Tom Segev hat eine neue Biographie über David Ben Gurion veröffentlicht  

August 3, 2018 – 22 Av 5778
„Ich bin Jude und mehr nicht.“

Von Theodor Joseph

Rechtzeitig zum 70. Geburtstag des Staates Israel erschien eine Biografie über den ersten Ministerpräsidenten des Judenstaates, über eine der bedeutendsten politischen Gestalten, die die jüngere jüdische Geschichte hervorgebracht hat – David Ben Gurion. Es ist dies zugleich eine Biografie über Palästina seit dem 20. Jahrhundert, das jüdische Palästina, Erez Israel, eine Biografie über den werdenden Judenstaat Israel. Biograf ist Tom Segev, einer der bekanntesten israelischen, auch international renommierten Publizisten, der über eine elegante Feder verfügt. Sein Urteil über Ben Gurion ist kritisch und differenziert und bei all dem ist er dem Apostrophierten persönlich sehr nah.

Ben Gurion war über viele Jahre hinweg ein nationaler Mythos, eine Art Säulenheiliger. Er stand vielleicht im Ausland mehr als im eigenen Land, über aller Kritik. Segev versucht, ihn als Menschen zu zeigen, mit all seinen Stärken und Schwächen. Ben Gurion galt immer als emotionsloser Pragmatiker, und auch wenn er sich sehr von seinen Gefühlen hat leiten lassen, kämpfte immer wieder mit schweren persönlichen Krisen.

Warschau war die große weite Welt
Im Jahre 1904, da war er 18 Jahre alt, sah David Grün, so der Geburtsname Ben Gurions, in Warschau zum ersten Mal eine elektrische Lampe, saß zum ersten Mal in einem Kino, sah das erste Automobil und das erste Telefon. Der Zionismus, wie Theodor Herzl ihn propagierte, war auf die Zukunft gerichtet und fortschrittlich, so wie die Errungenschaften, die Grün damals erstmalig sah. Grün erwog, seine zionistische Einstellung mit dem aufkommenden jüdischen Sozialismus zu verbinden. Er schloss sich der „Poale Zion“ an – den „Arbeitern Zions“. Das war seine Synthese von Zionismus und Sozialismus.

Herzls Tod als Startschuss
Herzls Tod im Jahre 1904 wurde für viele Juden zum Signal, seine Ideen zielstrebig zu verwirklichen und nach Palästina zu gehen. So der damals 20-jährige David Grün aus Plonsk bei Warschau, ein überzeugter Herzlianer, der anlässlich des Todes von Herzl geschrieben hatte: „Welcher Verlust, und dennoch bin ich heute mehr denn je davon überzeugt, dass wir Erfolg haben werden. Ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem wir in unser wunderbares Land, in dieses Land voll Wahrheit, Poesie, Rosen und prophetischer Visionen zurückkehren werden“. Zwei Jahre später, 1906, landete Grün in Jaffa. Hier gab er sich den hebräischen Namen Ben-Gurion; 42 Jahre später war er es, der Herzls Traum erfüllte, als er am 14. Mai 1948 den Staat Israel ausrief und sein erster Ministerpräsident wurde.
Bis dahin lag bereits ein langes zionistisches Leben in Palästina hinter ihm. Angeblich mit drei Jahren, so behauptete er einmal, habe er gewusst, dass er nicht in Polen bleiben, sondern nach Erez Israel einwandern würde.

Studium des osmanischen Rechts in Konstantinopel
Grün/Ben Gurion hatte sich gleich nach seiner Aliya, wie man die Auswanderung nach Palästina nannte, der jüdischen Siedlungsbewegung angeschlossen, die sich in den ersten Kibbuzim zeigte. Er nannte diese „klitzekleine hebräische Republiken“, und weiter: „Jede Moschawa ist ein ‚kleiner Judenstaat’“. Doch zum ersten Mal bekamen die jüdischen Siedler, die Challuzim, den Widerstand der Araber gegen die Ansiedelung zu spüren. Ben Gurion, einer der Mitglieder von Sedjera, glaubte angesichts der von Arabern ermordeten Juden „zum ersten mal die Schärfe des ‚arabischen Problems’ und seiner Gefahren“ zu verstehen. Er hielt nichts von der Vorstellung, die jüdischen Arbeiter würden Schulter an Schulter mit den ausgebeuteten und unterdrückten Arabern kämpfen. Wenn Ben Gurion von „Eroberung der Arbeit“ sprach, meinte er damit gleichzeitig die Eroberung des Landes. Grün verließ die Siedlung, nannte sich fortan Ben Gurion, ging nach Konstantinopel, wo er osmanisches Recht studierte.

Seiner Familie in Plonsk schilderte Ben Gurion die Verhältnisse in Erez Israel in rosaroten Farben und war überzeugt: „In 25 Jahren wird unser Land eines der blühendsten, schönsten, glücklichsten sein, und das alte neue Volk wird im alt-neuen Land blühen, und dann werden wir erzählen, wie wir einst gefiebert und gearbeitet, gezittert und geträumt haben“. Er warf sich in die Politik, schrieb das Programm der „Poale Zion“ und, auf ein berühmtes Herzl-Wort anspielend, verkündete er ein wenig großspurig: „In Petach Tikwa haben wir die erste professionelle Gewerkschaft gegründet“. Sein „praktischer“ Zionismus lautete nunmehr: „Ein Land bekommt man nicht, sondern man erobert es. Wir werden das Land erobern, indem wir es erbauen“.

Zwar bemühte sich der Jischuw – und auch David Ben Gurion – in den Jahren des Holocaust um die Rettung der europäischen Juden, doch erst gegen Ende des Krieges wurde die illegale Einwanderung wieder aufgenommen, da Ben Gurion fürchtete, die Überlebenden würden sich eher für die USA entscheiden. Er nahm an, dass Amerikas Tore geschlossen bleiben würden, weil die amerikanischen Juden eine Masseneinwanderung von Holocaust-Überlebenden fürchteten. Ben Gurion kämpfte um die Einwanderung nach Palästina und meinte: „Die Tatsache, dass die Juden Erez Israels an der Spitze der Rettungsaktionen gestanden haben, ist eine wichtige Empfehlung für den Zionismus“. Bis dahin war er überzeugt gewesen, dass der Holocaust eine Niederlage für den Zionismus gewesen sei, ein Verbrechen gegen einen jüdischen Staat, den es noch nicht gab.

Während die jüdische Katastrophe in den deutschen Vernichtungslagern ihren Lauf nahm, war man in Palästina über das Ausmaß der Verbrechen erstaunlich wenig informiert. An dem Tag, als der „Davar“ berichtete, in Auschwitz seien bereits anderthalb Million Juden ermordet worden, hielt Ben Gurion am 10. Juli 1944 in Jerusalem eine Rede zum 40. Jahrestag von Herzls Tod. Seine Ansprache führte den Holocaust als Hauptargument für staatliche Unabhängigkeit in den zionistischen Diskurs ein und schuf zugleich einen einigenden Begriff ein: „Die ganze Welt ist gegen uns“.

Bun Gurion schwankte und war unsicher
Mitte der 1940er Jahre war Ben Gurion der führende Mann nicht nur in Palästina, sondern in der ganzen zionistischen Bewegung geworden. Er wusste selbst nicht, wie er zu einer staatlichen Unabhängigkeit gelangen sollte. Sein Führungsstil war von Grübeln, Zögern, Ungewissheit, Gegensätzen und Widersprüchen, Extravaganzen und Fantasterein gekennzeichnet – er lavierte zwischen Politik, Diplomatie und Terror.

In Palästina nahm in den 1940er Jahren die Gewalt zu. Der britische Mandatar sah sich nicht mehr in der Lage, die streitenden Parteien zu zähmen. Gewalt und Gegengewalt waren an der Tagesordnung. Ben Gurion war sich der Ungerechtigkeiten des bereits tobenden Kriegs bewusst und räumte ein, nicht anders durchhalten zu können. Er, der Oberbefehlshaber der Haganah, fantasierte im Frühjahr 1948, Port Said, Alexandria und Kairo zu bombardieren, um „die Rechnung unserer Vorväter mit Ägypten“ zu begleichen. Doch dazu fehlten ihm die Mittel. (…)

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