Die Lebensängste der oft verfolgten jüdischen Diaspora finden nur wenig Parallelen zum positiven Lebensgefühl von Israel 

Juli 7, 2017 – 13 Tammuz 5777
Israel ist bunt, vital und lebensfroh

Von Attila Teri

Ich lag die halbe Nacht schlaflos in meinem Bett. In mir drehte sich alles. Der Grund war nicht nur, dass ich zuvor in einer knappen Stunde fast eine halbe Flasche Schnaps in mich gekippt habe. Meine lädierte Verfassung und meine ausgewachsene Sinnkrise verdanke ich dem überragenden Dokumentarfilm meiner geschätzten Autorenkollegen Sophie Hafner und Joachim Schröder, „Auserwählt und ausgegrenzt: Der Hass auf Juden in Europa“. Besser gesagt dem Umgang mit diesem Film.

Denn mit der im Film schonungslos gezeigten Realität der Gegenwart bin ich leider viel zu gut vertraut, mehr als mir lieb ist. Aber für die Mitmenschen, die das Thema eigentlich nicht oder nur am Rande betrifft, die keine Ahnung haben und oder das ganze Antisemitismusproblem am liebsten unter den Teppich kehren, ist der Film von unschätzbarem Wert und sollte ab jetzt an jeder Schule zum Unterrichtsstoff gehören.

Es mag übertrieben erscheinen, aber das, was die öffentlich-rechtlichen Sender mit dem Film und dessen Autoren veranstalten, erinnert mich sowohl an die übelste kommunistische Propaganda, die ich vor meiner Flucht aus Ungarn selbst miterleben durfte, als auch an die Anfänge der Nazizeit. Ich habe es nie für möglich gehalten, dass es nach der Schoah in Deutschland wieder salonfähig werden würde Menschen von staatlicher Seite dafür an den Pranger zu stellen und zu diffamieren, dass sie für Juden und Israel Partei ergreifen! Als Krönung kam hinzu, dass sich die Geschmähten öffentlich kaum wehren konnten.

Das hat eine neue/alte Qualität! Während seit Jahrzehnten Tag für Tag einseitig, verfälscht und oft mit nachweisbaren Lügen über Israel berichtet wird, löst ein Film, der aus der Sicht der Juden an das Problem herangeht, einen Sturm aus. Das ist mein Kernproblem. Allerdings nicht nur was die Sender, Israel-Hasser oder Antisemiten betrifft, sondern auch die Reaktion von uns Juden und unseren Freunden.

Natürlich habe ich mir den Film in der entstellten (weil mit „erklärenden“ und „richtigstellenden“ Kommentaren gespickten) ARD-Version noch einmal angesehen, obwohl ich schon die Ehre hatte ihn Wochen vor der durch die „Bild“-Zeitung erzwungenen Ausstrahlung zu sehen, um mir anschließend auch noch die Diskussion bei „Maischberger“ zu geben, die mich dazu brachte mich bewusst zu betrinken. „Wenn es so weitergeht, bin ich bis zum Ende von Maischberger Alkoholiker!“, dachte ich mir während der Sendung.

Nüchtern konnte ich dieses Tribunal nicht ertragen. Ahmad Mansour und Michael Wolffsohn kämpften zwar tapfer gegen den „Drachen mit vier Köpfen“, aber leider befürchte ich, dass sie und wir alle wieder so enden könnten wie Masada! Sei es im wirklichen oder übertragenen Sinne. Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen. Nicht umsonst fühle ich mich selbst auch des Öfteren schon wie der Esel von Sancho Panza. Dennoch will und werde ich nicht aufgeben.

Als bekennder „Facebook-Terrorist“ beschäftige ich mich seit Jahren mit „unseren jüdischen Problemen“ und versuche unentwegt aufzuklären. Zumindest glaube ich dies mit meinen Facebook-Einträgen zu tun. Dabei halten mir sogar gute Freunde oder Bekannte, die alles, bloß keine Antisemiten sind, von Zeit zu Zeit vor „Atti, du schreibst ständig nur von eurem Elend, beklagst dich, belehrst alle. Kein Wunder, wenn deine ständigen Posts bei Facebook vielen ganz einfach auf die Nerven gehen und sie es nicht mehr sehen wollen! Gibt es denn nur Negatives in deinem Leben?“ Harter Tobak, oder? Anscheinend werden meine Bemühungen teilweise nur als Rumgeheule wahrgenommen oder verstanden. Und das ist das Letzte, was ich will! Überfordere ich die Leute? Sehe ich wirklich nur das Schlechte? Erwarte ich zu viel? Bin ich etwa inzwischen die personifizierte „Klagemauer“?

Für die neue Reisesendung „Grenzenlos“, die auf SAT1 ausgestrahlt wird, bekam ich die Möglichkeit eine Folge über Israel machen zu dürfen. Völlig ohne Politik, nur mit dem Ziel den ahnungslosen Deutschen Land und Leute so zu zeigen, dass sie ihren nächsten Urlaub nach Israel buchen wollen und verstehen, warum alle ins Schwärmen geraten, die schon einmal dort waren. Die Reaktionen der Zuschauer, auch jener aus Israel, waren überwältigend positiv, was mir unzählige Kommentare und Nachrichten an mich persönlich gezeigt haben. Allein den Trailer sahen auf Facebook knapp 16.000 Menschen an und die Sendung selbst hatte ein Millionenpublikum erreicht!

Mich überraschte, dass die Armee der Israel-Hasser bis auf ganz wenige Ausnahmen stumm blieb. Eigentlich könnte ich als Autor somit vollends zufrieden und glücklich sein. – Eigentlich! Was mir jedoch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Wahrnehmung bzw. Nichtwahrnehmung des Films, der 45 Minuten lang nichts anderes als Werbung für Israel betreibt bei jüdischen und für Israel eintretenden Foren, in denen auch ich seit Jahren aktiv bin. Viele teilten zwar den Programmhinweis – wofür ich natürlich sehr dankbar bin – aber hielten sich nach der Ausstrahlung auffallend zurück, sei es mit Lob oder Tadel. Um Missverständnissen vorzubeugen: es ist nicht meine Eitelkeit, die mich zum Nachdenken bringt. Genauso wenig die Absicht „Fishing for Compliments“ zu betreiben. Das Feedback derer, für die ich den Film gemacht habe, ist mehr als ausreichend und übertrifft bei weitem meine Erwartungen.

Dennoch erzählte ich meiner Frau von der Enttäuschung über das Schweigen derer, die genauso wie ich für Israel und das jüdische Volk eintreten. Sie antwortete auf ihre gewohnt trockene, pragmatische und ehrliche Art: „Was erwartest du eigentlich? Du beschäftigst dich doch auch zum größten Teil nur mit negativen Geschichten, wenn es um Israel und Juden geht!“

Das saß – wie das Lied „Mitten in die Fresse rein“ von den „Ärzten“. Sind wir zum Teil etwa auch selbst schuld an der seltsamen und falschen Wahrnehmung der übrigen Welt durch unsere eigene Außendarstellung? Genau das dachte ich beim Besuch vom letzten „Israeltag“ in München. Auch auf die Gefahr hin, einigen jetzt gehörig auf die Füße zu treten, muss ich zugeben, dass ich irgendwann davonlaufen musste. Ich habe mich ganz einfach fremdgeschämt. Es waren die üblichen Verdächtigen anwesend mit dem üblichen Programm und den dazugehörenden üblichen Klageliedern über unser Elend. Wie immer. Die ganze Sache vermittelte leider mal wieder den Charme einer Veranstaltung in einem jüdischen Altersheim. Mit dem Lebensgefühl von Israel, geschweige denn dem von Tel Aviv oder Jerusalem, hatte das Ganze nichts zu tun. Kein Wunder, wenn kaum jemand von den unbeteiligten Passanten auf Dauer stehenblieb.

Kurz darauf sprach ich darüber mit einigen israelischen Freunden. Ihre einhellige Meinung: Bei einem „Israeltag“ sollte eher eine Beach-Bar mit Sand, Lounge-Möbeln, köstlichen israelischen Speisen und Getränken aufgebaut werden, garniert mit Live-Auftritten junger israelischer Musiker, Werken von israelischen Künstlern, von kleinen Diskussionsforen, geführt von jungen Israelis. Um nur einige Beispiele zu nennen. Das würde eher dafür sorgen das Lebensgefühl dieses wunderbaren Landes den Deutschen näherzubringen.

Ist es nicht an der Zeit unser Vorgehen zu überdenken? Was zeichnet denn in erster Linie die Israelis aus? Was auch immer geschieht, sie blicken immer nach vorne, überwinden alle Widrigkeiten mit unbändiger Energie, lassen sich ihre Lebensfreude von nichts und niemandem nehmen und strotzen nur vor Selbstbewusstsein. Sie gedenken der Opfer unserer Vergangenheit, arbeiten aber unermüdlich für eine bessere Zukunft des jüdischen Volkes. Und was tun wir Juden in der Diaspora dafür?

Natürlich müssen wir auch zukünftig auf Missstände aufmerksam machen und mit allen Mitteln gegen Antisemitismus kämpfen. Aber wie oft beklagen wir uns und wie häufig erzählen wir dazu proportional von den schönen Seiten Israels? Die Antwort möge sich jeder von uns selbst geben. Dabei wäre es genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, nicht mehr überwiegend zu heulen und uns zu beschweren, sondern durch positive Werbung dafür zu sorgen, dass Israel in einigen Jahren für Millionen Deutsche ein beliebtes Reiseziel wird.

Denn nichts korrigiert das falsche Bild über Israel nachhaltiger als die persönliche Erfahrung vor Ort! Der beste Beweis dafür ist Ahmad Mansour, der in Tel Aviv vom angehenden, jungen Islamisten und Judenhasser zu einem der wichtigsten Botschafter Israels wurde. In diesem Sinne mache ich mir jetzt eine Karaffe Limonana! Die Schnapsflasche bleibt im Regal.

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