Das tragische Schicksal der Dichterin Mascha Kalékos und ihre besondere Beziehung zu Berlin  

Oktober 7, 2016 – 5 Tishri 5777
Eine lebenslange Suche nach dem Heim ohne Weh

Von Melissa Kaiser

„Berlin, wo bliebst du? Ja, wo bliebst du nur?“ Diese wehmütigen Zeilen formulierte Mascha Kaléko in ihrem Gedicht „Wiedersehen mit Berlin“. Kurz vor der Reichskristallnacht emigrierte sie mit ihrem Sohn und ihrem zweiten Ehemann aus Berlin nach New York. Richtig eingelebt hat sie sich dort aber niemals. Zeit ihres Lebens ließ sie die Erinnerung an das Berlin der Vorkriegszeit nicht mehr los. Dabei war die Flucht aus dieser Stadt nicht die erste in ihrem Leben. Und es sollten noch weitere folgen. Vor allem die Flucht vor dem eigenen Leben, welche auf selbstironische und melancholische Weise in ihren Gedichten wiederzufinden ist.

Kaléko wird 1907 in West-Galizien als Golda Malka Aufen geboren. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war ihre Familie gezwungen das Land zu verlassen. Ein neues Zuhause fanden sie in Frankfurt am Main, wo Kaléko die Volkshochschule besuchte. Ihr Vater wurde nach der gemeinsamen Flucht wohl aufgrund seiner russischen Staatsangehörigkeit interniert. Da Kaléko eine innige Beziehung zu ihrem Vater pflegte, dürfte die frühe jahrelange Vaterlosigkeit große Wunden hinterlassen haben.

Ein paar Jahre später zog Kaléko mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Marburg an der Lahn, wo sie nur zwei Jahre verbrachten. Die nächste Station im Leben Kalékos hieß schließlich Berlin. Zu dieser Zeit wurde Maschas Vater aus seiner Internierung entlassen.
Anfänglich fremdelte Kaléko mit dem neuen Zuhause. Über die galizische Herkunft mochte sie nicht sprechen, waren doch viele Vorurteile und Unannehmlichkeiten mit ihr verbunden. Mit der Zeit fand sie jedoch das Tor zur Berliner Gesellschaft: Die Sprache. In einem ihrer Verse spricht sie von ihrer großen Liebe zum märkisch-kessen Ton, den sie mit der Zeit selbst zu sprechen begann und der ihren Gedichten einen unsterblichen Charakter verlieh.

Ab 1930 erschienen regelmäßig Gedichte in sämtlichen Berliner Tageszeitungen, nachdem ihre Arbeiten durch den Kritiker Monty Jacobs gefördert wurden. Die späten Zwanziger Jahre und frühen Dreißiger Jahre waren die Blütezeit Kalékos in Berlin. Sie pflegte den Umgang mit vielen verschiedenen populären Literaten und Künstlern wie beispielsweise Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz oder Else Lasker-Schüler. Das Herzstück dieser Treffen war das sogenannte „Romanische Café“, zu welchem sich Kaléko noch viele Jahre und Jahrzehnte später in ihren Werken zurücksehnt.
Das lyrische Stenogrammheft, welches drei Jahre nach den ersten Publikationen vom Rowohlt-Verlag herausgegeben wurde, wurde ein herausragender Verkaufsschlager und zog viel Begeisterung auf sich. In den folgenden Jahren erschienen „Das kleine Lesebuch für Große“ und eine Neuauflage des Stenogrammheftes.

Dieser fast schon perfekte Aufstieg Kalékos als Lyrikerin fand mit dem Erstarken der Nationalsozialisten ein jähes Ende, als sie aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde. In New York bestritt die einst gefeierte Dichterin dann einen Teil des familiären Lebensunterhalts mit Werbetexten. Nach sechs Jahren erhielt sie schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft, die jedoch nichts an ihrem Heimweh nach Berlin ändern konnte. In ihrem Gedicht „Der kleine Unterschied“ sprach sie davon, gewiss sehr happy, jedoch nicht glücklich zu sein. In diesen Zeilen lässt sie wesentlich eindeutiger als in anderen Werken ihre unerschütterliche Liebe zur alten Heimat erkennen. Nicht nur geographisch, sondern auch sprachlich. Zahlreiche Exillyrik bezeugt das unbändige Sehnen nach den alten Zeiten und den Wunsch nach Veränderung der Vergangenheit.

Insgesamt fand sie wenig Muße, in englischer Sprache zu dichten oder zu publizieren. 1960 erfolgte dann schließlich ein nächster Umzug in Kalékos Leben - die Übersiedlung nach Israel. Wie bereits in den USA hatte die Exillyrikerin erhebliche Schwierigkeiten Anschluss zu finden. Im Gegensatz zu ihrem Mann lebt sie sehr isoliert in Jerusalem, der Zugang zur hebräischen Sprache blieb erschwert. Während ihre Werke in der Nachkriegszeit in Europa sich erneut wachsender Beliebtheit erfreuten, blieb ein ähnlicher Erfolg in Israel aus. (…)

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