Ein Überblick über die sich ständig wandelnde israelische Parteienlandschaft kurz vor den Neuwahlen  

Januar 11, 2019 – 5 Shevat 5779
Israels Parteien ordnen sich neu

Von Ulrich W. Sahm

Das israelische Parlament, die Knesset, hat Ende Dezember seine Selbstauflösung beschlossen. Als erster möglicher Termin wurde daraufhin der 9. April für Neuwahlen bestimmt.

Die „Süddeutsche Zeitung“ behauptete zwar, dass Premierminister Benjamin Netanjahu aus egoistischen Gründen den Wahltermin „diktiert“ hätte. Doch selbst in einem Land, wo angeblich die Demokratie abgeschafft wird, gibt es immer noch gewisse demokratische Spielregeln. So kann der Premierminister nicht selbstherrlich den Wahltag bestimmen, sondern muss erst eine Zustimmung seiner Koalitionspartner einholen und dann im Parlament die entsprechenden Abstimmungen abwarten, genauso wie in Deutschland.

Nachdem die Regierungspartner allesamt zugestimmt hatten, war es kein Problem mehr, auch die Oppositionsparteien mit ins Boot zu holen. Denn seit Jahren warten sie auf die Gelegenheit, den von ihnen so verhassten Regierungschef zu stürzen. Bislang versuchten sie es mit polizeilichen Mitteln, indem sie ihm und seiner Frau Sarah ständig neue Fälle von Korruption, Begünstigung, Untreue und andere schwere Vergehen vorwarfen, in der Hoffnung, ihn mit einem Richterurteil zu Fall und vielleicht gar ins Gefängnis zu bringen.

Ohne hier zu urteilen, wer Recht hat, behauptet Netanjahu stets, dass „nichts sein werde, weil nichts war“. Die Polizei ermittelt, weil jede Anklage untersucht werden muss, auch wenn am Ende keine gerichtsfähige Anklageschrift herauskommt. Der Staatsanwalt wird jetzt gedrängt, das vorläufige Ergebnis der Ermittlungen und Verhöre umgehend zu veröffentlichen, damit sich die Wähler ein Bild machen könnten, um zu entscheiden, ob sie erneut Netanjahu und seinem Parteienblock die Stimme verleihen wollen.

Ganz neutral und objektiv kann man im Augenblick nur sagen, dass bis zur Stunde noch keine Schuld des Ehepaares Netanjahu nachgewiesen worden ist, dass es noch keine Gerichtsverhandlung gab und dass noch kein Richter ein Urteil gefällt hat. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung, auch für einen Regierungschef. Alles was bisher in den Klatschspalten der Zeitungen veröffentlicht worden ist, sind Spekulationen, gezielte Indiskretionen oder Gerüchte. Politische Beobachter und nicht nur dem Premierminister nahestehende Politiker kritisieren, dass hier mit echten oder falschen Verdächtigungen und polizeilichen Mitteln der demokratisch gewählte Regierungschef mit Hilfe eines Richterspruchs gestürzt werden soll. Problematisch an diesem Vorgehen der Opposition sei der Versuch, einen Regierungswechsel herbeizuführen, ohne die Politik der Regierung mit politischen Argumenten auszufechten und die Mehrheit der Wähler von ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen.

Israels Wahlkampf
Jetzt soll also gewählt werden. Das bedeutet ganz banal, dass der Wahlkampf begonnen hat. Jetzt müssen sich die Parteien und ihre prominenten Kandidaten aufstellen, um überhaupt eine Chance zu haben, die als sehr hoch geltende Sperrklausel von 3,25 % zu überwinden. In der Knesset mit 120 Sitzen bedeutet das mindestens 4 Sitze pro Partei, um überhaupt präsent zu sein.

Aus innenpolitischen Gründen haben sich inzwischen mehrere Parteien im linken wie im rechten Spektrum aufgelöst, gespalten oder aufgestellt. Damit sind alle Karten neu gemischt.

Dann gibt es prominente ehemalige Militärs oder Politiker, die noch nicht beschlossen haben, welcher Partei sie sich anschließen wollen oder ob sie im Alleingang mit eigener Partei antreten sollten. Dazu gehören prominente Ex-Militärs wie die ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz und Gabi Aschkenasi. Sie werden von mehreren Parteien umworben, damit die sich mit einem sicherheitspolitischen Schwergewicht schmücken können. Angesichts der Vernichtungsdrohungen des Iran und der militärischen Auseinandersetzungen mit der Hamas im Gazastreifen, der Hisbollah im Libanon und Syrien sowie des „palästinensischen“ Terrors ist das für viele Israelis von existentieller Bedeutung.

Liebermann in Rente – „Linke“ im Niedergang
Der zurückgetretene Verteidigungsminister Avigdor Liebermann zieht sich aus der Politik zurück, was das Ende seiner bei Einwanderern aus Russland so populären Partei „Israel unser Haus“ bedeutet. Die prominente Justizministerin Ayelet Schaked und Erziehungsminister Naftali Bennett („Jüdisches Heim“) haben eine neue Partei gegründet namens „Neue Rechte“. Ob und wie sie damit der Likud-Partei von Netanjahu schaden, ist noch offen.

Das gesamte linke Lager befindet sich seit der Ermordung von Jitzhak Rabin 1995 und dem Scheitern der Osloer Verträge in einem Zustand der Selbstzerfleischung und steten Niedergangs. Obgleich vor allem die EU in der Zweistaatenlösung und in einer „Versöhnung“ mit den „Palästinensern“ die alternativlose Lösung aller Probleme des Nahen Ostens und sonstiger Kriege in der Welt sieht, finden die meisten Israelis daran nur wenig Gefallen, solange sie von der Hamas mit Raketen beschossen und an jedem Ort mit Überfahrattacken wie auf dem Breitscheidplatz, Messerattacken und Bombenterror jederzeit und überall physisch bedroht werden. Angesichts der fast täglich entdeckten Messer und Bomben an den Kontrollpunkten glaubt niemand den Behauptungen linker Aktivisten wie „Frieden Jetzt“, Betzelem oder „Schweigen brechen“, wonach die „Palästinenser“ in Ramallah oder in Gaza den strategischen Beschluss gefasst hätten, keinen Terror mehr gegen Israelis oder Juden durchführen zu wollen. Die Wirklichkeit spricht da eine andere Sprache.

Schafft Meretz die 3,25-Prozent-Hürde?
Die radikale Linkspartei Meretz steht im Verdacht, sexuelle Misshandlung von Frauen durch einen führenden Aktivisten der Partei ignoriert zu haben. Als Partei, die die Moral gepachtet hat, Frauen- und Menschenrechte und grüne Weltanschauungen fördert, kann ihr das mehr schaden, als anderen Parteien. Bei Meretz hat es Wechsel in der Führung gegeben und zudem droht ihr der Untergang wegen der Sperrklausel.

Die jüngste dramatische Entwicklung war der unflätige Rauswurf der prominenten Politikerin Zipi Livni aus dem „Zionistischen Lager“, und die Ernennung von Shelly Yacimovich zur Oppositionschefin. Ulrich Schmid von der NZZ behauptet, dass Parteichef Avi Gabbay die sehr aschkenasische Jüdin Livni aus rassistischen Gründen rausgeworfen habe, zumal Gabbay ein „Jude aus Marokko“ sei. In Israel ist freilich noch in Erinnerung, die die aschkenasische Jüdin den aus Iran stammenden orientalischen Generalstabschef Schaul Mofas mit ähnlichen Methoden rausgeworfen hat. In Israel werden persönliche Differenzen und Intrigen hervorgehoben und nicht Animositäten zwischen Misrachim (Orientalen) und Aschkenasim (europäischen Juden). Im Ergebnis bedeutet der Rauswurf Livnis, dass das Bündnis von Livnis Partei „Hatnua“ (die Bewegung) mit der sozialistischen Arbeitspartei im Rahmen des „Zionistischen Lagers“ der Vergangenheit angehört.

Unruhe beherrscht auch das Lager der orthodoxen Parteien. Über dem Vorsitzenden der Schas-Partei, Innenminister Arieh Derri, schwebt eine Anklage wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Untreue. Im Jahr 2000 wurde er wegen ähnlicher Verbrechen zu einer 4-jährigen Haftstrafe verurteilt, wovon er 2 Jahre im Gefängnis verbracht hat. Sein Wegfall könnte das Ende der derzeit größten frommen Partei mit derzeit 7 Sitzen bedeuten. Hart an der Sperrklausel schliddert auch die andere ultraorthodoxe Partei, das „Vereinte Thora-Judentum“. Sie hat 6 Abgeordnete in der Knesset. Bei sektorialen Nischenparteien sind zuverlässige Umfragen kaum möglich. Andererseits verfügen sie über eine relativ stabile Stammwählerschaft.

Zerstrittene Araber
Wie sich die israelischen Araber aufstellen werden, immerhin 20 Prozent der Bevölkerung, ist auch offen. Ihre 13 Abgeordneten in der bisherigen Knesset sind ein Zusammenschluss von Kommunisten, Islamisten und Nationalisten in einer Partei. Jede einzelne Gruppierung hätte im Alleingang die Sperrklausel nicht geschafft. Wegen der extremen ideologischen Differenzen unter ihren Abgeordneten hat diese Oppositionspartei in der vergangenen Kadenz nicht viel erreicht.

Auch Netanjahu (Likud) an der Spitze der stabilsten Partei mit derzeit 30 Abgeordneten ist nicht mehr unangefochten der Anführer des „rechten Lagers“. Er hatte in letzter Zeit die radikale Hamas unterstützt mit Warenlieferungen und 15 Millionen US-Dollar aus Katar, womit die Gehälter im Gazastreifen bezahlt werden konnten, trotz eines Boykotts der „palästinensischen“ Regierung in Ramallah unter Präsident Machmud Abbas. Netanjahu wollte so einen blutigen Krieg im Gazastreifen verhindern, trotz Terror an der Grenze und Raketenbeschuss. Wegen dieser Schritte geriet der Premierminister in den Verruf, jetzt plötzlich eine „linksgerichtete“ Politik zu verfolgen. Netanjahu wollte die Hamas nicht belohnen, sondern einen für alle Seiten blutigen Krieg verhindern.

Die politischen Änderungen geschehen so schnell, dass die Umfrageinstitute nicht nachziehen können. Jedes von ihnen vorgelegte Ergebnis ist schon bei der Veröffentlichung veraltet. Wegen des umfassenden Wandels in der innenpolitischen Landschaft Israels ist es sinnlos, hier noch zu versuchen, einen Überblick zu behalten.

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