Von Heike Linde-Lembke
Er konfrontierte am 31. Januar 2000 Jörg Haider mit Neonazitönen in seiner Partei. Er musste 1951 im selben Schlafsaal in Wien übernachten wie vor dem Ersten Weltkrieg der Judenmörder Adolf Hitler, er stand mit seiner Familie auf der Todesliste von Hitlers Nazi-Schergen, er kämpfte mit dem Palmach für einen Staat Israel und in der israelischen Armee gegen die Israel angreifenden Nachbarländer, nachdem David Ben Gurion am Rothschild-Boulevard in Tel Aviv am 14. Mai 1948 den jüdischen Staat proklamierte. Er ist Jude und streitet unermüdlich für die Gerechtigkeit und gegen den Antisemitismus. Er geht in Schulen und berichtet als Zeitzeuge. Auch heute noch.
Am 22. August wird Karl Pfeifer 90 Jahre alt. Jetzt ehrt ihn Österreich mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und für sein Lebenswerk.
Karl Pfeifer ist einer jener Schoa-Überlebenden, die niemals nachlassen werden, den Rassenwahn anzuprangern, um die Wiedergängerschaft eines NS-Unrechtstaats zu verhindern. Er ist damit in bester Gesellschaft, beispielsweise mit Marko Feingold, Präsident der Jüdischen Gemeinde Salzburg, der am 28. Mai seinen 105. (!) Geburtstag feierte. Bis dahin hat Karl Pfeifer noch 15 Jahre Zeit – wie tröstlich!
Denn die Welt braucht Menschen wie ihn, in einer Zeit erneut rasant aufkeimenden Antisemitismus.
Wie Marko Feingold kann auch Karl Pfeifer und wohl fast alle deutschsprachigen Journalisten und Schriftsteller ohne die deutsche Sprache nicht leben. Während Feingold aber nach einer qualvollen Odyssee durch fast alle deutschen Konzentrationslager Europas letztlich in Salzburg blieb, konnte Karl Pfeifer 1938 als Zehnjähriger mit seinen Eltern vor den einmarschierenden Nazi-Truppen rechtzeitig von Baden bei Wien nach Ungarn fliehen, das Geburtsland seiner Eltern. Letzter Anlass war die „Arisierung“ des Pfeiferschen Hauses in Baden.
Tod der Eltern in Ungarn
Doch Ungarn bot nur einen kurzen Zeitaufschub. Schon als Junge ahnte er, das die Nazis sich nicht mit Österreich zufrieden geben würden, sie wollten ganz Europa. Er wurde Mitglied der sozialistisch-zionistischen Jugend-Organisation Haschomer Hatzair und flüchtete am 5. Januar 1943 mit 50 jüdischen Jugendlichen Richtung Palästina. Ein gefährliches Unterfangen. Doch noch gefährlicher war es, zu bleiben. „Meine Mutter starb 1941 an Leberkrebs, mein Vater zwei Tage nach der Befreiung des Budapester Ghettos an Herzschwäche und wurde in ein Massengrab verscharrt“, sagt Karl Pfeifer.
Im britischen Mandatsgebiet Palästina lebte er in einem Kibbuz, diente ab 1946 im Palmach, nach der Staatsgründung in den IDF, den Israel Defence Forces (Israelische Verteidigungsstreitkräfte) und verteidigte im ersten Krieg Israel gegen seine, die junge Demokratie angreifenden Nachbarn. Und er lernte Hebräisch. Seine deutschsprachigen Bücher halfen ihm, sich von seiner Muttersprache nicht zu entfremden, gleichwohl in Israel, wenn auch auf den Straßen verpönt, viel Deutsch gesprochen wurde.
Rückkehr nach Österreich
1951 entschied er sich für den Weg zurück. „Ich habe chronisch niedrigen Blutdruck, und in Österreich ging mein Blutdruck schon beim Lesen einiger Zeitungen hoch“ sagt Karl Pfeifer, und das ist einer seiner Sätze, die seine wahren, seine emotional geprägten Motive mit Wiener Charme überdecken sollen.
Karl Pfeifer kam über Umwege im Herbst 1951 nach Innsbruck. Als geborener Badner erhielt er sofort nach seiner Rückkehr die österreichische Staatsbürgerschaft. „Doch nach den Gesetzen waren nur diejenigen vom Staat zu unterstützende Heimkehrer, die entweder in der Wehrmacht oder in der Waffen-SS gedient hatten“, sagt Pfeifer mit bitterer Ironie. Die jüdische Gemeinde in Innsbruck sorgte eine Woche für ihn, bis er
nach Wien weiterreisen konnte. Ohne Geld und nur mit dem, was er am Körper trug. Da war er 23 Jahre alt. Er kam ins Asylheim der Stadt Wien und musste mit 50 Männern im besagten Schlafsaal übernachten, in dem schon Hitler vor dem Ersten Weltkrieg unterkroch. Karl Pfeifer wollte sich integrieren.
Die KPÖ umgarnt ihn
Er wollte Arbeit, merkte aber bald, dass er in Österreich nur einen Arbeitsplatz bekäme, wenn er in einer Partei wäre. Die KPÖ, die Kommunistische Partei Österreichs, schrieb ihm: „Du bist ein Opfer des Faschismus, komm zu uns.“ Auch mit dem Wissen, dass er dann Arbeit erhalten würde, fragte er: „überall sehe ich bei Euch das Bild Stalins. Ist er wie der Papst für die Katholiken unfehlbar?“ Er wurde als Provokateur herausgeschmissen.
Warb die KPÖ um ihn, so begegnete ihm sonst unverhohlener Antisemitismus, sei es beim Beantragen eines Dokuments auf dem Amt, sei es im alltäglichen Umgang. So habe ein Beamter zu ihm gesagt: „Wozu braucht ein Jude zwei Vornamen im Ausweis.“ Als er einmal in Grinzing beim Heurigen saß, hörte er andere Gäste ungeniert Witze über die Gaskammern in den KZs erzählen.
Bruno Kreisky – der jüdische Bundeskanzler Österreichs
Noch heute prangert er an, dass auch unter dem Juden Bruno Kreisky (SPÖ) als Bundeskanzler (1970 bis 1983) der Antisemitismus in Österreich nicht zurückgegangen sei. Kreisky wurde 1938 von den Nazis verhaftet und floh wenig später über Dänemark nach Schweden. Sein Bruder Paul wanderte zeitgleich ins britische Mandatsgebiet Palästina aus. In seine erste Regierung holte sich Kreisky zudem fünf ehemalige Nationalsozialisten als Minister. Wie sein deutscher Kollege Konrad Adenauer.
Seit 1979 arbeitet Karl Pfeifer als freier Journalist für Medien in Israel, Deutschland, Österreich, London und Budapest. 1982 wurde er auch Redakteur für „Die Gemeinde“, die Zeitung der israelitischen Kultusgemeinde Wien. Stets spürte er wachsam antisemitischen Tendenzen und Taten nach, um sie öffentlich zu machen. „Der Antisemitismus war auch Jahrzehnte nach dem Holocaust ein Teil der Medien und der Politik“, beobachtet der fast 90-Jährige, Mitglied des Kuratoriums des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, DÖW, in Wien. Dort präsentierte er am 25. November 2008 den Dokumentationsfilm „Zwischen allen Stühlen“, den die „Gesellschaft für kritische Antisemitismusforschung“ über sein Leben drehte.
Der Antisemitismus sei heute vermischt mit dem Hass auf die israelische Politik aufgrund der Berichterstattung über Israels Verteidigung gegen die ständigen Angriffe der „Palästinenser“. „90 Prozent der Berichte gegen Israel sind antisemitisch gefärbt“, sagt Pfeifer.
Gleichwohl hegt er nicht viel Sympathie für die Politik von Israels Premier Benjamin Netanjahu: „Netanjahu ist Vertreter des absoluten Stillstands“. Israel sei aber in der glücklichen Lage einer blühenden Wirtschaft. Die größten Feinde der „Palästinenser“ seien sie selbst. Zudem würden sie keine Gelegenheit verpassen, Gelegenheiten zu verpassen.
Viel Wirbel verursachte Karl Pfeifers Auseinandersetzung mit dem Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger, der als Hochschullehrer den Beitrag „Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft?“ im Jahrbuch für politische Erneuerung 1995 der FPÖ veröffentlichte, eine Mär vom jüdischen Krieg gegen Deutschland verbreitete und damit das Täter-Opfer-Verhältnis ins Gegenteil drehte.
Karl Pfeifer bezeichnete diesen Beitrag als Nazi-Diktion, Pfeifenberger antwortete mit einem Rechtsstreit. Pfeifer gewann durch alle Instanzen. Im Jahr 2000 klagte die Wiener Staatsanwaltschaft Pfeifenberger wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung an. Er beging Selbstmord. Der aber wurde von der rechten Zeitschrift „Die Zeit“ Karl Pfeifer angehängt. Pfeifer habe Pfeifenberger in den Suizid getrieben. Der Angegriffene klagte wegen Rufmord auf Entschädigung, wurde aber vom Gericht abgewiesen. Wieder folgte ein Weg durch die Instanzen. Bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der gab Karl Pfeifer Recht, Österreich musste 5.000 Euro Entschädigung zahlen.
„Die Freiheitlichen bemühen sich um ein demokratisches Image. Doch mit der Veröffentlichung solcher Texte beweisen sie, dass sie nichts vergessen und nichts gelernt haben“, schrieb Karl Pfeifer am 3. Februar 1995 in „Die Gemeinde“.
Mittlerweile habe er aber eine höhere Sensibilität sowohl bei den Journalisten als auch bei den Bürgern zu Holocaust und Antisemitismus feststellen können. „Die schreckliche Vergangenheit kann nicht geändert werden. Doch für die Gegenwart tragen wir alle die Verantwortung“, sagt der Zeitzeuge. Und: „Es wäre ein fataler Fehler zu glauben, antisemitisches Gedankengut wäre in Österreich und Deutschland mehrheitsfähig. Seit meiner Rückkehr nur sechs Jahre nach der Befreiung von den Nazis hat sich dieses Land sehr geändert.“ Bei seinen Zeitzeugen-Berichten an den Schulen würde er ein Österreich erleben, dass sich endlich ehrlich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Jeder könne seinen Beitrag zur Menschenwürde und zum Erhalt der Menschenrechte leisten.
Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.
Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.