Biblisches Gewässer in Not  

Mai 11, 2016 – 3 Iyyar 5776
Ich bin krank!

Von Jerome Lombard

Der Jordanfluss leidet unter Verschmutzung und ist von Austrocknung bedroht – Nun meldet sich in der JR der größte Fluss Israels exklusiv „selbst“ zu Wort:

„Ur-Strom für zwei Weltreligionen“. „Gewaltiger Wasserlauf“. „Heiliges Gewässer“. Gleich, mit welch wohlklingenden Titeln man mich auch zu bezeichnen suchte, stets hatte ein jeder das Bild eines vitalen, sich majestätisch durch die Landschaft schlängelnden Wasserstroms vor Augen. Den man nicht mal einfach so schiffbar machte. Den man nicht mal einfach so überquerte. Den man sich nicht mal einfach so Untertan machte. Ungestüm. Reißend. Mystisch. Ein Bild von einem Fluss.

Doch das alles ist jetzt passé und findet seine Erwähnung höchstens noch in Geschichtsbüchern. Achso, und in Thora und Bibel natürlich. Wobei deren Inhalt ja quasi zeitlos zu verstehen ist. Schlägt der geneigte Leser heutzutage ein Umweltmagazin oder die Feuilletonseiten einer Tageszeitung in der thematischen Sauren-Gurken-Zeit auf und führt sich – aus welcher Laune auch immer heraus – einen Bericht über mich zu Gemüte, prallem ihm unwillkürlich Begriffe wie „unscheinbares, stinkendes Rinnsal“ oder „halb ausgetrocknete grün-braune Brühe“ entgegen. Häufig garniert mit der leicht süffisant formulierten Frage: Gibt es eine Zukunft für diesen Schatten seiner selbst?

Eine Zukunft wird es für mich in jedem Fall geben. Aber auch eine Rettung? Ich sage Ihnen, es ist wirklich erniedrigend. Ich will nun nicht länger schweigen. Wir müssen dringend reden. Ach! Aber wo sind denn bloß meine Manieren! Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht richtig vorgestellt. Die Lage mag nicht rosig sein, aber ein Gentleman sollte man doch bitteschön immer bleiben. Gestatten, Jordan mein Name. Der Fluss, wohlgemerkt – nicht das Land. Das heißt ja eben nach mir. Ein ganzes Land haben sie nach mir benannt! Und jetzt dieser beschämende Zustand. Soweit ist es schon gekommen... Aber halt, ich gebe mich nicht wieder den Tränen hin. Ich will Ihnen gegenüber, werter Leser, nicht lange um den heißen Brei herum reden.

Ich bin krank. Schon seit langem. Schuld sind die Menschen mit ihrem schier unersättlichen Durst nach Wasser in dieser regenarmen Region, die seit jeher meine Heimat ist. Mir aber geht das Wasser aus, ich bin verschmutzt, geschrumpft. Mein Flussbett droht an einigen Stellen auszutrocknen. Ich bin ein häufig vergessenes Opfer der chaotischen politischen Situation im Nahen Osten. Eine Geisel des unsäglichen Hasses der arabischen Nachbarn auf den jüdischen Staat. Um jedem sogenannten Israel-Kritiker gleich den Wind aus den Segeln (PS: Schiffe können auf mir seit einer Ewigkeit nicht mehr segeln) zu nehmen: Nein, voreingenommen bin ich als Grenzfluss bestimmt nicht. Ich benenne schlicht und ergreifend zwei der Hauptprobleme für den Zustand meiner Heimat: Die bis auf den heutigen Tag weithin verwurzelte Nicht-Akzeptanz der Existenz Israels und die arabische Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat seit 1948. Während die mich plagenden Krankheiten nach einer ökologisch-politischen Kooperation, einem gemeinsames Wassermanagement, einem Baustopp für nationale Staudämme verlangen würden, gibt es solche Projekte heute in Ansätzen nur zwischen Jordanien und Israel. Und das auch nicht gerade mit Enthusiasmus. Es ist ein kalter Frieden, der da seit 1994 zwischen den beiden herrscht. Hass macht bekanntlich blind. Auch vor den speziellen Bedürfnissen eines stolzen Flusses. In der aufgeheizten Stimmung des Nahen Ostens wird ein Fluss zum Politikum. Der Zugang zu Wasser zum Kriegsgrund.
Der eine oder andere von Ihnen mag schon an meinen Ufern gestanden haben. Habe ich in meiner gegenwärtigen Lage Ihre Erwartungen erfüllt? Ich kann nur hoffen, dass dem nicht so ist. Falls nämlich doch, hatten Sie freilich erbärmliche Erwartungen. (…)

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