Die kurdischen Juden und ihre frühe Auswanderung nach Eretz Israel  

Oktober 5, 2015 – 22 Tishri 5776
Ein Leben in der Abgeschiedenheit

Von Miriam Magall

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinbach diskutiert dieser Tage mit der Regierung der Türkei die Lage der Flüchtlinge; hoffentlich kritisiert er sie auch wegen ihres Umgangs mit den Kurden. Denn zwar fliegt die Türkei Angriffe auf die südlich von ihr gelegenen Nachbarländer, aber leider nicht, um den mörderischen IS in Syrien und Irak von seinen Übergriffen auf Zivilisten und Morden an Jesiden und Christen abzuhalten, sondern „um die verbotene PKK“ zu bombardieren – für sie eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Kurden zum Schweigen zu bringen. Die israelische Regierung ist da viel weitsichtiger: Schon vor 40 Jahren unterhielt sie Beziehungen zu Mustapha Barazani und seinen Männern, die um mehr Selbständigkeit vom Diktator in Bagdad rangen. Denn Kurden als ein eigenständiges Volk, die gibt es schon recht lange.

Der persische Wort Kurdistan bedeutet „Land der Kurden“, und seine Bewohner werden bereits in sumerischen und assyrischen Dokumenten, d.h. im 2. Jahrtausend v.d.Z. erwähnt, ebenso wie in der klassischen griechischen und lateinischen Literatur. Die arabische Geschichte nennt als einen ihrer wichtigsten Helden Salah ad-Din, im Westen besser bekannt als Saladin. Dem Kurden gelingt es im Jahr 1187, die Kreuzritter wieder aus Jerusalem zu vertreiben (das sie 1099 eingenommen hatten). Fortan dürfen Juden erneut in ihrer ehemaligen Hauptstadt wohnen.

Schon früh leben in Kurdistan auch Juden. Gemäß ihrer mündlichen Tradition betrachten die kurdischen Juden sich als Nachfahren jener Juden, die bereits im Jahr 727 v.d.Z. von den assyrischen Königen ins Exil geführt wurden. Diese Behauptung enthält nach Meinung zahlreicher Gelehrter tatsächlich mehr als ein Körnchen Wahrheit. Im Talmud ist kaum die Rede von Kurdistan, lediglich die Stadt Arbil/Erbil, eine der ältesten Städte der Welt, kommt dort vor. Im 12. Jahrhundert bereisen zwei jüdische Reisende, Benjamin von Tudela aus Spanien, und Petachja aus Regensburg in Deutschland, die Gegend. Zwar dringen sie nicht bis nach Zentralkurdistan mit seinen unwirtlichen Bergen vor, trotzdem enthalten ihre Berichte wertvolle Information. Benjamin berichtet von ungefähr 100 jüdischen Dörfern in der Region und schätzt die jüdische Bevölkerung dort auf 25.000 Seelen. Unter den Seldschuken erfreut sich Kurdistan eines gewissen Wohlstands, und beide Reisende wissen von gut eingeführten, wohlhabenden Gemeinden mit zahlreichen Synagogen und Rabbinern zu berichten. In der Stadt Mossul, dem kommerziellen und geistigen Zentrum Kurdistans, sollen Petachja zufolge 6.000 Juden, gemäß Benjamin sogar 7.000 Juden gelebt haben.

Die Schönheit von Mossul und die Pracht der dortigen Synagogen beeindrucken die Reisenden. Allerdings sind Stabilität und Wohlstand nicht von langer Dauer. Vom 13. bis 15. Jahrhundert herrscht Schweigen über die Juden in Kurdistan. Vermutlich geht das auf das allgemeine Abschlachten der Bevölkerung und die Zerstörung von Städten und Dörfern während der Mongoleninvasion im Jahr 1258 zurück, die den gesamten Nahen Osten sozusagen in die Steinzeit „zurückbomben“. Ein Teil der Stadtbevölkerung dürfte tiefer in die unwirtlicheren, unzugänglicheren Gegenden von Kurdistan geflüchtet sein, wo neue ländliche Gemeinden entstehen. Nach dem Sieg der Türken über die persischen Herrscher im Jahr 1534 sind die osmanischen Türken fortan die Herren in Kurdistan und das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Vom 16. Jahrhundert an tauchen die ersten Dokumente und Manuskripte auf, die von kurdischen Juden geschrieben wurden. Ihre Verfasser sind hauptsächlich Rabbiner, und sie liefern zahlreiche Details über das geistige, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben im 16. und 17. Jahrhundert. Einige Gemeinden leben in tiefster Armut, in größeren Orten gründen Rabbiner, vor allem jene der berühmten Familie Barasani, zahlreiche Jeschiwot, d.h. Talmud-Hochschulen. Überall in Kurdistan entstehen solche Schulen, die Studenten sogar aus Ägypten und Eretz Israel anziehen. Die Nachkommen der Familie Barasani, darunter die berühmte Rabbinerin (!) Asnath, die Tochter von Rabbi Samuel, bekleiden das Amt eines Rabbiners und Jeschiwa-Leiters bis in die Moderne hinein, nicht nur in Kurdistan, sondern ebenfalls in den großen Städten wie Mossul und Bagdad.

Viele kurdische Juden sind Bauern, Schafhirten, Flößer und Holzfäller, sie gehen also Beschäftigungen nach, die um diese Zeit bei Juden in Orient wie Okzident praktisch völlig unbekannt sind. Ganze Dörfer werden ausschließlich von Juden bewohnt, was sich erst im Laufe der Zeit ändert. In den größeren Städten handeln Juden mit Getreide, Baumwolle und Wolle, mit Vieh, Gummi und Sesam sowie mit Tabak. Viele sind auch stolze Besitzer von Wein- und Obstgärten. Die Handwerker unter ihnen arbeiten als Weber, Färber, Schuhmacher und einige auch als Gold- und Silberschmiede. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts zieht es viele Juden – genau wie Kurden – nach und nach aus den Dörfern in die Städte, unter anderem aus Sicherheitsgründen. Sie suchen ein leichteres Leben als Ladenbesitzer, Händler und Schlachter. Außerdem passen die Städte mit ihren Synagogen und zahlreichen religiösen Einrichtungen und Amtsträgern besser zum jüdischen Leben. (...)

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