Antisemitismus in den Anfängen des Christentums (Teil 1 von 2)  

März 31, 2017 – 4 Nisan 5777
Hyam Maccoby und seine Antisemitismus-Kritik

Von Peter Gorenflos unter Mitwirkung von Emanuel Rund

Die Disputation
In den USA und Großbritannien ist Hyam Maccoby (1924-2004) vor allem durch sein Theaterstück „The Disputation“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Hier geht es um eines der im Mittelalter öffentlich ausgetragenen Streitgespräche zwischen einem Rabbi und einem katholischen Geistlichen mit dem Zweck, die jüdische Bevölkerung zur Konversion zum Christentum zu bewegen.

In der historisch belegten Disputation von 1263 in Barcelona zwischen Rabbi Moses ben Nachman und dem katholischen Priester Pablo Christiani unter der liberalen Regentschaft des Königs Jakob von Aragon, hatte der Priester keine Chance gegen die logisch stringente Argumentation des Rabbis. Die Dominikaner verbreiteten daraufhin eine Verdrehung des wahren Ablaufes und zwangen Moses ben Nachman damit zur Gegendarstellung. Trotz gegenteiliger Versprechungen musste er daraufhin auf Druck des Papstes ins Exil. Andere, ähnliche Disputationen endeten oft mit einem Blutbad an der jüdischen Bevölkerung und der öffentlichen Verbrennung des Talmuds. Die Inquisition stand in ihren Startlöchern, gestützt vom Papst, der in Europa bald erheblich an politischem Einfluss gewinnen sollte.

Das Theaterstück war unter der Leitung von Bob Kalfin und mit dem bekannten Theodore Bikel als Rabbi ein großer Erfolg und wurde von der BBC mit dem berühmten Christopher Lee als König Jakob sogar verfilmt.
Nur auf dem überwiegend katholischen, europäischen Festland, dem „continent“, ist der Altertumsgelehrte, Talmud-Philologe und ehemalige Bibliothekar des Leo Baeck College in London, Hyam Maccoby, fast unbekannt. Zuletzt hatte er einen Lehrstuhl für Judaistik an der Universität in Leeds inne.

Der Mythenschmied
Sein zentrales Werk, „The Mythmaker“ von 1986, ist erst 20 Jahre später in der Bundesrepublik erschienen. Als Anhänger der Historiker-Schule „die Sicht auf den Juden Jesus“ untermauert er hier die nicht ganz neue Vermutung, dass Jesus nicht der Gründer des Christentums gewesen sein konnte, sondern fest in der jüdischen Gemeinschaft verankert war, die Thora achtete und eine führende Rolle in der Pharisäer-Bewegung einnahm. Er hatte den messianischen Anspruch, die jüdische Monarchie wiederherzustellen, sein Land vom Joch der römischen Besatzung zu befreien und danach mit allen Militärherrschaften weltweit aufzuräumen. Dieser Anspruch, König der Juden zu sein – eine offene Provokation der römischen Besatzer – brachte ihn ins Gefängnis und nach der Verurteilung durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus ans Kreuz, wo er wie zahlreiche andere jüdischen Freiheitskämpfer einen Märtyrer-Tod starb.

Als einer der vielen erfolglosen Messias-Anwärter wäre er bald in Vergessenheit geraten, wenn da nicht seine direkten Anhänger, die Nazarener, gewesen wären, die an seine Wiederauferstehung durch ein göttliches Wunder glaubten und sich als jüdische Sekte innerhalb der Pharisäer-Bewegung unter ihren jüdischen Führern Petrus und Jakobus zu etablieren begannen. Maccoby entwickelt hier das ganze Panorama einer Gesellschaft unter der Herrschaft der Weltmacht Rom, er zeigt die unterschiedlichen Gruppierungen, die kompromisslerische Sekte der Sadduzäer, einer von ihnen der Hohepriester, der als Polizeichef für Rom agierte, die Herodianer als Titularkönige, die militanten Zeloten und vor allem die in der Bevölkerung hoch angesehenen Pharisäer, welche die eigentlichen Führer der unterdrückten, jüdischen Bevölkerungsmehrheit gewesen waren und nach der Zerstörung des Tempels das geistige Überleben des Judentums sicherten.

Maccoby führt zahllose Indizien an, dass der eigentliche Begründer des Christentums Paulus war. Er rekonstruiert die Geschichte hinter den Paulusbriefen, dem ältesten Teil des Neuen Testamentes und vor der Zerstörung des Tempels geschrieben, und den Evangelien, die danach geschrieben wurden. Maccoby entlarvt Paulus als griechischen Abenteurer, der nur oberflächlich mit dem Judentum vertraut war und des Hebräischen vermutlich kaum mächtig war. Seine Heimatstadt Tarsus in Kleinasien verließ er erst als Erwachsener und versuchte, beeindruckt von jüdischen Autoritäten wie Hillel, Schammaï und Gamaliel, Anschluss an die Pharisäer zu finden und bei ihnen Karriere zu machen. Seine Ambitionen scheiterten allerdings, er wurde niemals pharisäischer Gelehrter, wie er selbst von sich behauptete und seine angebliche Herkunft aus dem „Stamme Benjamin“, ohnehin ein fragwürdiges Konstrukt, war eine reine Erfindung, um sich bei seiner späteren Missionstätigkeit Ansehen zu verschaffen. Er war auch nie ein Schüler Gamaliels, wie Lukas in der Apostelgeschichte behauptet. Nachdem er mit seinem Ehrgeiz gescheitert war, schloss er sich - wohl aus Verzweiflung – der Hilfspolizei des Hohepriesters an. In seiner Funktion als Polizeiagent nahm Paulus, damals noch Saulus, unter anderem an der Verfolgung der Nazarener teil.

Damaskus und danach
Auf dem Weg nach Damaskus, wo er jüdische Widerstandskämpfer aus der Nazarener-Fraktion festnehmen sollte, überkam diesen innerlich zerrissenen Abenteurer eine Art Halluzination, eine Offenbarung bei der ihm nach eigenen Angaben Jesus erschien. Dies war der Ausgangspunkt, die Initialzündung, bei der Gründung einer neuen Religion, dem Christentum. Denn von den Vorstellungen der Nazarener, der jüdischen Anhänger Jesu, war Paulus fasziniert. Eine gekreuzigte und wiederauferstandene Messias-Figur erinnerte ihn an die Mysterien-Religionen seiner Kindheit, den phrygischen Attis-Kult und auch den Kult um Baal-Taras, der seiner Heimatstadt den Namen gab. Wie auch in anderen hellenistischen Mysterien-Religionen, dem Adonis-Kult in Syrien, dem Osiris-Kult in Ägypten u.v.a., starben hier geopferte Götter und erlebten danach ihre Wiederauferstehung. Ihr Leiden war für die seelische Erlösung ihrer Anhänger erforderlich und setzte einen finsteren Täter voraus, auf den man die Schuld für das notwendige Opfer verschieben konnte.

Dieses Gebräu begann im Kopfe des Paulus zu gären und vermischte sich mit dem Konzept des – ebenfalls hellenistischen – Gnostizismus, bei welcher ein außerweltlicher Erlöser vom Himmel herabsteigt, um eine böse Welt vom Demiurgen und dessen falscher Lehre zu befreien, indem er wenigen Auserwählten das Wissen, die wahre Erkenntnis, die „Gnosis“ bringt. Der Demiurg wird dabei mit dem hebräischen Gott, die Thora mit dem unvollkommenen Gesetz, einer Art Täuschung, gleichgesetzt. Der wahre, höchste Gott würde seinen Sohn herabschicken, um den jüdischen Gott zu stürzen und auserwählte Seelen für das ewige Leben retten. Der Gnostizismus transportierte den Antisemitismus in die Vorstellungen von Paulus und weckte in seiner neuen Religion den Geschmack am Entrinnen vor einer entsetzlichen Verdammnis. Er war nachweislich vor dem Christentum unter Griechen in Alexandria entstanden, die zunächst vom Judentum beeindruckt waren, den Anschluss suchten, aber dann vor den Anforderungen der Thora kapitulierten und in Feindschaft zu dieser Religion traten. Genau in diesem Dilemma befand sich auch Paulus, der aus diesen drei Elementen, den Mysterienkulten, dem Gnostizismus und dem Judentum eine neue Religion, einen hochvirulenten Mythenmix von durchschlagender Wirkung zu fabrizieren begann.

Zu guter Letzt ergab sich daraus auch eine neue Perspektive für seine erstrebte Führerstellung, die weit über seine bisherigen ehrgeizigen Vorstellungen hinausging, ihm den Rückfall in das Heidentum ersparte, ihn zu einer Art Prophet machte und weit über die beneideten Pharisäer-Führer erhob. Sein Anschluss an die Nazarener war nur oberflächlich, denn für diese strenggläubigen Juden war Jesus keine mythische Figur, sondern ein politischer und religiöser Anführer.

Zunächst gewann Paulus ihr Vertrauen und die Berechtigung zur Heidenmission, doch dann kam es zum Streit, als klar wurde, dass er das völlig neue Konzept verbreitete, Jesus sei für die Sünden der Menschen und für deren Erlösung gestorben, sein Sühne- und Opfertod habe die Thora überflüssig gemacht, und er sei als göttliches Wesen anzusehen – Vorstellungen, über die der historische Jesus wahrscheinlich entsetzt gewesen wäre. Nach einem Konzil in Jerusalem lavierte er sich zunächst heraus, dann wurde ihm fünf Jahre später der Prozess gemacht und es kam zum endgültigen Bruch zwischen ihm und den jüdischen Jesusanhängern, unter ihren Anführern Petrus und Jakobus. Paulus, der sich mit entwendeten Spendengeldern, die für seine vermeintlichen Glaubensbrüder gesammelt worden waren, die römische Staatsbürgerschaft erkauft hatte, floh nach Rom, wo sich seine historische Spur verliert. Laut christlicher Mythologie soll er dort den Märtyrertod erlitten haben. Es ist aber genauso gut möglich, dass er dort noch einige Jahre lebte und mit dem Aufbau seiner paulinischen Kirche beschäftigt war. Petrus war nie sein Anhänger und vermutlich nie in Rom und schon gar nicht „der Fels, auf dem die Kirche erbaut wurde“, also der erste Papst.

Das Abendmahl
Hyam Maccoby zeigt uns, dass es auch Paulus war, der das Abendmahl als zentrales Sakrament seiner neuen Religion einführte, nicht Jesus. Dieses knüpft nur oberflächlich an den Kiddusch an, der ein einfaches Dankgebet für Gott ist. Das Abendmahl hingegen ist ein Opferritual bei dem ein inkarnierter Gott-Mensch symbolisch verspeist wird. Der Wein wird zu seinem Blut, das Brot zu seinem Fleisch. Paulus’ Begriff vom „Mahl des Herrn“ ist direkt den Mysterienkulten entnommen als Bezeichnung eines sakralen Mahls zu Ehren des Erlösergottes.

In ihrer Vorgeschichte dienten diese Kulte der Fruchtbarmachung der Felder, der Abwendung einer Gefahr, der Gründung einer neuen Stadt oder eines neuen Stammes und stellvertretend für einen Gott fanden tatsächliche Menschenopfer statt, mit denen sich Maccoby ausführlich befasst. Die Mysterien-Religionen schwächten den Menschenopfer-Ritus ab und das Judentum überwand ihn mit der Akedah vollständig. Hier wurde aus dem Menschenopfer ein Tieropfer, und das ganze Konzept des Opfers wurde nach und nach vollständig überwunden. Paulus aber macht diese Entwicklung rückgängig und gestaltet ein phantasiertes Menschenopfer zum zentralen Sakrament seiner neuen Religion um. Er überträgt das mythische Erlösungs-Konzept vom stellvertretenden Sühnetod eines Gottes auf eine historische Person, Jesus, was seinem Mythenmix eine besonders dramatische, eindrucksvolle Aura verleiht und die Notwendigkeit eines verantwortlichen Sündenbockes wiederaufleben lässt, den er bereits in „den Juden“ ausfindig zu machen beginnt. Formell hält er aber am Judentum fest, das er umbauen will ohne sich von ihm loszusagen, vor allem, um seiner neuen Religion Autorität und Authentizität zu verleihen. Paulus usurpiert das Judentum, wie Maccoby erläutert. Seine Anhänger, befreit von der Last der Thora, von ihren Sünden und ihrer Sterblichkeit durch den Tod Jesu erlöst, bilden den Neuen Bund mit Gott, der den Alten Bund des Judentums ablösen soll.

Die Judas-Legende
Nach dem jüdischen Krieg (66-70 u.Z.) und der Zerstörung des Tempels begann sich die Jerusalemer Kirche, also die Nazarener-Bewegung, langsam aufzulösen, denn ihre Konkurrenz-Organisation, die paulinische Kirche, bezichtigte sie ebenso der Häresie, wie auch die Pharisäer in Jerusalem nach einer längeren Zeit guten Einvernehmens. Sie überlebte noch einige Jahrhunderte versprengt, isoliert und verfolgt unter dem Namen der „Ebioniten“, was „arme Leute“ bedeutet, und wurde dann unauffällig vom Mahlstrom der Geschichte zerrieben. Als die paulinisch-hellenistischen Jesusanhänger von jüdischer Seite nichts mehr zu befürchten hatten, als die jüdisch-thoratreuen Jesusanhänger zu geschwächt waren, um sich behaupten zu können, gingen jene auf paulinischer Grundlage von Rom aus – ihrem neuen religiösen Zentrum – in die Offensive.

Mit den Evangelien, die zwischen dem Jahr 70 und 110 n.d.Z. geschrieben wurden, begann die Ära des virulenten Antisemitismus. Die Pharisäer wurden als trockene, legalistische Heuchler verächtlich gemacht, was zu den antijüdischen Stereotypen des Mittelalters und danach wesentlich beitrug. Die Thora wurde als unerbittliches, menschenfeindliches Gesetz dargestellt und „die Juden“ für den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Das Passah-Privileg wurde erfunden, nach welchem die jüdische Bevölkerung einmal im Jahr die Möglichkeit gehabt haben soll einen Gefangenen freizusprechen. In der Barabbas-Episode entscheidet sich die aufgepeitschte Menge für Barabbas und fordert lauthals den Tod Jesu: „Kreuziget ihn“. Die Legende vom gutartigen Pontius Pilatus wurde geschaffen, der doch historisch ein bösartiger, korrupter und gewalttätiger Statthalter gewesen war. Bei den Evangelisten mutiert er zum Bedrängten, der seine Hände in Unschuld wäscht.

Aus Judas Ischariot konstruierte man einen geldgierigen Täter, der Jesus für 30 Silberlinge verraten haben soll. Seinen Namen suchte man aus, weil er stellvertretend für das ganze jüdische Volk steht. Damit war endlich der „Heilige Henker“ gefunden, der Sündenbock, der die böse Tat, die für die Erlösung der Gemeinschaft zwingend erforderlich ist, vollbringt. Für die spätere Entwicklung war das entscheidend, denn mit „den Juden“ hatte man jetzt ein Reservoir an Prügelknaben über alle Generationen, an denen man sich schadlos halten konnte, die man als Blitzableiter benutzen konnte.

Hyam Maccoby belegt, dass die Hauptaufgabe von Paulusbriefen und Evangelien darin besteht, den radikalen Bruch zwischen heidenchristlicher und judenchristlicher Kirche zu verschleiern und in einen anderen Konflikt umzumünzen, den zwischen angeblich einträchtigen paulinischen und jüdischen Jesusanhängern auf der einen Seite und „den Juden“ auf der anderen Seite, die sich starrsinnig weigerten, Jesus als den endgültigen, göttlichen Messias anzuerkennen. Außerdem postulieren sie, dass Jesus der Gründer der neuen Religion des Christentums sei und Paulus nur sein Prophet, dass bereits alle Propheten der Hebräischen Bibel Jesus als Messias angekündigt hätten und schon wieder von „den Juden“ dabei behindert und getötet worden seien.

Und sie entpolitisieren Jesus, den sie von einem antirömischen, jüdischen Widerstandskämpfer mit messianischem Anspruch in eine antijüdische, mythische Figur verwandeln, halb Gott, halb Mensch, dessen Opfertod alle, die an ihn glauben, von ihren Sünden befreit und ihnen das ewige Leben schenkt. Rom und die Römer kommen im Neuen Testament fast gar nicht mehr vor. Das ist ungefähr so, als würde man von Frankreich unter dem Vichy-Regime berichten, ohne die deutsche Besatzung zu erwähnen. Um im Römischen Reich als Religion Erfolg zu haben, durfte im Zentrum des Christentums kein antirömischer Aufwiegler stehen, der für sein Ziel, sein Land von den römischen Invasoren zu befreien, mit dem Tod am Kreuz bestraft worden war.

Das Christentum wird Staatsreligion im Römischen Reich
Zunächst gab es tatsächlich Christenverfolgungen in Rom unter den Kaisern Nero bis Diokletian, weil das Christentum im Gegensatz zum Judentum im Römischen Reich nicht offiziell anerkannt war. Das änderte sich als Konstantin den Thron bestieg. Nach seiner Konversion wurde es Staatsreligion, was offiziell beim Konzil von Nicäa im Jahre 325 n.d.Z. besiegelt wurde. Bereits zehn Jahre zuvor hatte er unter dem Einfluss des römischen Bischofs Sylvester ein Verbot jüdischer Missionierung ausgesprochen. Es war das erste von zahllosen antijüdischen Edikten in den kommenden Jahrhunderten. Von einer verfolgten Kirche wandelte sich das Christentum zu einer verfolgenden Kirche. Es wurde verboten das Judentum zu lehren, Mischehen und Konversion wurden mit dem Tode bestraft und Palästina wurden unbezahlbare Steuern aufgebürdet, was zu einer Revolte führte, die in einem blutigen Massaker niedergeschlagen wurde.

Nun wurde Babylon außerhalb des christlichen Einflusses zum kulturellen Zentrum. Nach einem kurzen Intervall der Toleranz unter Kaiser Julian dem „Apostaten“, kam es zu einer langen Phase antijüdischer Gesetzgebung, die alle Rechte der jüdischen Bevölkerung zerstörte, sie zu Sklaven und Fremden degradierte, wie es ihnen nach christlicher Anschauung gebührte. Im oströmischen Reich mussten Juden Jerusalem verlassen, Palästina wurde christianisiert, in den Synagogen musste griechisch statt hebräisch gesprochen werden und der Bau neuer Synagogen wurde verboten.

Die germanische Eroberung Westroms brachte den Juden Erleichterung
Das weströmische Reich brach im fünften Jahrhundert unter den Barbareneinfällen zusammen, was der jüdischen Bevölkerung für lange Zeit Erleichterung verschaffte. Die Franken vertraten eine weniger fanatische Form des Christentums und betrachteten Juden als nützliche Bürger. Die Nachfolger von Karl dem Großen setzten diese Politik der Toleranz trotz der Einwände der Erzbischöfe Agobard und Amolo, die eine Verschärfung der antijüdischen Gesetzgebung verlangten, fort.

In Spanien waren Juden bei der Bevölkerung so beliebt, dass Rabbis gebeten wurden christliche Felder zu segnen, obwohl das durch die Synode von Elvira verboten worden war. Der spanische Bischof Isidor von Sevilla versuchte antijüdische Gesetze wiedereinzuführen, was aber von den Adeligen ignoriert wurde. Sie zogen es vor, die Juden zu beschützen. Unter christlicher und muslimischer Herrschaft prosperierten sie hier und ihre Kultur erlebte ihren Zenit im elften und zwölften Jahrhundert, dem Goldenen Zeitalter, das von der Kirche erst im Folgejahrhundert beendet wurde. Im restlichen Europa endete die Phase relativer Toleranz bereits zweihundert Jahre früher.

Jetzt, wo die Kirche politisch stark geworden war, trug ihre lange antisemitische Hetz-Propaganda Früchte. Es war die Gehirnwäsche durch Kirchenväter und Klerus mit welchem das zunehmend christianisierte Europa indoktriniert wurde, Kirchenväter der Spätantike wie der heilige Origenes, Augustinus („Contra Judaeos“) und Chrysostomos, dessen antijüdische Hetztiraden nur noch von denen Hitlers übertroffen wurden. Was lange Zeit nur religiöse Phantasie der Christen war – der Mythos vom jüdischen Übel – wurde durch die zunehmende Macht der Kirche zur sozialen Realität und die jüdische Bevölkerung bekam ihren Paria-Status aufoktroyiert. Der Alptraum des Mittelalters nahm seinen Anfang.

Wäre das Christentum im Römischen Reich eine von vielen Religionen geblieben, hätten Paulus und die Evangelisten Jesus nicht zum göttlichen Wesen deklariert, wäre er als menschlicher Märtyrer wie Sokrates dargestellt worden, wäre er nicht zum mythologischen Sühneopfer zwecks Erlösung der armen Sünder hochstilisiert worden, dann hätte die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen können. Dann wären die Juden in einem christlichen Mittelalter, wenn es überhaupt zu diesem gekommen wäre, nicht zu Blutsaugern, Vampiren und Untermenschen degradiert worden, zu einem Volk dämonisierter Parias.

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