Der Roman von Gordana Kuić erzählt von der Geschichte einer jüdischen Familie in Sarajewo  

März 31, 2017 – 4 Nisan 5777
Fünf Schwestern ringen um ihre Identität

Von Dr. Carsten Schmidt

Gordana Kuić ist eine Bestsellerin. Nach ihren schwungvollen, leicht eingängigen Romanen werden TV-Serien kreiert, Shows nachempfunden und sogar Theaterstücke oder Balletts aufgeführt. Allerdings nur in ihren heimatlichen Gefilden, dem ehemaligen Jugoslawien, insbesondere in Serbien und Kroatien. In Deutschland kennt man sie fast überhaupt nicht.

Knapp 30 Jahre nach dem Original erschien der erste Roman von Gordana Kuić auch auf Deutsch. Es ist eine Saga von fünf Schwestern – „Der Duft des Regens auf dem Balkan“. Die Familie Salom lebt in Sarajevo, einer Stadt, die immer durch Einflüsse verschiedenster Kulturen beeinflusst wurde. Hier leben seit Jahrhunderten Menschen unterschiedlicher Religion, Sprache und Herkunft. Und genau von hier aus nahm vor 100 Jahren durch ein brutales Attentat der Erste Weltkrieg seinen Anfang.

Dies ist der Beginn der Handlung. Wir verfolgen die Jugend und die schwesterlichen Entwicklungen rund um das erschütternde Ereignis vom Juni 1914, das für Nina, Buka, Klara, Blanki und Riki einschneidende Veränderungen bringt. Viele Teile des Buches sind aus der Sicht der zweitjüngsten Tochter Blanki geschrieben. Blanki Salom war tatsächlich die Mutter der Autorin. Blanki liebt Lesen und Lernen. Dennoch muss sie sich fügen, als sie von den älteren Schwestern von der Schule genommen und dazu bestimmt wird, einen kleinen Tabakladen mit der älteren Cousine zu führen. Im Kleinen wie im Großen sehen wir Spannungen.

Das alte benachbarte Kaiserreich Österreich-Ungarn wird nach dem Ersten Weltkrieg zerschlagen, neue Staaten werden gegründet, etliche Menschen vertrieben und Grenzen neu gezogen. Und als ob das nicht genug wäre, fühlen sich die Schwestern der Familie Salom in ihrer Identität noch mehr bedrängt als früher. Sie sind nämlich nicht einfach Bürgerinnen von Sarajevo, sie entstammen einer jüdischen Familie, die über 300 Jahre zuvor mit tausenden anderen Familien aus Spanien vertrieben wurden (Sepharden). Und so ergeben sich neue Konflikte. Wie sollen sich die Saloms positionieren?

Die Tochter Nina etwa fragt sich: Darf man die lange Familientradition durchbrechen, indem man einen Katholiken heiratet und zu seinem Glauben übertritt? Ist schwesterliche Hilfe, also Blut – wirklich immer dicker als Wasser? Ist „Frau“ eigentlich ohne Ehemann noch sie selbst? Wie sollen sie alle Geld verdienen, um in kargen Zeiten über die Runden zu kommen?

Fragen wie diese werden verwoben, episodisch und farbenreich erzählt. Es wäre jedoch falsch, zu viel von der Handlung vorwegzunehmen. Schon verraten sei: Das Buch hilft, Leser daran zu erinnern, dass Kriege von jedem Volk völlig anders erlebt werden. Und es zeigt jüdische Familienschicksale aus einer Gegend, wo man sie vielleicht nicht vermutet.

Die Veröffentlichung war ein spannendes Experiment – für Leser, den Verlag und die Autorin selbst. Denn gleichzeitig mit der deutschen Fassung erscheinen in diesem Jahr auch italienische und spanische Versionen des Buches. Der feine Humor, die Leidenschaft, der manchmal durchaus kitschige Herzschmerz – all das hat ein serbokroatisches Publikum schon längst begeistert. Wir dürfen gespannt sein, ob das mit „Der Duft des Regens auf dem Balkan“ in der teilweise etwas altmodischen Übersetzung genau so klappt.

Der Duft des Regens auf dem Balkan
von Gordana Kuić
Hollitzer Verlag, Wien 2015, 440 S.

Zum Autoren:
Carsten Schmidt, 39, Dr. phil, promov. Lit. wiss. in Potsdam (2008), Studium der Germ. Angl. u. Geschichte (2004, Rostock und Bradford/GBR), lebt in Berlin und arbeitet als freier Lektor für deutsche, österreichische und Schweizer Verlage, langjährig tätig als Texter, Kolumnist und Rezensent. Autor der Biographie „Felix Weltsch – Kafkas fast unbekannter Freund“ (2010).

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