davon abbekommen? Es war Zeit für Visionen – und für Taten!

Im September 1998 gründeten die Dziuballa-Brüder zusammen mit einem Dutzend weiterer Enthusiasten den Verein «Schalom. Deutsch-israelisch-jüdische Begegnungsstätte». Rasch erreichten sie unterschiedlichste Zielgruppen, schoben soziale und kulturelle Projekte an, stellten eine Plattform für interkulturellen Dialog her und halfen russischsprachigen Juden, die ihre ersten Schritte in der Stadt taten. «Es war und ist uns wichtig», so Uwe Dizuballa, «dass Judentum eben nicht nur aus Erinnerungsarbeit und ritualisierten Gedenkveranstaltungen besteht. Judentum hat heute und hier Potential und Zukunft, man muss es nur eben gestalten.»

Bald war «Schalom» beteiligt an den Chemnitzer Tagen der Jüdischen Kultur, lud Künstler und Israel-Experten ein, stellte Kontakte zu Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften her. Deutschkurse, Sozialberatung für Migranten

Von Olaf GLOECKNER

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