Ein Interview mit Jeanine Meerapfel, der jüdischen Präsidentin der Berliner Akademie der Künste  

Oktober 7, 2016 – 5 Tishri 5777
„Ich halte sehr viel von Freiheit“

Die JÜDISCHE RUNDSCHAU traf die Präsidentin der Akademie der Künste, die Argentinierin Jeanine Meerapfel, in ihrem Büro am Pariser Platz. Die gleichermaßen sympathische wie auch ernsthafte und prüfende Filmemacherin nahm sich viel Zeit für das Interview. Das Ergebnis ist ein abwechslungsreiches Gespräch über die Vor- und Nachteile ihres Amtes, ihre jüdisch-deutsch-französischen Wurzeln, ihre 68er-Zeit in Ulm sowie ihre Kulturtipps für Berlin.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Prof. Meerapfel, Sie sind seit Mai 2015 Präsidentin der Akademie der Künste, wie lautet Ihre bisherige Bilanz?

Darauf kann ich nur komplex antworten. Denn diese Bilanz kann ja nur ein Spiegel dessen sein, was diese Akademie insgesamt repräsentiert.
Die Zusammenarbeit mit den insgesamt 180 Angestellten ist gut. Ich fühle mich sehr unterstützt sowohl von den Mitarbeitern als auch von den Mitgliedern. Besonders spannend sind die kreativen Reibungen mit den Mitgliedern. Auch das ist gut, das ist Teil des Jobs.
Was mich besonders in der letzten Zeit freut, ist, dass diese Akademie wirklich eine Arbeits-Akademie ist. Bereits bei meinem Vorgänger Klaus Staeck wurde der Versuch unternommen, dass alle sechs Sektionen der Akademie (Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende Kunst sowie Film- und Medienkunst, Anm. d. Red.) miteinander arbeiten. Exemplarisch wird das passieren bei unserem neuen hochinteressanten Programm, das im Oktober dieses Jahres stattfindet („Uncertain States – Künstlerisches Handeln in Ausnahmezuständen“, vom 15.10.2016 bis zum 15.1.2017, Eröffnung: 14.10.2016, Standort Hanseatenweg 10).
Dieses Programm ist eine Reaktion auf die großen Themen unserer Zeit, die da heißen Instabilität, Flucht oder Not. Wie reagieren Künstler darauf? Das Programm bietet Diskussionen und Auseinandersetzungen auf unterschiedlichen Ebenen.

Es ist interessant, wenn man in die Kultur solche Veranstaltungen miteinfließen lässt. Wenn Kunst auch praktisch arbeitet.
Ja, und sich eben auch gesellschaftspolitisch engagiert. Genau das ist der Fall.

Das heißt also, Sie mögen Ihre Position?

(Lacht.) Meistens. Nicht immer.

Was mögen Sie daran nicht?

Den Druck. Die Masse an Anfragen. Man kann nicht allen Leuten gerecht werden und man muss – leider – eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber bestimmten Dingen lernen. Ich kann nicht jede E-Mail beantworten. Ich bin es jedoch gewohnt, immer zu antworten. Das kann ich hier nur zum Teil wahrnehmen und das fällt mir schwer.
Ansonsten ist mein Amt ein reichhaltiges und ich lerne sehr viel. Vor allem über andere Künste.

Die Akademie der Künste ist ja einerseits eine wichtige Institution in Berlin, aber andererseits nimmt man sie als Berliner oft gar nicht wahr.
Sie ist ja nicht nur eine Berliner, sondern eine nationale und internationale Institution. Wir haben ca. 430 Mitglieder und von denen ist ein Großteil aus dem Ausland. Darunter auch Israelis, wie z. B. Micha Ullman oder der italienisch-israelische Künstler Luca Lombardi. Also wirklich Mitglieder aus der ganzen Welt, bis hin zu Bob Dylan.

Bob Dylan ist Mitglied der Akademie der Künste?

Ja.

Das ist ja verrückt.

(lacht.) Das wussten Sie noch nicht.

Nein, das ist jetzt wirklich eine Überraschung für mich. – In den Medien ist Ihre Wahl zur Präsidentin der Akademie der Künste sehr gefeiert worden, nicht zuletzt, weil Sie die erste Frau auf diesem Posten sind. Wie empfinden Sie das persönlich?

Darauf lege ich keinen Wert. Ich lege darauf Wert, dass man mich auch gewählt hat wegen der möglichen Fähigkeiten, die ich haben kann. Und ich denke, dass es für die Mitglieder wichtig war, dass ich als Filmemacherin schon mit komplexen Strukturen zu tun gehabt habe. Dass ich als Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln auch für ein Jahr lang die Schule geleitet habe. Das heißt, ich habe schon Leitungsfunktionen im kulturellen Bereich innegehabt.
Ich sage es einmal so: Meine höchste Qualität ist nicht das Frausein. Sondern das, was ich als Künstlerin repräsentiere. Auch wenn es schön ist, Frau zu sein.

Ist es eigentlich schwierig, wenn man vordergründig Filmemacherin ist, ein so geordnetes und repräsentatives Amt auszufüllen?

Wie stellen Sie sich denn das Filmemachen vor? Das Leben als Filmemacherin ist höchst komplex, ordentlich und diszipliniert. Sonst kriegen Sie überhaupt nichts zusammen. Wenn man Filme macht, muss man sich tatsächlich mit hochkomplexen Organisations-Strukturen auseinandersetzen. Alleine bei der Beschaffung und Verwaltung von Geldern. Filmemachen ist ein Training im Organisieren eines künstlerischen Vorgangs.
Ein Widerspruch besteht vielleicht insofern, als dass ich durch mein Amt der Präsidentin der Akademie kaum mehr Zeit für meine Arbeit als Filmemacherin finde. Ich bin jedoch gerade dabei, mir etwas mehr Zeit dafür zu organisieren. Denn schließlich muss ich auch meine eigene künstlerische Identität bewahren.

Wie sind Sie selber eigentlich zum Filmemachen gekommen?

Das war ein Weg vom Journalismus zum Drehbuchschreiben. Mich interessierte das Drehbuchschreiben als Technik des Schreibens. Als ich in Buenos Aires als Journalistin arbeitete, belegte ich schon Kurse zum Drehbuchschreiben. Diese Konstruktion fand ich spannend. Denn eigentlich komme ich von der Literatur und vom Schreiben.

Später hat Sie der Journalismus aber nicht mehr gereizt?

Ich habe ja immer wieder journalistisch gearbeitet, etwa Artikel geschrieben. Außerdem habe ich auch Dokumentarfilme gedreht. Das ist ja die Übersetzung journalistischer Arbeit in eine andere Form. Aber wenn man einmal angefangen hat, sich in Bildern auszudrücken, ist es sehr schwer, wieder zurück in die ausschließliche Form der Sprache zu gehen. Film hat eine andere Form von Komplexität und das hat mich immer gereizt.

Sie wurden 1943 als Kind jüdischer Eltern, die nach Argentinien emigriert waren, in Buenos Aires geboren. Empfinden Sie sich selbst als jüdisch?

Ja.

Also ist es ein Teil Ihrer Identität?

Klar. Das ist meine Tradition.

Wurden Sie auch jüdisch erzogen?

Ja, aber von Reformjuden, nicht orthodox. So nach dem Motto: Zweimal im Jahr in die Synagoge. Aber natürlich bin ich trotzdem im Bewusstsein jüdischer Kultur und Geschichte erzogen worden.

Haben Sie zu Hause auch Deutsch gesprochen?

Nein.

Gar nicht?

Nein. Ich bin mit Französisch und Spanisch aufgewachsen. Mein Vater hat Deutsch gesprochen. Nicht mit mir, aber ich habe ihn Deutsch sprechen gehört, das hat mir das Lernen der Sprache später natürlich leichter gemacht.

Ihre Eltern haben mit Ihrer Emigration also die deutsche Sprache aufgegeben?

Teilweise. Meine Mutter war Französin und hat mit mir Französisch und Spanisch gesprochen. Mein Vater war Deutscher und hat wie gesagt manchmal noch Deutsch gesprochen, aber vordergründig Spanisch und Holländisch, denn meine Eltern waren vor ihrer Emigration zuletzt in Holland.

Das ist ja auch ein Geschenk, wenn man mit so vielen Sprachen aufwächst.

So ist es. Ein großes Geschenk, wenn man als Kind schon vier, fünf Sprachen kennt. Und dann ist es leichter, Englisch, Italienisch usw. zu lernen.
Mein Vater hat immer zu mir gesagt: „Du musst alle Sprachen können, du musst dich überall bewegen können.“ Und das kam natürlich aus seiner Erfahrung heraus. Darum wird man auch ziemlich kosmopolitisch erzogen.

Und warum sind Sie 1964 dann ausgerechnet nach Deutschland gegangen?

Die Zufälle der Geschichte. Ich hatte gehört, dass die Geschwister-Scholl-Stiftung in Ulm die Hochschule für Gestaltung gegründet hatte. Diese Hochschule hatte als erste Universität in Deutschland nach dem Krieg eine Filmakademie. Dozenten waren Alexander Kluge und Edgar Reitz. Ich hörte also von einer interdisziplinären Schule mit dem Geist des Widerstandes der Scholl-Geschwister. Schließlich bekam ich ein Stipendium und ging nach Deutschland zum Studieren.

Und was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

Welchen Eltern gefällt es, wenn ihre Kinder wegfliegen? Mein Vater war nicht glücklich darüber, meine Mutter auch nicht. Aber so war es nun mal.

Und hat sich das irgendwann wieder gelegt?

Ja, sicher. Als sie gesehen haben, wie glücklich ich war und wie gut ich mich entwickelt habe, fanden sie das natürlich sehr schön. Insbesondere in der Zeit der Militär-Diktatur in Argentinien. Da sagte mein Vater: „Ich bin sehr froh, dass du nicht in Argentinien bist.“ (…)

Das Gespräch führte Ulrike Stockmann

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