Die amerikanisch-israelische Autorin Carolin Glick erklärt ihre Alternative zur „Zwei-Staaten-Lösung“  

Dezember 4, 2015 – 22 Kislev 5776
Ein Staat für zwei Völker?

Von Martin Jehle

Im November jährte sich das tödliche Attentat auf Jitzhak Rabin zum 20. Mal. Mit dem Namen des israelischen Ministerpräsidenten untrennbar verbunden ist der Friedensprozess mit den Palästinensern,heftig umstritten in Politik und Gesellschaft Israels, für den Attentäter Grund seiner Tat, die das Land bis heute bewegt.

Allmählich beginnt in Israel eine Debatte, über den Zustand des wichtigsten politischen Erbes von Rabin, ob daran noch festgehalten gehalten werden sollte oder ob es an der Zeit ist, nach neuen Wegen zu suchen. Gemeint sind die beiden sogenannten „Oslo-Abkommen“. Mehr als 20 Jahre Jahren nach den Friedensabkommen, die zur Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde in einem Teil des Westjordanlands und zur Forderung der internationalen Gemeinschaft nach einer „Zwei-Staaten-Lösung“ führten, besteht Stillstand im Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinenser.

Caroline Glick, Kolumnistin in Diensten der „Jerusalem Post“, versucht mit ihrem 2014 auf Englisch erschienenen Buch „The Israeli Solution“ („Die israelische Lösung“) eine neue Antwort auf die Frage zu geben, wie die festgefahrene Situation beendet werden kann. Sie schlägt eine „israelische Lösung“ des israelisch-palästinensischen Konflikts vor. Ihr Werk trägt den Untertitel „A one-state-plan for peace in the middle east“ und will sich mit dem Vorschlag einer „Ein-Staaten-Lösung“ zur offiziell vertretenen und international zum Credo erhobenen „Zwei-Staaten-Lösung“ abgrenzen.

Das Buch richtet sich an eine amerikanische Leserschaft, wie bereits im Vorwort deutlich wird, da die Außenpolitik der USA überparteilich für eine Zwei-Staaten-Lösung steht. Gegen das vermeintliche Dogma bzw. die Zwangsläufigkeit einer „Zwei-Saaten-Lösung“ als Ergebnis eines Friedensprozesses gibt es allerdings in Israel Widerstand, der sich bis hinein in die Regierung widerspiegelt. Der von Rabin forcierte und innenpolitisch durchgesetzte Friedensprozess, insbesondere die Gewährung einer begrenzten, kommunalen Selbstverwaltung ähnlichen Autonomie gegenüber den Palästinensern, war zu allen Zeiten heftig umstritten und polarisierte die israelische Gesellschaft.

Gleichwohl ermangelte es den dem Zwei-Staaten-Plan ablehnend gegenüber stehenden Kräften allzu lange an einer überzeugenden Alternative, einem schlüssigen Konzept. Diese Lücke will Carolin Glick schließen, indem sie mit ihrem Buch den Plan ausbreitet, der die Annexion des Westjordanlands durch Israel vorsieht. Glick nennt es in dem 2015 ins Hebräische übersetzen Buch die „Erstreckung israelischer Souveränität“ auf das Westjordanland, die „Anwendung israelischen Rechts“ („applying Israeli law to Judea and Samaria“) in diesem Gebiet und die Integration der Gebiete und seiner palästinensischen Bewohner nach Israel („incorporating the areas and their Palestinians residents into Israel“).

Ausgangslage: Historischer Imperativ

Laut Glick ist es für Israel ein historischer Imperativ Judäa und Samaria zu kontrollieren, um sich gegen palästinensischen Terrorismus und äußeren Bedrohungen zu verteidigen. Der Gaza-Streifen ist nicht Teil dieses Konzepts, da mit dem Abzug der israelischen Armee und der dort lebenden israelischen Zivilisten im Jahr 2005 der Staat Israel seinen Anspruch auf dieses Gebiet aufgegeben hat. Für Glicks Konzept hat der Gaza-Streifen noch insoweit Bedeutung, als dass Palästinenser, die nicht in einem um das Westjordanland vergrößerten Staat Israel leben wollen, dort hinziehen können.

Die Palästinensischen Autonomiegebiete sind für Glick ein Hort der Unfreiheit, Willkür und Korruption. Diskriminierung von Christen, Verfolgung von tatsächlichen und angeblichen Kollaborateuren mit Israel und vieles mehr gehören zum Alltag. Kurzum: Ein Vorgeschmack auf einen zukünftigen „gescheiterten Staat“, der nicht entstehen darf. Auch die Palästinenser bewerten Israels Demokratie und Rechtsstaat besser als die palästinensische Autonomieverwaltung, wie Meinungserhebungen zeigen. Glick zu Folge wäre es wohl auch im Sinne der Mehrheit der Palästinenser, im Staate Israel zu leben.

Mit historischen und völkerrechtlichen Herleitungen legitimiert Glick die Ausdehnung Israels auf das Westjordanland und negiert jegliche palästinensischen Ansprüche. Im Hinblick auf die unter palästinensischer Selbstverwaltung stehenden Gebiete sieht Glick die Gefahr der Schwächung bestehender israelischer völkerrechtlicher Ansprüche. Die Hinnahme bzw. Duldung der Tatsache, dass dort die Palästinensische Autonomiebehörde (eingeschränkte) Souveränität ausübt, führt mit wachsendem Zeitablauf zu einer als im juristischen Sinne als „Aufgabe“ von Gebietsansprüchen zu bewertenden Umstand.

Historisches Beispiel: Golan-Höhen

Als gelungenes Beispiel für den von ihr geforderten Weg führt Glick die 1967 im 6-Tage-Krieg gewonnen Golan-Höhen an. 1981 erklärte der damalige Ministerpräsident Menachem Begin das Gebiet zu israelischen Staatsgebiet. Begleitet wurde dieser Schritt durch ein entsprechendes Gesetz, das in der Knesset mit einer Zweidrittel-Mehrheit beschlossen wurde. Das Vorgehen wurde betont als Verwaltungsvorgang (administrativ move) dargestellt und nicht als (völkerrechtliche) Annexion,die politische Bedeutung also heruntergespielt. Auf den Begriff Annexion verzichtete man bis heute. Zwar ist auf den Golan-Höhen Ruhe, aber international ist die Zugehörigkeit zu Israel nicht anerkannt. So gelten die Golan-Höhen nach den EU-Produktkennzeichnungsvorschriften nicht als israelisches Staatsgebiet.

Demographische Gefahr?

Das auch von israelischer Seite oft ins Feld geführte demographische Argument, nämlich das ein Bi-nationaler Staats bzw. eine „Ein-Staaten-Lösung“ dazu führt, dass Israel seine jüdische Mehrheit verlöre, entkräftet Glick mit einer näheren statistischen Betrachtung der Bevölkerungsverhältnisse im Westjordanland. So hätte das Westjordanland nicht – wie von palästinensischer Seite behauptet – rund 2,4 Millionen Einwohner, sondern nur 1,4 Millionen. Die Differenz ergibt sich unter anderem daraus, dass das Palästinensische Amt für Statistik die palästinensischen Bewohner Jerusalems, die aber bereits in Israels offizieller Bevölkerungsstatistik eingeschlossen werden, und einige hunderttausend im Ausland lebende Palästinenser dazugezählt hatte. Ferner macht Glick eine stetige Annäherung der Geburtsraten bei jüdischen Israelis und Palästinensern in Richtung 3 Kinder pro Frau aus.

Im Ergebnis stellt Glick fest, dass das derzeitige Bevölkerungsverhältnis von jüdischen Israelis auf der einen zu arabischen Israelis sowie Palästinensern auf der anderen Seite zwei Drittel zu einem Drittel beträgt, ihr Verhältnis also 2:1 beträgt. Nach dem derzeitigen Trend wird sich dieses Verhältnis kontinuierlich weiter zugunsten der jüdischen Bevölkerungsmehrheit entwickeln. Die Demographie, so Glick, ist einer der größten Vorteile Israels.

Konsequenzen der „Ein-Staaten-Lösung“?

Was wären die Konsequenzen einer einseitigen Eingliederung des Westjordanlands in das israelische Staatsgebiet? Was die Bevölkerung betrifft, so rechnet Glick damit, dass nur ein kleiner Teil die israelische Staatsbürgerschafts beantragen wird, während die große Masse sich mit dem einem „permanent residency“-Status zufriedengeben wird, der vollen Zugang zum israelischen Arbeitsmarkt und Sozialsystem gewährt. Von Seiten der palästinensischen Führung ist mit einer Ablehnung und Angriffen auf der diplomatischen Bühne zu rechnen. Letzteres ist bereits jetzt der Fall, kann also hingenommen werden, zumal sich das Niveau nicht steigern dürfte.

Als Nachteile einer „Ein-Staaten-Lösung“ nennt Glick das Schrumpfen der heutigen jüdischen Dreiviertel-Bevölkerungsmehrheit (wenngleich diese mit dann 66 Prozent nicht in Gefahr ist), sowie die Belastungen für die Sozialsysteme. Allen anderen Gefahren, diplomatische bzw. politische Isolierung, Sanktionen bzw. Boykotte und Terror ist Israel bereits jetzt ausgesetzt – und es kann ganz gut damit leben, argumentiert Glick. Sie schätzt die unmittelbaren negativen Konsequenzen, insbesondere solcher politischer Art, eher als kurzfristig ein, wo hingehen Israels langfristige Position gestärkt wird. Ein Ansatz, der darauf setzt, dass die normative Kraft des Faktischen ihre Wirkung entfalten wird.

Entscheidend ist für Glick, dass nach ihrem Konzept Israelis und Palästinenser im Westjordanland rechtlich gleichgestellt werden. Neben den offensichtlichen Verbesserungen, die das für die Palästinensers mit sich bringt, würde sich dadurch aber auch der Status derjenigen ändern, die heute vornehmlich als „Siedler“ bezeichnet werden: Israelis könnten sich in Judäa und Samaria genauso verhalten und die gleichen Rechte in Anspruch nehmen wie im übrigen Land, also auch Land erwerben und bauen – ein großer Streitpunkt in der gegenwärtigen Debatte .

Caroline B. Glick

The Israeli Solution. A one-state Plan for Peace in the Middle East
Random House LLC, 2014, 324 Seiten.

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