Zum 70. Todestag des „Rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch  

April 6, 2018 – 21 Nisan 5778
Er hob Menschlichkeit über Parteidisziplin

Von Martin Stolzenau

Egon Erwin Kisch war ein deutscher Jude aus Prag, der als Journalist mit dem Beinamen „Rasender Reporter“ Weltgeltung erlangte. Er war kein praktizierender Jude. Doch seine jüdischen Wurzeln verdrängte er nie. Kisch recherchierte zu den Besonderheiten seines Volkes und unterhielt lebenslang engen Kontakt zu jüdischen Gesinnungsfreunden.

Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges machten ihn zum Kriegsgegner, linken Autor und KP-Mitglied. Für seine Reportagen aus fünf Kontinenten mit teilweise spektakulären Erlebnissen verarbeitete er die „Wahrheit als das edelste Rohmaterial der Kunst“ in einer geschliffenen Sprache, an der er zuweilen sehr lange feilte. Dabei setzte der kritischer Denker, der sich über die Niederungen eines „Parteischriftstellers“ erhob, in allen Lebenslagen „Menschlichkeit über Parteidisziplin“. Doch zum anstehenden 70. Todestag stehen seine rund 20 Bücher nirgends auf den Bestsellerlisten. Noch zu stark haftet ihm aus der Zeit des Kalten Krieges der Stallgeruch des kommunistischen Autors mit allen damit verbundenen Vorbehalten an. Dazu gesellt sich aus einigen Quellen auch ein anderer Ruf, der des überaus aktiven Nachtschwärmers und Frauenhelden. Außer in Prag war er an allen Hauptwirkungsstätten Stammgast und Mittelpunkt der Künstlercafés.

Prager durch und durch
Kisch wurde am 29. April 1885 in der Kozna Nr. 1 in einem der schönsten erhaltenen Renaissancehäuser der Prager Altstadt mit einem prachtvollen historischen Portal und Giebelschmuck geboren. Das Haus mit Grundmauern aus dem 14. Jahrhundert und erster urkundlicher Erwähnung 1414 war 1866 von Jonas Enoch Kisch, dem Großvater des „Rasenden Reporters“, für 100.000 Gulden erworben worden und gilt als „Bärenhaus“. Die Familie gehörte zum deutsch- jüdischen Besitzbürgertum der Goldenen Stadt. Der Vater ist als reicher Tuchhändler überliefert. Sohn Egon war nach Bruder Paul der zweite Sohn der Familie, erhielt in der Folge noch mehrere andere Geschwister und wuchs als Liebling seiner Mutter im Wohlstand auf. Er begann nach ersten Recherchen zum Geheimnis des Golem, jener sagenhaften Gestalt des Hohen Rabbi Löw, die durch Gustav Meyrink im Roman verewigt wurde, dem Schulabschluss sowie ersten Schreibversuchen seine Zeitungslaufbahn 1905 als Volontär beim „Prager Tageblatt“.

Es folgten ein kurzes Studium an der „Wredeschen Journalisten-Hochschule“ in Berlin, die Übernahme als Lokalreporter bei der bürgerlichen Prager Zeitung „Bohemia“, zunehmende Kontakte zu namhaften Autoren wie Rainer Maria Rilke, Jaroslaw Hasek, Franz Kafka und Max Brod und die journalistischen Entdeckungen in seiner Vaterstadt, die in aufsehenerregende Reportagen einmündeten.

Kisch enttarnte den für Russland spionierenden Oberst Redl
1912 veröffentlichte er dazu eine erste Buch-Sammlung: „Aus Prager Gassen und Nächten“. Parallel entwickelte sich Kisch zu einem in „politischen Zusammenhängen denkenden Journalisten“, der 1913 mit der Aufdeckung der Spionageaffäre des Oberst Redl schlagartig erste internationale Bekanntheit erlangte. Inzwischen hatte er sich als passionierter Nachtschwärmer, mit ständig wechselnden Frauenaffären und der ewigen Zigarette im Mundwinkel selbst zum Prager Original entwickelt. Legendär seine Vorliebe für die Schönheiten des Nachtlokals „Montmartre“. Kisch weilte ab Frühjahr 1914 zum zweiten Mal in Berlin, wo er vorzugsweise für das „Berliner Tageblatt“ schrieb, in der Nachfolge von Gerhart Hauptmann als Dramaturg am „Deutschen Künstlertheater Sozietät“ wirkte und nun von Berliner Verehrerinnen umschwärmt wurde.

Der Erste Weltkrieg brachte ihn zunächst als Korporal an die serbische Front, wo er die Grausamkeiten des Völkergemetzels in einem Kriegtagebuch festhielt, zum Leutnant aufstieg und nach einer Verwundung im Frühjahr 1917 in das „Kriegspressequartier“ nach Wien versetzt wurde. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der linke Kriegsgegner Kisch beteiligte sich an der Gründung des „Arbeiter-und Soldatenrates“, wurde zum ersten Chef der „Roten Garde“ gewählt und trat in die Kommunistische Partei ein. Nach Pressearbeit für den Wiener „Neuen Tag“, kurzer Haft und Abschiebung in die nunmehrige CSR kehrte er 1921 nach Berlin zurück, wo er mit Reiseunterbrechungen bis 1933 zum herausragenden linken Publizisten aufstieg, der für zahlreiche Zeitungen schrieb, Reportagereisen durch Europa, in die UdSSR, in die USA, nach China und Afrika unternahm und mit Büchern wie „Zaren, Popen, Bolschewiken“, „Paradies Amerika“ sowie „China geheim“ Glanzlicher des modernen Reiseberichtes mit großer Vorbildwirkung schuf. (…)

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