Ein Interview mit Giora Even, Israels erfolgreichstem Kampfpiloten in den Kriegen mit Ägypten, Syrien und Jordanien  

Oktober 7, 2016 – 5 Tishri 5777
Ein Fliegervirtuose jenseits der Schallmauer

Von Michael Guttmann

Giora Even ist bis heute der legendärste Kampfpilot der israelischen Luftstreitkräfte. Mit siebzehn Abschüssen in Luftkämpfen hält er den Weltrekord in der Ära der Düsenjets und führt mit Abstand die internationale Liste der „Asse“ an. Als „Ass“ zählen Piloten, die mindestens fünf Düsenmaschinen im Luftkampf abgeschossen haben. Giora Even, das „Ass“ der „Asse“, hat zweifellos außergewöhnliche Talente und herausragende Eigenschaften, die ihn stets erfolgreich seine Kämpfe bestreiten ließen. Hierzu zählen nicht nur seine Luftgefechte gegen Israels Feinde, sondern auch eine Reihe von Kämpfen gegen die eigene Militäradministration, insbesondere den Ärzten, die ihm den Weg zum Piloten versperrten.

Bevor wir ihn selbst zu Wort kommen lassen, hier seine Kurzbiographie: Giora Even, geboren 1938 als Giora Epstein, ist der Sohn von zionistischen Einwanderern aus Polen, die zu den Gründern des Kibbuz Negba am Rande der Negevwüste zählen.
Im Unabhängigkeitskrieg, gleich nach der Staatsproklamation 1948, hat der Kibbuz eine dominante Rolle gehabt, um den Vormarsch der ägyptischen Invasorenarmee via Tel Aviv zu stoppen. Negba wurde durch mehrere Attacken vollkommen zerstört, aber nicht besiegt. Giora kehrte nach zwei Jahren mit den evakuierten Kindern zurück, wuchs im Kibbuz auf und trat, wie alle Kibbuzniki, 1956 seinen Wehrdienst in einer Kampfeinheit an. Er bestand alle Aufnahmeprüfungen für die Pilotenausbildung, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen nicht angenommen. Trotz Proteste erfuhr er nichts über die näheren Umstände seiner Ablehnung.

Daraufhin meldete er sich zu den Fallschirmjägern, hat die Grundausbildung und den Lehrgang für Unteroffiziere absolviert und sich für einen Spezialkurs als Instrukteur an der Fallschirmjägerschule gemeldet. Die folgenden Monate bis zum Ende unseres Pflichtwehrdienstes 1959 verbrachten wir beide zusammen und kehrten jeder nach der Entlassung in seinen jeweiligen Kibbuz zurück.

Auf Beschluss seines Kibbuz kehrte Giora Even zwei Jahre später zurück zur Fallschirmjägerschule, um die Reihen der Armee zu stärken. Die zunehmenden Bedrohungen Israels durch den Panarabismus unter Gamal Abdel Nasser erforderte es. Er wurde Chef der Fallschirmjägerausbilder und bald auch Verantwortlicher für Sprünge im freien Fall. Zugleich hatte er den Kampf mit den Ärzten wieder aufgenommen und bestand darauf, die Ursachen seiner Ablehnung zu erfahren. Es stellte sich heraus, dass sein EKG vom Standard abwich, was ihn aber in keiner Weise behinderte. 1963 gelang ihm beim dritten Anlauf, einen Pilotenlehrgang zu besuchen. Mittlerweile waren sieben Jahre seit seiner Rekrutierung vergangen. Dem Pilotenkurs schloss er sich mit einem Vierteljahr Verspätung an und absolvierte ihn mit Auszeichnung. Dennoch wurde er nicht einem Düsenkampfgeschwader, sondern einer Helikoptereinheit zugeordnet. Der mittlerweile erfahrene Soldat und mit Auszeichnung abschließende Kampfpilot verweigerte den Befehl und drang mit seinem Protest bis zum Chef der Luftstreitkräfte vor. Nachdem er endlich einem Kampgeschwader zugeordnet wurde, ging es mit Giora Even rasant bergauf. Bald landete er bei einem Mirage-3-Geschwader für fortgeschrittene Piloten. Gerade noch rechtzeitig, als Israel wieder militärisch bedroht wurde, kam er zum Einsatz und hatte seinen ersten Abschuss im Sechs-Tage-Krieg.

In dem darauffolgenden Abnutzungskrieg war er bereits stellvertretender Geschwaderkommandeur und hatte vier weitere Maschinen abgeschossen. Im Kippur-Krieg diente er als Sektionschef im Operationsstab der Luftwaffe und flog neben der Stabstätigkeit Einsätze in der Staffel 144 für besondere Aufgaben. In diesem schweren Krieg erzielte er zwölf Abschüsse (sieben MIG-21, zwei Suchoi-7, zwei Suchoi-20 und einen MI-8 Hubschrauber). Die Armee zeichnete den „verhinderten“ Kampfpiloten 1975 mit der Medaille für vorbildliche Leistung aus.
Im August 1974 wurde er Kommandeur des Mirage-3 Geschwader 117. Er schied aus der Armee als Oberstleutnant aus, arbeitete ab 1988 als Kapitän bei El Al und leitete parallel dazu das Reservistengeschwader 254 aus Mirage-, Kfir- und F16-Maschinen. Sein Logbuch beim Militär enthält über 9.000 Flugoperationen, 5.000 Flugstunden und 700 Fallschirmsprünge.

Der Kampf mit den Ärzten

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Giora Even, auf einen Veteranentreff der Fallschirmjäger hast Du uns erzählt, dass Deine schwersten Kämpfe, jene gewesen waren, die Du mit den Militärärzten geführt hast. Wir beide haben ein Jahr lang zusammen an der Fallschirmjägerschule gelernt und später gelehrt. Du schienst zufrieden. Auch die anderen aus unserem Jahrgang haben nicht gewusst, dass Dir das Fliegen, Deine Leidenschaft, versagt blieb. Zudem hatten wir Dich als kerngesund in Erinnerung. Wie war Dein schwerer Weg zur Fliegerei, der Dich sieben Deiner besten Jahre gekostet hat?

In der Tat begann mein Armeedienst mit dem linken Fuß. Meine erste Bewerbung für die Pilotenausbildung ist versandet. Es war gerade Krieg (Suezkonflikt 1956). Niemand hatte Zeit, sich mit meiner Gesundheit zu beschäftigen. Ich meldete mich zum Dienst beim Bodenpersonal. Als der Lehrbetrieb wieder aufgenommen wurde, war ich nicht unter den Bewerbern und keiner wusste genau warum. Wiederholt musste ich Gesundheitstests machen und wurde zurückgestellt. Nach monatelangem Warten bin ich zu den Fallschirmjägern gegangen.

Als die Ärztekommission Dich als untauglich für die Fliegerei erklärt hatte, warst Du sicher deprimiert.

Durchaus nicht. Es war wie ein leichter Schlag am Flügel. Mein Ziel habe ich nicht aufgegeben.

Du hast nicht nur feindliche Flugzeuge vom Himmel geholt, sondern auch Wände der Militärbürokratie eingerissen.

Es ist mitunter einfacher ein Flugzeug als die Administration zu bekämpfen. Aber ich habe eine wichtige Eigenschaft: Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, dann gebe ich nicht so schnell auf. Als Pilot habe ich bis zum letzten Geschoss bzw. bis zum letzten Liter Treibstoff gekämpft. Gegen den Beschluss der Ärztekommission habe ich Widerspruch eingelegt. Mein Pech war, dass die Kommission keinen Kardiologen hatte. Mein EKG wich vom Standard ab. Damit war ich für sie aus dem Rennen. Inzwischen war ich ein erfahrener Fallschirmjäger-Instrukteur, fühlte mich ausgezeichnet in der Luft, auch im freien Fall, und hatte niemals Krankheitsprobleme. Also ging ich zur nächsthöheren Instanz, bis ich zu einem Pilotenkurs zugelassen wurde, der schon ein Vierteljahr lief und absolvierte ihn mit Auszeichnung. Ich hatte eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis.

Meine Prüfungsergebnisse im Fliegerkurs lagen in der Regel bei 98 Punkten. Die erste Phase des Kurses, in der die Selektionen am stärksten sind, war für mich problemlos. In der zweiten Phase wurden mir die militärische Grundausbildung und das Fallschirm-Training erlassen, weil ich ja von dort kam. In der dritten, der Hauptphase, wurde mir die Möglichkeit eingeräumt, den Stoff von einem Vierteljahr mit acht Prüfungen in einer Woche nachzuholen, während die anderen Kursanten in Urlaub waren. Ich hatte alles bestanden und am Ende den Kurs mit Auszeichnung abgeschlossen.

Der Makel meines EKG haftete aber immer noch an mir, so dass ich zu einer Hubschrauberstaffel abkommandiert wurde. Das war für mich bar jeder Logik. Ein Kampfpilot, der mit Auszeichnung abschloss, zu den Transportfliegern? Ich kletterte weiter bis in die höchsten Befehlsinstanzen. Man beschloss, meine Akte einem Herzspezialisten in den USA vorzulegen. Bis dahin sollte ich bei den Helikopterstaffeln bleiben. Dort stellte man mir großzügig einen erfahrenen Piloten zur Seite, unter dessen Anleitung ich sehr bald Soloflieger und danach Staffelleiter wurde. Der Arzt, der mir das Fliegen verweigerte, musste sich geschlagen geben, aber er hinterließ in meiner Akte den Vermerk: „Nur als Transportflieger zugelassen.“ Da sich kein Kommandeur mit den Medizinern anlegen wollte, ließen sie mich auch nach der Rückkehr meiner Akte aus den USA nicht zu den Kampfpiloten. Mir blieb nur noch ein Weg. Ich verweigerte das Fliegen der Helikopter. Befehlsverweigerung war das nicht, denn niemand kann zum Fliegen gezwungen werden. Nach weiteren Untersuchungen kam man zu dem eindeutigen Ergebnis, dass nichts dagegen spricht, dass ich Kampfpilot werde. Ezer Weizman, damals Kommandeur der Luftwaffe, rief mich persönlich an und sagte: „Hör zu du Mistkerl, der mich um den Schlaf gebracht hat. Pack Deine Sachen und ab mit Dir zu den Kampfjets.“ Damit waren sieben Jahre Kampf für mich zu Ende. Ich war glücklich, wie lange nicht.

Außenstehenden mutet das an wie verletzende Willkür einer Militärbürokratie.

Keinesfalls. Ich hatte viele Helfer unter den Piloten und Kommandeuren. Es war auch problemlos als Kursant oder Pilot, den Leiter der Fliegerschule oder den Chef der Luftwaffe persönlich zu sprechen. Nur wenige wichen mir aus. Selbst der hartnäckige Arzt sollte Recht behalten, aber erst Jahre später, denn meine Herzkrankheit, ein genetisches Erbe von meinem Vater, machte sich erst mit 72 bemerkbar. Für medizinische Zwecke gab es damals noch keine Ultraschallgeräte.

Giora Even, das Falkenauge

Es heißt: „Giora Even ist ein Virtuose der Flugtechnik mit herausragenden persönlichen Eigenschaften. Er hat maßgeblich die Geschichte der israelischen Luftwaffe geprägt.“ Du wurdest berühmt.

Ja, durch die internationale Liste der „Asse“, genau genommen nachdem die USA den Film „Asse der Wüste“ über meine Kameraden und mich gedreht hatten. Der Ruhm gilt aber nicht allein mir. Israel war vom Tage seiner Gründung an gezwungen sich zu verteidigen. Die Entschlossenheit „nie wieder“, hat uns nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Bezogen auf Israels Luftwaffe kann ich sagen: Seit der Staatsgründung 1948 hat das Land 25 Maschinen, unsere Feinde 687 Maschinen in Luftkämpfen verloren, ein Verhältnis von 1:27,5. Vierzig israelische Piloten zählen als „Asse“, davon 10 mit über 8 Abschüssen. Die Zahl unserer Kampfpiloten, die keine feindliche Maschine abgeschossen haben, ist sehr gering. Diese Angaben beziehen sich auf Luftkämpfe zwischen Düsenjets. Die Verluste Ägyptens durch Zerstörung von Maschinen am Boden (Sechs-Tage-Krieg) und unsere Verluste durch sowjetische Boden-Luft-Raketen (Kippur-Krieg) sind darin nicht enthalten. Das alles geschah am Nahosthimmel, der voll mit modernster Kampftechnik war. Die feindlichen Piloten hatten längst verstanden, dass sie uns in der Luft nicht besiegen können. Ihre Regierungen versuchten es aber immer wieder und mit immer neuer Technik.

Weltmeister im Nahkampf

Was waren Deine persönlichen herausragenden Eigenschaften?

Als Junge hatte ich viel gelesen über Flugzeuge und Piloten, guten Umgang mit der Technik, hohes Reaktionsvermögen und kannte keine Ängste. Ich fing Skorpione und Ottern. Während der Ausbildung zum Kampfpiloten fiel den Instrukteuren und Kursanten mein außergewöhnliches Sehvermögen auf. Ich erhielt den Spitznamen „Falkenauge“, denn ich konnte feindliche Flugzeuge aus 40 km Entfernung entdecken, mehr als drei Mal so früh wie andere Piloten. All diese Eigenschaften halfen mir ein guter Pilot zu werden. Sie verschafften mir bei späteren Kampfeinsätzen entscheidende Vorteile.

Im Sechs-Tage-Krieg schoss ich meine erste Maschine ab. In dem darauffolgenden Abnutzungskrieg weitere vier, davon zwei im gleichen Luftkampf. Damit galt ich bereits als „Ass“. Unser Staat war noch keine 30 Jahre alt und ständig in kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt. Der Kippur-Krieg war sehr verlustreich für uns. In vier Luftkämpfen schoss ich 12 Maschinen ab. Die Kämpfe vom 19., 20. und 24. Oktober sind mir als die schwersten in Erinnerung geblieben. Die Ägypter waren uns haushoch an Flugzeugen überlegen. Der Himmel war voller MIGs und Suchois. Es gab die sogenannte Feuerwand aus sowjetischen Boden-Luft-Raketen und den Vorteil der Ägypter durch das Überraschungsmoment. Oft war ich umzingelt, wo es klug gewesen wäre zu fliehen. Die Flugleitzentrale informierte über Funk von einem bevorstehenden Angriff auf unsere Bodentruppen. Wir mussten uns dem Kampf stellen. Als wir einige Maschinen herunterholten, ergriffen andere die Flucht, doch wir verfolgten sie. Allein befreite ich mich aus der Umzingelung und jagte nun eine Rotte von vier Suchois, äußerst schnelle Maschinen, durch ein tiefes Wadi. Wir flogen auf Null, d.h. wenige Meter über den Wüstensand. Radar- und Funkkontakte waren unterbrochen. Ich schoss eine Salve in den Sand, was den erschrockenen Piloten vor mir zu Ausweichmanöver veranlasste. So konnte ich ihn aufholen und abschießen. Mit dem gleichen Trick schoss ich alle vier ab. Durch die zahlreichen Ausweichmanöver vor feindlichen Beschuss saß ich physisch ziemlich fertig in meinem Sitz gepresst. Mit zitternden Knien zog mich das Bodenpersonal aus der Maschine. (…)

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