Der Nobelpreis für Literatur 2016 geht an – Bob Dylan. Tusch! Die Reaktionen auf diese Entscheidung fielen höchst unterschiedlich aus. Sie reichten von euphorischer Zustimmung bis hin zu kopfschüttelndem Unverständnis. Die jüdische Welt jedoch ist mehrheitlich begeistert, dass einer aus der Heerschar des Moses die höchste literarische Auszeichnung, die ein Schreibender erlangen kann, zugesprochen bekommt – die Millionen Fans sowieso.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Es ist augenfällig, dass Juden ein prägender Anteil am internationalen Musikgeschehen in allen möglichen Stilarten zuzuschreiben ist. Im Jüdischen Museum in Wien lief bis zum 2. Oktober 2016 eine außergewöhnliche Ausstellung, die sich großen Zuspruchs erfreute. Titel der Schau: „Stars of David. Wien – New York –Hollywood“. Wer durch diese Ausstellung ging und in dem gleichnamigen Katalog blätterte, der musste sich erstaunt die Augen reiben. Dass die populärsten Weihnachtslieder von jüdischen Komponisten stammen, dass Bob Dylan mit einer eigenen Version eines jüdischen Liedes begann, dass Leonard Cohen liturgische Texte zu Songs umarbeitete, das sind drei Beobachtungen, die der interessierten Öffentlich nicht unbedingt bekannt sind.
Die Liste von jüdischen Künstlern jenseits von religiöser Musik oder Klezmer, die sich der populären Musik verschrieben und Musikgeschichte geschrieben haben und weiterhin schreiben, ist lang. Einige Namen, pars pro toto, seien genannt: Barbra Streisand, Billy Joel, Neil Diamond, Amy Winehouse, Paul Simon und Art Garfunkel, Lou Reed, Marc Bolan (T-Rex). Sie sind Superstars des Pop-Musikbusiness aus der ersten Reihe. In Rock und Pop, in Punk und Rap finden wir Gruppen, in denen sich jüdische Musiker hervortaten und weiterhin aktiv sind – Kiss, die Ramones oder Beastie Boys. Mit Heinrich Heine gesprochen und auf die Popkultur übertragen ließe sich feststellen: Nennt man die besten der Namen, so werden auch die jüdischen genannt.
Einige der Musiker waren und sind sich ihres Judentums sehr bewusst, andere wollten mit ihrer Herkunft nichts zu tun haben und andere wiederum setzten sich in ihrer Kunst mit ihrer jüdischen Identität auseinander. Joan Carol Klein schrieb unter ihrem geänderten Namen Carole King Hits am Fließband und mit Tapestry produzierte sie einen Meilenstein des Singer-Songwriter-Pop. Ihr Sängerkollege, der sie abgöttisch liebte, widmete ihr ein Lied, das es in die Charts schaffte. Mit „Oh, Carole“ gelang Neil Sedaka (dem es nicht in den Sinn kam, seinen lupenreinen hebräischen Namen zu ändern) zwar ein Hit, das Herz der Angebeteten konnte er trotzdem nicht gewinnen.
Die Wende in der populären Musik kam mit einem gewissen Robert Zimmerman, ein Mann, der sich gerne mit der Aura der Mystik umgibt, der seine Mysterienspiele pflegt, Anhängern und Kritikern immer wieder Rätsel aufgibt und sich Bob Dylan nannte. Ein Künstler, der alle möglichen Stilrichtungen der populären Musik probierte und bediente, und wie kein anderer die musikalische Szene beeinflusst hat. Auch dies gehört zur Geschichte der Juden im Pop: Sich einen neuen Namen geben, um nicht als Jude identifiziert zu werden – eine bewährte Überlebenstechnik. Viele amerikanische Juden taten es ihm gleich. Sich einen neuen Namen geben – ein Schritt zum Erfolg.
Bob Dylan, der am 24. Mai 2016 fünfundsiebzig wurde, ein Mann der Masken: Er beherrscht die jüdische Kulturtechnik der Identitäts-Maskerade. 1941, die Nazis bereiten die „Endlösung“ vor, kommt er zur Welt, seine Großeltern waren 1905 aus dem ukrainischen Odessa bzw. aus Litauen in die USA eingewandert. Abram und Beatrice Zimmerman ließen ihren Sohn im Standesamt von Duluth im US-Bundesstaat Minnesota als Robert Allen Zimmerman registrieren. Zudem gaben sie ihm als gläubige Juden den hebräischen Namen Shabtai Zisel ben Avraham.
In Highway 61 Revisited (1965), eins der einflussreichsten Alben der Pop- und Rockgeschichte, singt Dylan mit seiner nasalen Stimme von der Beinahe-Opferung Isaaks aus Genesis 22: „Oh God said to Abraham: Kill me a Son“. Das ist ein grundlegender Bezug für das Judentum und den Monotheismus. Dieser Song weist auch auf eine jüdische Tradition von Umdeutungen und nicht abzuschließenden Interpretationen biblischer Texte hin. Seine frühen Lieder seien auf beinahe „magische Art und Weise geschrieben worden“, so Dylan. Als Protestführer habe er sich nie gefühlt. Ein Rebell wider Willen – dessen Beziehung zur Presse gespalten war. „Die Medien sind nicht der Richter, Gott ist der Richter.“
Nachdem Dylan 1967 einen schweren Motorradunfall hatte, begann er mehr Interesse für seine jüdischen Wurzeln zu entwickeln. Er las viel in den Schriften, führte mit dem rechtsextremen Rabbi Meir Kahane von der „Jewish Defense League“ lange Gespräche. 1971 reiste Dylan erstmals nach Israel. Ernsthaft überlegte er, sich mit seiner Frau und den mittlerweile vier Kindern einem Kibbuz anzuschließen. Es ist bekannt, dass er an den Hohen Feiertagen in die Synagoge ging, selbst während seiner Konzerttourneen.
Auf einer erfolgreichen Welttournee im Jahr 1978 hatte Dylan angeblich ein religiöses Erweckungserlebnis, als jemand aus dem Publikum ein kleines silbernes Kreuz auf die Bühne warf. Aufsehen erregte seine 1979 erfolgte Konversion zum christlichen Glauben, was sich in seinen folgenden Platten deutlich niederschlug – und heftige Diskussionen auslöste, bei Fans wie bei Kritikern. Nach eineinhalb weiteren religiösen Alben wurde das Missions-Kapitel geschlossen und Dylan näherte sich wieder dem jüdischen Glauben an.
1961 war das noch ganz anders: Frisch angekommen in Greenwich Village, dem New Yorker Mekka der amerikanischen Folkszene, sang Dylan seine Version des hebräischen Volksliedes Havah Nagilah. Er tat es mit der ihm eigenen Ambivalenz: einer Mischung aus Spott und Verbeugung. Nach seinem Übertritt zum Christentum „scheint Dylan hin und her zu torkeln zwischen christlichem Fundamentalismus und chassidischem Judaismus“. So die Diagnose einer Website, die nach den jüdischen Spuren in Leben und Werk von Bob Dylan forscht. Indes: Wie ernst gemeint war Dylans Übertritt als er Magen David gegen das evangelikale Kreuz eintauschte? Von Heinrich Heine, der bekanntlich 1825 zum Protestantismus übertrat, stammt das apokryphe Bonmot, er sei zwar getauft, jedoch nicht bekehrt. Lässt sich diese geistreiche Bemerkung nicht auch auf Bob Dylan übertragen? Er fuhr nach Jerusalem, ließ sich mit einer Kippa auf dem Kopf fotografieren und freute sich, dass er nun als Zionist galt. Wer ihn 1983 – nach seiner Konversion! - mit Tallit und Teffelin nachgerade inbrünstig an der Jerusalemer Klagemauer gesehen hatte, der konnte sehr wohl auf den Gedanken kommen, Dylan habe in Wirklichkeit nie dem Judentum entsagt. Die Abwendung vom Christentum (dem er so tief nie wirklich verbunden gewesen sein kann – auch in Dylans Jesus-Phase wurden seine Kinder Bar- und Batmizwa), brachte ihn wieder zu seinen jüdischen Wurzeln. Und er sang den Song Neighborhood Bully, ein Plädoyer für den Staat Israel und sein Existenzrecht.
Dylans Texte sind in allen Phasen seines Schaffens glaubensgeprägt. Von Anfang an hat er extensiv mit Bibelzitaten gearbeitet, religiöse Bilder verwendet, mit messianischem Furor gesungen und musiziert. Die ganze Kraft seiner Dichtung ließ ihn jedes Jahr zum Favoriten auf den Literaturnobelpreis werden. (…)
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