Die Mauer in Israel und die Mauer in Berlin sind nicht vergleichbar  

Oktober 5, 2015 – 22 Tishri 5776
Einmauerung vs. Gefahrenabwehr

Von Nikoline Hansen

2004 hatte ich die Gelegenheit, mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (Arbeitsgruppe Berlin) nach Israel zu reisen. Der Reiseleiter schreibt einleitend in seinem Bericht: „In Israel stellen deutsche Besuchergruppen heute eine Ausnahmeerscheinung dar und erregen erhebliches Aufsehen.“.

So war es: Das Land stand unter dem Eindruck der zweiten Intifada. Am 1. November explodierte eine Bombe auf dem Carmel-Markt, ein Selbstmordanschlag, der drei Tote und über 30 Verletzte zur Folge hatte. Ich ging mit mulmigem Gefühl nur wenige Tage später an den noch davon zeugenden Absperrbändern vorbei und traute mich nicht, den Markt zu betreten. Vor dem „Dolphinarium“, einer besonders von russischen Einwanderern besuchten Diskothek, in der am 1. Juni 2001 ein Sprengstoffanschlag 25 Tote gefordert hatte, brannte noch das Kerzenmeer, das Hinterbliebene der ermordeten Jugendlichen dort immer wieder erneuerten.

Die Debatte um den im Bau begriffenen „Grenzzaun“, eine Sperranlage, die den arabischen Bewohnern des Westjordanlands und Teilen Ostjerusalems den uneingeschränkten Zugang zu Israel verwehren sollte, war frisch, so frisch wie der Eindruck der Selbstmordattentate, die Israel traumatisierten und es zu einem Land machten, das für touristische Besuche ungeeignet schien. Und sie war eines der vieldiskutierten Themen, das die israelische Gesellschaft damals spaltete. Die Debatte wurde lebhaft geführt, die Errichtung der Kontrollpunkte für den Grenzübertritt war ein großes Thema. Wir besuchten Dr. Marc Lucia, Siedler und Vertreter der Organisation „Sicherheitszaun für Israel“, der sich vehement für den Weiterbau einsetzte. Und wir besuchten Amos Gil, Direktor der Organisation „Ir Amim“ (Stadt der Völker). Er sprach sich zwar nicht prinzipiell gegen den Bau aus, allerdings klagte seine Organisation gegen den konkreten Verlauf, der sich teilweise ohne Rücksicht auf die Bewohner ausschließlich an israelischen Sicherheitsinteressen orientierte. Das kleine Stück acht Meter Mauer südlich von Jerusalem, das wir besichtigten, diente übrigens dazu, die Passanten und Autos vor willkürlichem Beschuss und Steinwürfen aus palästinensischem Gebiet zu schützen. Über 95 Prozent der Sperreinrichtung bestehen aus einem Zaun, der mobil versetzt werden kann und mit Stacheldraht und einer Sichtschneise gesichert ist – ein teures Unterfangen.

Deutsche mögen keine Mauern. Zu lange wurden sie von einer Mauer getrennt – die einen von der Freiheit, die anderen von Verwandten, Freunden oder dem Umland. Der Begriff Mauer ist also ein Politikum, so wie die Existenz Israels und der Nahostkonflikt. Deshalb ist es wohl eine logische Konsequenz, dass man eine Sicherheitsanlage, die zu einem großen Teil aus einem Zaun und Stacheldraht besteht kurzerhand zu einer Mauer machte – einer „Apartheidsmauer“, wie die Touristeninformation in Bethlehem sie in ihren Karten für die Besucher bezeichnet. Das wirkt. So interessieren sich die Deutschen für diese Sperranlage in einem ungewöhnlichen Ausmaß. Und Touristen, die sich für das Schicksal der Palästinenser mehr als für die prekäre Lage der Israelis interessieren, gibt es reichlich. Hier ein Beispiel aus einem Reisebericht vom 25. Februar 2013:

„Wir haben natürlich Israelis gefragt, was sie von dieser Mauer halten. Und doch nicht wenige begrüßen diese Sperranlage und fühlen sich seitdem sicherer. Was mir völlig absurd vorkommt, denn die Mauer ist ja nicht fertig und wer will, findet genügend Passagen ohne Mauer und Grenzposten, um auf israelische Seite zu gelangen. Die Mauer mag psychologisch als Schutzwall gegen den Terrorismus wirken, scheint mir aber eher eine physisch einbetonierte Okkupationslinie zu bilden, durch die Israel langsam aber stetig sein Gebiet Richtung Osten erweitert. Denn die Mauer verläuft zu 80% durch das Westjordanland und nicht auf der Grenze.“ (Quelle: http://www.weltenbummlermag.de/israelische-sperranlangen-und-ein-fluechtlingslager/).

Wieso stehen Palästinenser dann stundenlang an den Checkpoints? Angesichts der Faktenlage – dem fast vollständigen Rückgang der Selbstmordattentate in Israel nach Errichtung des Zauns ist es schon eine sehr erstaunliche Einlassung, den Schutzzaun als rein psychologisches Konstrukt zu erklären. Die Meinung der Israelis sei absurd? So kann das eigentlich nur wirken, wenn man ohne vertiefte historische Vorkenntnisse oder unter vollkommener Wahrung der deutschen Perspektive an der Mauer entlang geführt wird, besonders dort, wo sie tatsächlich Mauer ist. Wieso es südlich von Jerusalem die acht Meter hohe Mauer gibt, erzählen weder der Reisebericht noch Wikipedia: Es wurde geschossen. Willkürlich auf israelische Bürger. Wenn das System aus Schutzzaun und Kontrollpunkten nicht physisch wirksam ist, wie kommt es dann, dass immer wieder potentielle palästinensische Selbstmordattentäter an den Kontrollen aufgehalten werden? Meldungen, die es nicht in die deutschen Medien schaffen? Eine Änderung der Politik? Die Erziehung zum Hass ist auf palästinensischer Seite grenzenlos. Die Frage, die sich stellt ist doch: Wie kann man sich gegen die Aggression schützen wenn sie vermehrt in Terrorattacken auftritt?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Zaun seinen Zweck erfüllt. (...)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke